# taz.de -- Pädophilie-Komplex Bergisch Gladbach: Missbrauchsprozess beginnt
       
       > Seit Montagmorgen läuft in Köln das Verfahren gegen einen Mann, der seine
       > Tochter missbraucht haben soll. Ermittler fanden bei ihm Spuren zu
       > Tausenden anderen Tätern.
       
 (IMG) Bild: Dem Angeklagten droht anschließende Sicherungsverwahrung
       
       KÖLN dpa | Als der Angeklagte den Saal 210 des Kölner Landgerichts betritt,
       zittert die Hand, mit der er sich einen roten Schnellhefter vor das Gesicht
       hält. Es herrscht maximale Öffentlichkeit. Eine Traube aus Fotografen und
       Kameramännern erwartet Jörg L. – ein Andrang, den selbst das hartgesottene
       Kölner Gericht nicht oft erlebt. Was er getan haben soll, wird ihm in einer
       mehr als einstündigen Anklage referiert: dutzendhafter Missbrauch seiner
       erst 2017 geborenen Tochter. Im Geheimen. Dann, wenn seine Frau fort und er
       alleine mit dem Mädchen gewesen sei. Am Wickeltisch, auf dem Ehebett, im
       Planschbecken.
       
       Jörg L. steht stellvertretend für den sogenannten [1][Missbrauchskomplex
       Bergisch Gladbach], daher das große Interesse. Der Fall erstreckt sich
       mittlerweile auf ganz Deutschland – eine Durchsuchung bei dem Koch und
       Hotelfachmann im Herbst 2019 brachte ihn ins Rollen. Polizisten fanden
       riesige Mengen kinderpornografischen Materials. Und sie stießen auf
       digitale Kontakte zu anderen Männern, die in einer Parallelwelt im Netz
       Bilder und Videos von Kindesmissbrauch austauschen – im Vertrauen darauf,
       unter sich zu bleiben. Mittlerweile gehen Ermittler Spuren zu Tausenden
       Verdächtigen nach.
       
       Ein weiterer Grund für die Bedeutung des Prozesses sind die massiven
       Vorwürfe gegen den 43-Jährigen. Insgesamt 79 Taten werden ihm zur Last
       gelegt. Die meisten betreffen den [2][Missbrauch] seiner sehr kleinen
       Tochter im Einfamilienhaus in Bergisch Gladbach, in dem die Familie
       gemeinsam lebte. Den Großteil der Taten soll er mit seinem Smartphone
       dokumentiert haben, um die Bilder und Videos später an gleichgesinnte
       Männer zu verschicken.
       
       Staatsanwältin Clémence Bangert trägt Details vor, bei denen Beobachtern im
       Saal der Atem stockt. Etwa, wenn sie beschreibt, wie das Mädchen laut
       weinend die Worte „Mama! Nein!“ und „Aua!“ rief. Umso länger Bangert liest,
       desto verstörender wird es. Am Ende kommt sie zu Taten, die der Angeklagte
       gemeinsam mit einem seiner Chat-Partner begangen haben soll – der
       gemeinsame Missbrauch von anvertrauten Kindern, etwa in einer angemieteten
       Suite mit Whirlpool und Sauna.
       
       ## „Es ist schon schwer erträglich“
       
       Der Deutsche – kahl rasierter Kopf, gestutzter Bart – verfolgt das Gesagte
       stumm. Im Herbst 2019 wurde er festgenommen, damit endet der Zeitstrahl von
       Vorwürfen, die im Säuglingsalter seiner Tochter begannen. Vor dem Gericht
       liegt nun viel Arbeit. Die Anordnung einer Sicherungsverwahrung steht im
       Raum. Der Angeklagte, dem bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe drohen, wird
       durch einen psychiatrischen Sachverständigen begutachtet. Am Montag kann
       endlich richtig verhandelt werden – in der Vorwoche kam noch ein Brand
       dazwischen.
       
       Dass die Ermittler eine so umfassende Anklage verfassen konnten, liegt an
       dem umfangreichen Datenmaterial, das sie sicherstellen konnten – Bilder und
       Videos. „Es ist schon schwer erträglich“, sagt der Sprecher der Kölner
       Staatsanwaltschaft, Ulrich Bremer. Aber es gelte, professionell zu bleiben.
       In Köln hat sich eine Ermittlergruppe unter großer Belastung tief in die
       Szene eingegraben.
       
       Jörg L. soll bereits geholfen haben, Chat-Partner zu identifizieren. Am
       Montag erklärt er zudem, sich zu den Vorwürfen einlassen zu wollen. Dafür
       wird aber auf Antrag der Anwältin, die seine Frau und seine Tochter
       vertritt, die Öffentlichkeit aus dem Saal gebeten. Sie will das Mädchen
       schützen, wenn die vorgeworfenen Taten im Detail erörtert werden. Auch die
       Aussage der Mutter soll später ohne Presse erfolgen.
       
       Draußen vor dem Gericht hat sich unterdessen Markus Diegmann mit seinem
       Wohnmobil positioniert. Er ist selbst Opfer sexuellen Missbrauchs geworden,
       wie er berichtet – nun fährt er seit vier Jahren umher, um auf das Thema
       aufmerksam zu machen. Er sagt, dass sei seine Strategie, mit dem
       „Fluchttrieb“ umzugehen, den er nun in sich trage. Die Öffentlichkeit, die
       der Missbrauchsfall Bergisch Gladbach erlebt, Diegmann hätte sie sich schon
       länger gewünscht.
       
       17 Aug 2020
       
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