# taz.de -- Musik aus Vietnam: Glatt wie Seide
       
       > Saigon Soul Revival nennt sich ein Quintett, das Neufassungen alter
       > vietnamesischer Songs auf dem Album „Họa Âm Xưa“ kunstvoll mit Eigenem
       > mischt.
       
 (IMG) Bild: Hohe Luftfeuchtigkeit: Saigon Soul Revival
       
       Sie hält die Hand ihrer Tante, die ihre langen Haare eng am Kopf
       gescheitelt hat. In ihren Plateauschuhen und Schlaghosen wirkt sie groß.
       Meine Mutter ist neun Jahre alt und himmelt die Tante an. Ihr Onkel wird
       derjenige sein, der ihr die Beatles vorspielen wird. Alle drei spazieren
       ausgerechnet an dem Tag durch Saigon, als große Lkws sämtliche Studenten in
       weißen Hemden mitnehmen.
       
       Sie müssen für die Armee der Republik Vietnam an die Front – trotz
       Waffenstillstand – wie meine Mutter später in der Zeitung lesen wird. Das
       war 1973. Kurz vor dem chinesischen Neujahr am 3. Februar. 1973 war ein
       entscheidendes Jahr im [1][Vietnamkrieg], denn das Blatt wendet sich
       zunehmend zugunsten der Vietcong. Während US-Außenminister Henry Kissinger
       und der vietnamesische Politiker Lê Đức Thọ für ihre Diplomatie den
       Friedensnobelpreis erhalten (den Thọ ablehnte), kämpfen die Vietcong weiter
       gegen die Amis – und die Vietnamesen versuchen trotz des brutalen Krieges
       ein Stück Normalität im Alltag zu leben.
       
       In Saigon pulsiert das Großstadtleben, Cafés sind auch zu Kriegszeiten
       Tummelplätze für Live-Musik. Nicht nur westlicher Sound wird gespielt, die
       Saigoner Musikszene boomt ebenfalls. Das ist bis heute so. Dank des
       deutschen Produzenten Jan Hagenkötter kann man ihr Wirken nun bereits zum
       dritten Mal hören. Diesmal hat er eine Klangreise in das goldene Zeitalter
       – Nhạc vàng – zwischen 1964 und 1975 unternommen.
       
       ## Funky Gemütslage
       
       Mit dem Label [2][INFRACom! Records] hat der Frankfurter erneut ein
       goldenes Händchen bewiesen. Die von ihm ausgegrabene Band nennt sich –
       etwas platt zwar – Saigon Soul Revival, aber Soul ist tatsächlich in der
       Musik vorhanden: Rhythmisches aus den 60ern wird mit Funkigem aus den 70ern
       gekreuzt. Die Band, 2016 gegründet und international besetzt, hat elf Songs
       komponiert, die die damalige Gemütslage des Volkes in neue Harmonien
       kleidet, das jedenfalls sagt der Albumtitel „Họa Âm Xưa“. Arrangements
       traditioneller vietnamesischer Musik wurden adaptiert und neu
       interpretiert.
       
       Dadurch fehlt leider etwas die Rauheit der Originale, zu viel Studiopolitur
       dringt durch. Ein Aufgreifen älterer musikalischen Modeerscheinungen
       funktioniert offenbar nicht ohne Schnulzen. Macht aber erst mal nichts, das
       vietnamesische Herz neigt dazu, Schmachtfetzen cool klingen zu lassen.
       
       Die fünfköpfige Band wird – wie kann es anders sein – bei der Reality-Show
       „Nhạc Việt“ im Jahr 2017 entdeckt. Aber das soll nicht negativ gemeint
       sein. Während selbst in Paris die Zeitschriften der vietnamesischen
       Exilanten kreischbunte Plastikmusik-Reklame proklamieren, leisten die
       bisher veröffentlichten „Saigon Supersound“-Alben einen großen Beitrag
       dabei, unkonventionelle und antiautoritäre Musik aus Vietnam überhaupt
       erhältlich zu machen, ohne dabei zu tief in den Untergrund tauchen zu
       müssen.
       
       ## Klebrige Vibes
       
       Eine sozialistische Republik sollte für eine anständige [3][Subkultur] doch
       prädestiniert sein. Wenn man sich allerdings die sogenannte Punk-Band
       Lenatic Bubble Gum Hipsters anhört, überwiegt vor allem das grauenvoll
       Trashige: Klebrige Spielautomaten-Vibes und wieder viel Plastiksound.
       Musik, so flach wie ein Crêpe inklusive Erfüllung sämtlicher Klischees. Die
       Erschaffung einer eigenen Idee ist ja schon deshalb bedeutsam, um die
       Einflüsse zu verdeutlichen. Ohne Ehrfurcht.
       
       So scheuen die Macher:innen von „Saigon Soul Revival“ nicht davor zurück,
       Minh Kỳ (1930–1975) zu rezipieren. Der Komponist und Musikwissenschaftler
       hatte für Vietnam große Bedeutung. Er war in der Lage, die Emotionen, die
       der Krieg mit sich bringt, in Musik auszudrücken. Nach dem Fall Saigons,
       1974, ist er wie viele andere in ein Umerziehungslager gekommen und dort
       ein Jahr später bei einen Granatenangriff gestorben.
       
       Der Titel „Tình Nhạc Sỹ“ verdeutlicht den Terminus seiner Kunst.
       Unseligerweise wurde daraus eine Big-Band-Version, die dazu etwas plump ist
       und Kỳ nicht gerecht wird. Ausgerechnet, denn es handelt von der Liebe zur
       Musik. In der Kỳ sehr poetisch zu dichten wusste: „Die Saiten machen die
       Dunkelheit so glatt wie Seide / In der Nacht schreien die Saiten in Trauer
       / Saiten, die zu gleichgültigen Seelen vibrieren“.
       
       Erfrischend und lebhaft hingegen klappt die Umsetzung von „Hào Hoa“
       (Casanova) bei der Sängerin Nguyễn Anh Minh, die zwischen Sprechgesang und
       klassischer Ballade changiert. Und das Saxofonsolo sowie der Gastpart von
       Rapper Blacka sorgen für aufregende Verwirrung.
       
       Saigon Soul Revival widmet sich also dem goldenen Zeitalter, alles in allem
       mit Gewinn, es belebt nicht nur wieder, sondern gestaltet auch neu. Darum
       sind neben Interpretationen auch eigene Stücke vorhanden. „Nào Ta Cùng Hát“
       (Lasst uns singen) etwa. Kaum eine andere Tondichtung geht dabei so
       konzentriert zurück zur traditionellen vietnamesischen Musik: Instrumental
       untermalt durch die Wölbbrettzither Đàn tranh und die einsaitige
       Kastenzither Đàn bầu,ist die Bandhymne auch die ausdrucksstärkste. Damit
       treffen sie die goldene Mitte: Erhalt des Alten und bestenfalls eine
       Motivation für junge Vietnamesen, weniger Plastik zu konsumieren.
       
       26 Dec 2019
       
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