# taz.de -- Neuerungen im Religionsunterricht: Lehrer sollen in die Kirche
       
       > In Hamburg dürfen Lehrer in Zukunft ohne Mitgliedschaft in der Kirche
       > keinen „Religionsunterricht für alle“ mehr geben. Bisher wurde das
       > toleriert.
       
 (IMG) Bild: In Hamburg künftig nur noch mit Kirchenmitgliedschaft: der Religionsunterricht „für alle“
       
       HAMBURG taz | In Hamburg müssen in Zukunft alle Lehrer, die „Religion für
       alle“ unterrichten, einer Kirche angehören. Von dieser Implikation war
       nicht groß die Rede, als Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) Ende
       November ein neues Konzept vorstellte. Dort sprachen alle anwesenden
       Religionsvertreter von den Vorzügen des „bundesweiten Vorreiterprojektes“.
       
       Schon seit vielen Jahren gibt es in Hamburg den „Religionsunterricht für
       alle“ (Rufa), den zwar die evangelische Kirche verantwortet, der aber auch
       die anderen Weltreligionen im Lehrplan hat. Künftig werden auch
       muslimische, alevitische und jüdische Religionslehrer diesen Unterricht mit
       erteilen, so wie es in einem Pilotprojekt an der Kurt-Tucholsky-Schule im
       Stadtteil Altona erprobt wurde. Name des Ganzen: „Rufa 2.0“.
       
       „Die Zahl der Kinder, die nicht christlich oder gar nicht glauben, steigt“,
       sagte Senator Rabe bei der Vorstellung des Konzeptes. Sie hätten Anspruch,
       in ihrem Glauben an der Schule unterrichtet zu werden. Den Weg anderer
       Länder – eine Aufsplittung in bis zu 13 Religionsfächer – wolle Hamburg
       vermeiden. Gegenwärtig werden an der Uni Hamburg Lehrkräfte in islamischer
       und alevitischer Theologie ausgebildet, die sukzessive in die Schulen
       kommen. Ziel ist ein Verhältnis in der Lehrerschaft, das dem der
       Schülerschaft entspricht.
       
       Das gemeinsame Lernen sei „eine wunderbare Idee für unsere religiös und
       kulturell vielfältige Stadt“, sagte Rabe. Der Pilotversuch habe gezeigt,
       dass es funktioniert, ergänzte Bischöfin Kerstin Fehrs. „Religion ist
       nichts Trennendes, sondern etwas, worüber man diskutieren kann.“ Auch die
       Vertreter der Schura, der Ditip, des Verbands der islamischen
       Kulturzentren, der Jüdischen Gemeinde und der Alevitischen Gemeinde
       äußerten sich optimistisch.
       
       Der Vertreter der Katholischen Kirche, die noch überlegt, ob sie in Hamburg
       bei Rufa 2.0 mitmacht, sprach den heiklen Punkt kurz an. Die Perspektive
       dafür sei nun da. Denn unter anderem sei künftig durch die
       „religionsgemeinschaftliche Beauftragung“ sichergestellt, dass die
       Lehrkräfte „selbst im Glauben stehen“. Gemeint ist ein Vorgang, der
       evangelisch „Vokation“, katholisch „Missio Canonica“ und muslimisch
       „Idschaza“ heißt.
       
       Was da nun „sichergestellt“ ist, hat für 2.000 bis 3.000 Lehrer in Hamburg
       und Schleswig-Holstein große Bedeutung. So hoch ist laut Nordkirche die
       Zahl derer, die Religion „fachfremd“ unterrichten. Und für die, (wie auch
       für Religionslehrer, die schon im Schuldienst sind), wurde bisher nicht
       überprüft, ob sie in der Kirche sind. „Das war nicht Bestandteil der
       Akten“, sagt der frühere Schulleiter und SPD-Politiker Gerhard Lein. Es
       habe gereicht, dass ein Lehrer den Lehrplan unterrichtet.
       
       Aus einem Schreiben der Nordkirche an Lehrer in Schleswig-Holstein im
       Oktober geht hervor, dass diese sich 2018 eine „Vokationsordnung“ gab, um
       eine „rechtliche Lücke“ zu schließen. Es habe sich gezeigt, dass die Zahl
       der Religionslehrkräfte im Land nicht ausreiche und viele Schulen daher nur
       die Möglichkeit hatten, „fachfremde“ Lehrkräfte einzusetzen, die
       „dankenswerterweise“ diesen Unterricht mit abdecken, jedoch ohne Vokation.
       
       Um auch diesen Lehrern den Weg dazu „frei zu machen“, sind für den 27. März
       in Hamburg und den 28. August in Kiel „Vokationstage“ geplant. Lehrer, die
       schon zwei Jahre fachfremd unterrichten, müssen nur dort hinkommen und in
       die Kirche eintreten.
       
       Laut Kirchensprecher Stefan Döbler haben schon rund 700 Lehrer diese
       nachträgliche Vokation beantragt, „etwa zur Hälfte aus Hamburg und
       Schleswig-Holstein“. Döbler sagt, das Vokationgesetz habe mit dem neuen
       Rufa 2.0 nichts zu tun und sei nur Folge einer „Rechtsangleichung“
       innerhalb der erst 2012 fusionierten Nordkirche. Auf die Frage, ob künftig
       Lehrer, die nicht in der Kirche sind, noch Religion unterrichten dürfen,
       antwortet Döbler: „Nein. Das war auch bisher nicht möglich“.
       
       Konny Neumann ist Vorsitzender des „Säkularen Forums Hamburg“ und
       kritisiert diesen Vorgang. „Die Nordkirche ist gerade auf Missionskurs.“
       Auch Lein findet es beachtenswert, wenn die evangelische Kirche wieder die
       Vokation verlangt. Denn so erhalte der Rufa wieder „einen starken
       kirchlichen Akzent“. „Die früher häufig religionskundliche Praxis des
       Unterrichts gerät so unter Druck“, schrieb er nun in einer Anfrage an den
       Senat. „Diese Entwicklung ist vielen Eltern nicht bekannt.“ Und in Hamburg
       gibt es bis Klasse 6 ohnehin nur Rufa und eben kein säkulares
       Alternativfach – wie etwa in Schleswig-Holstein mit Philosophie ab Klasse
       1.
       
       ## Ältere Lehrer stolz auf liberale Tradition
       
       Laut Grundgesetz dürfen Eltern ihr Kind vom Religionsunterricht abmelden,
       was in Hamburg kaum einer tut. Die Stundentafel bietet keine Alternative,
       aber die Kinder werden betreut. Lein wollte wissen, ob die Eltern bei der
       Anmeldung ihrer Kinder auf die stärkere Kirchennähe hingewiesen wurden.
       Darauf erklärt der Senat, in diesem Schuljahr sei eine religiöse
       Beauftragung noch „keine Voraussetzung, um das Fach Religion zu erteilen“.
       Diese Vorgabe werde erst im Jahr 2022 verbindlich.
       
       Eine Kirchenmitgliedschaft sei schon bisher bei der Examenszulassung nötig
       gewesen, erklärt Birgit Korn von der Hamburger Religionslehrervereinigung.
       Aber es hätten in der Praxis viele Lehrkräfte auch so das Fach
       unterrichtet, auch wegen der „Hamburgensie“ des „Religionsunterrichts für
       alle“. Die Diskussion um die Einführung der Vokation in der Lehrerschaft
       sei „sehr kontrovers“, so Korn. „Die ältere Generation war relativ stolz
       auf die liberale Tradition in Hamburg.“ Es gebe unterschiedliche Gründe,
       aus der Kirche auszutreten. „Wir verlieren einige tolle Fachkollegen durch
       die Einführung der Vokationsordnung.“
       
       ## Glücklich auch ohne Gott
       
       Auf der anderen Seite sei das Verhältnis der Lehrkräfte, die das Fach zum
       Teil ohne jede theologische und religionspädagogische Ausbildung oder
       Fortbildung erteilten, zur hier verantwortlichen evangelischen Kirche
       „ungeklärt“, und hätte unter den Bedingungen des neuen, von mehreren
       gleichberechtigt verantworteten Rufa 2.0 „auf jeden Fall einer Veränderung
       bedurft“.
       
       „Wenn die Nordkirche die anderen auf Formalien hinweist, ist sie selber in
       der Pflicht, die Vokatio zu verlangen“, räumt Wolf E. Merk, Sprecher des
       Säkularen Forums ein. Doch die meisten Kinder, etwa 60 Prozent, seien
       konfessionsfrei. „Wir wollen, dass im Curriculum auch diese Kinder
       berücksichtigt sind, wie alle anderen.“ Die religiösen Kinder müssten auch
       lernen, was die konfessionsfreien für richtig halten, und dass man „ohne
       Gott glücklich werden kann“.
       
       11 Feb 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
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