# taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Gegen den Coronafrust
       
       > Mit dem Sampler „Zurück in die Zukunft“ sammeln 47 Bands Geld für einen
       > feinen Berliner Club. Und JJ Weihls schubst uns in eine
       > Synthie-Parallelwelt.
       
 (IMG) Bild: Italo-Disco-Synthie-Nebel: JJ Weihls Soloprojekt Discovery Zone
       
       Hört man den Titel „Zurück in die Zukunft“, so hat man als in den
       Achtzigern sozialisierter Mensch wohl direkt Marty McFly und Doc Brown aus
       dem gleichnamigen Kinoklassiker vor Augen. Um Zeitreisen geht es bei der
       Kompilation dieses Namens allerdings weniger – vielleicht abgesehen von der
       Tatsache, dass man sich gern in eine Zeit vor Corona zurückbeamen würde.
       
       Denn da fanden noch regelmäßig Konzerte im Berliner Club „[1][Zukunft am
       Ostkreuz]“ statt, was aus bekannten Gründen erst mal flach fällt. Weil der
       Veranstaltungsort dadurch finanziell in die Bredouille gerät, ist jetzt der
       Soli-Sampler „Zurück in die Zukunft“ erschienen. Insgesamt 47 Bands, die
       dem Club nahestehen, haben einen Song beigesteuert, die meisten aus den
       Genres Metal, Stoner Rock, Punk und Postpunk.
       
       Zum einen zeigen die mehr als vier Stunden Musik, für welche musikalische
       Breite (und Breitseite) das Zukunft steht. Da wären Gruppen wie die
       gefeierte Black-Metal-Band Sun Worship, die hier mit einem 12-minütigen
       unterschwelligen Gewummer und Geballer aufwartet; da wären die Post-Punks
       von Pigeon, die mit „Scars“ einen neuen Song veröffentlichen; da wären
       Gaffa Ghandi mit einem Stoner-/Metal-/Mathrock-Gebräu oder auch die
       unermüdliche Berliner Hardcoreband Henry Fonda mit dem wütend
       runtergebolzten Stück „Count Me Out“.
       
       ## Dass das Zukunft am Ostkreuz eine Zukunft hat
       
       Zum anderen eignet sich der Sampler auch perfekt, um den Coronafrust zu
       bekämpfen. So widmet sich eine Gruppe namens Darlingrad in „Zukunftsangst
       is the Zeitgeist“ humorvoll dem seltsamen Lebensgefühl anno 2020 („Jeder
       sagt in der Zukunft wird alles besser/ doch ich hab erst ein Bier“), die
       Punkcombo DxBxSx besingt die Ödnis der Quarantäne („It's so lockdown“), und
       die Doom-Metal-Band Praise The Plague („Lob der Pest“) qualifiziert sich
       schon qua Bandname für die Seuchenthematik (aber die Musik ist auch gut).
       
       Viele lokale Acts sind dabei, man bekommt nebenbei einen guten Überblick,
       was in den härteren Rock-Genres in Berlin aktuell so geht. Und wer dafür
       sorgen will, dass das Zukunft am Ostkreuz eine Zukunft hat, ist hier
       sowieso richtig.
       
       In welche Zukunft wir steuern oder uns steuern lassen, das ist in gewisser
       Weise auch Thema auf dem Album „Remote Control“ von [2][Discovery Zone].
       Discovery Zone ist das Soloprojekt von JJ Weihl, die man als Sängerin und
       Gitarristin der Post-Hippie-Psychedelic-Popper [3][Fenster] kennt.
       Kontrollieren wir die Zukunftstechnologien noch oder oder kontrollieren sie
       uns schon? Das fragt sich Weihl leitmotivisch auf „Remote Control“
       („Fernbedienung“) und lässt einen Roboter namens Sophia in einem Sample
       auftreten, der ein Gespräch mit seinem Erfinder führt.
       
       Musikalisch zappt Weihl sich und uns in die große Synthie-Ära der späten
       siebziger und frühen achtziger Jahre. Während einige Songs von einem Hauch
       Italo-Disco-Kunstnebel umweht sind, kommen einem bei anderen Tracks
       Synthesizer-Fetischisten wie Jean-Michel Jarre oder Vangelis in den Sinn.
       
       Über die Synthieflächen und die 808-Beats legt Weihl ihren teils
       watteweichen („Dance II“), dann vocodermäßig verfremdeten Gesang („Remote
       Control“). So schubst sie uns sanft eine wohlige Synthie-Parallelwelt, in
       der kein Virus namens SARS-CoV-2 existiert.
       
       25 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://zukunft-ostkreuz.de/
 (DIR) [2] https://discoveryzone1.bandcamp.com/releases
 (DIR) [3] https://fenster.bandcamp.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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