# taz.de -- Nachruf auf Emilija Mitrović: Kämpferin für jene am Rand
       
       > Emilija Mitrović hat sich für die Rechte von Huren und Papierlosen
       > eingesetzt. Nun ist die Sozialwissenschaftlerin und Gewerkschafterin
       > gestorben.
       
 (IMG) Bild: Emilija Mitrović beim taz-Streitgespräch über Prostitution am Hansaplatz im Januar 2012
       
       HAMBURG taz | Emilija Mitrović ist tot. Sie starb im Alter von 67 Jahren.
       Die Hamburger Sozialwissenschaftlerin kämpfte für die Rechte von
       Sexarbeiterinnen, Papierlosen und Migranten und hat durch ihre Studien,
       wissenschaftlichen Recherchen und Bücher unter anderem zum Thema „Der
       gesellschaftliche Wandel im Umgang mit Prostitution“ viel Anerkennung und
       Renommee erreicht.
       
       Mitrović gilt zudem als Pionierin in der Dienstleistungsgewerkschaft
       Ver.di, was gewerkschaftliches Engagement in Berufsfeldern mit prekärer
       Beschäftigung in der Arbeitswelt angeht. Denn genau diese prekären
       Beschäftigungsverhältnisse hatten die traditionellen Gewerkschaften des
       Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) lange Jahre nicht im Blick hatten.
       
       Emilija Mitrović ist am 18. Juli 1953 im serbischen Belgrad
       (Ex-Jugoslawien) geboren worden und hat eine heute 31-jährige Tochter. Seit
       25 Jahren lebte Mitrović in Hamburg und lehrte 20 Jahre lang als freie
       Sozialwissenschaftlerin und Dozentin an der Hochschule für angewandte
       Wissenschaften Hamburg (HAW) und an der Evangelischen Fachhochschule Rauhes
       Haus.
       
       Bundesweit bekannt wurde Mitrović 2004 durch ihre Studie „Arbeitsplatz
       Prostitution“, die sie auf dem gleichnamigen Kongress von Ver.di. in
       Hamburg vorstellte. Zwei Jahre lang hatte Mitrović für die HAW und den
       Bundesvorstand von Ver.di bundesweit erforscht, ob durch das am 1. Januar
       2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz für die Sexarbeiterinnen eine
       Verbesserung eingetreten ist. Das Gesetz, beschlossen von der rot-grünen
       Bundesregierung, legalisierte die Prostitution und wollte die Arbeit der
       Sexarbeiterinnen durch Sozialversicherungspflicht sowie Arbeitsrechte und
       Arbeitsschutz lenken.
       
       Mitrović hatte nicht nur mit Bordellbetreibern und Vermietern, mit
       Polizisten, Finanzbeamten und Sozialarbeiterinnen über Sexarbeiterinnen
       gesprochen, sondern auch mit vielen Huren. „Überall wird anders mit dem
       Prostitutionsgesetz umgegangen“, fasste Mitrović die Ergebnisse ihrer
       Erhebung zusammen, „aber nirgendwo wirklich zugunsten der Prostituierten.“
       Nahezu keine der befragten Prostituierten habe eine Besserstellung ihrer
       rechtlichen Situation wahrgenommen.
       
       Auf Grundlage von Mitrović’ Studie versuchte Ver.di, den Job der
       Sexarbeiterinnen aus der „gewerkschaftlichen Brille“ neu zu bewerten und
       Emilija Mitrović übernahm die Leitung des Projektbüros „Arbeitsplatz
       Prostitution“ bei Ver.di in Hamburg. Dieses Büro gehört zum Fachbereich 13
       „Besondere Dienstleistungen“ und sollte nicht nur Sexarbeiterinnen
       gewerkschaftlich organisieren, sondern sollte sich auch für die Belange der
       Huren und Prostituierten einsetzen. „Obwohl Prostitution jetzt offiziell
       legal ist, werden Sexarbeiterinnen weiterhin diskriminiert“, konstatierte
       Mitrović damals. „Prostitution ist keine Arbeit wie jede andere, aber es
       müssten dort Rechte wie in jeden anderen Berufe gelten.“
       
       In Hamburg spielte Mitrović in den nächsten Jahren in diesem Bereich eine
       bedeutende Rolle, organisierte den „Ratschlag Prostitution Hamburg“, wo
       sich die Hilfsprojekte und Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen
       zusammengeschlossen hatten. Sie machte gegen das Kontaktanbahnungsverbot
       für Freier auf dem Kiez in Hamburg St. Georg mobil, wodurch der SPD-Senat
       2012 die Prostitution unter dem Deckmantel der Bekämpfung der
       Zwangsprostitution und des Frauenhandels im gentrifizierten Viertel durch
       Bußgelder für Sexkunden auszutrocknen versuchte – vergeblich.
       
       Emilija Mitrović machte 2014 auch gegen das neue Prostitutionsgesetz der
       Großen Koalition mobil, das eine Meldepflicht für Sexarbeiterinnen
       vorschreibt. „Mit der Meldepflicht für SexarbeiterInnen wird das
       gesellschaftliche Stigma gegenüber der Prostitution manifestiert“, sagte
       Mitrović. Sie bringe den Frauen weder Schutz noch verbessere sie die
       soziale und arbeitsrechtliche Situation.
       
       „Eine Berufsgruppe, die aufgrund der Doppelmoral in unserer Gesellschaft
       schon mehrfach diskriminiert ist, darf mit der geplanten Meldepflicht nicht
       noch weiter ausgegrenzt werden“, sagte sie. Diese Umsetzung der
       Meldepflicht habe enorme Konsequenzen für die freie Wahl des
       Arbeitsplatzes. „Wir werden unsere Ver.di-Mitglieder auf jeden Fall
       arbeitsrechtlich unterstützen, wenn sie gegen diese Diskriminierung in
       ihrer Berufstätigkeit vorgehen wollen“, sagte Mitrović damals. Natürlich
       sei dies vor allem ein politisches Signal. „Doch wenn sich eine Frau
       durchringen kann zu klagen, bekommt sie Rechtsschutz.“
       
       2008 schrieb Emilija Mitrović noch in einem Bereich Geschichte, um
       gewerkschaftlicher Ignoranz zu begegnen und ihr ein Ende zu setzen.
       Parallel zum Projektbüro „Arbeitsplatz Prostitution“ leitete sie auch das
       Projektbüro „Undokumentierte Arbeit“ und kam zu dem klaren Fazit:
       „Arbeitsrechte sind Menschenrechte, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.“
       Daher sei es Aufgabe der Gewerkschaften, diese Menschen im Blickfeld zu
       haben. Sonst sei die Gefahr groß, dass sie wegen ihres illegalen Status im
       Job ausgebeutet werden.
       
       Daraufhin rief Ver.di das zweijährige bundesweite Pilotprojekt
       „Gewerkschaftliche Anlaufstelle für MigrantInnen ohne gesicherten
       Aufenthalt“ ins Leben. Die „Papierlosen“ sollten sich bei der Gewerkschaft
       Ver.di organisieren und ihre Arbeitsrechte geltend machen können. Denn
       trotz offener EU-Grenzen verfügten selbst EU-Wanderarbeiter oftmals über
       keine gültige Arbeitsgenehmigung und mussten als Scheinselbstständige bei
       Werkvertragsfirmen ohne Arbeitnehmerschutz arbeiten.
       
       Die Beratungsstelle konnte für einen Arbeiter ohne Papiere vor dem
       Arbeitsgericht Celle durchsetzen, dass ihm sieben Jahre lang vorenthaltene
       Lohnbestandteile in Höhe von 25.500 Euro nachgezahlt wurden. Auch ein
       Au-pair-Mädchen in Hamburg aus Chile bekam einen Großteil vorenthaltener
       Vergütungen nachträglich erstattet. 2010 wurde das Projekt vom DGB-Hamburg
       nach anfänglichen Bedenken der Gewerkschaft der Polizei und der
       Gewerkschaft Bau-Agrar-Umwelt von Ver.di übernommen und als „MigrAr –
       Migration und Arbeit – Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere“ von Mitrović
       mit Erfolg fortgeführt.
       
       Der unerwartete Tod von Emilija Mitrović hat Bestürzung ausgelöst und reißt
       viele Löcher – viele gewerkschaftliche und wissenschaftliche Kolleginnen
       und Kollegen werden ihren Sachverstand sowie ihre Ideen und Expertisen
       vermissen. Am Sonnabend wird sie beigesetzt.
       
       14 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kai von Appen
       
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