# taz.de -- Neues Album der Fleet Foxes: Höchste Zeit für den Hund
       
       > Robin Pecknold haut mit seiner Band Fleet Foxes ein lebensbejahendes
       > Album namens „Shore“ raus. Es ist alles andere als modisch geworden.
       
 (IMG) Bild: Vorhang auf: Robin Pecknold
       
       Es war die letzte große Stunde des Mannes an der Gitarre, die
       Folkpop-Welle, die 2008 maßgeblich von zwei Veröffentlichungen angestoßen
       wurde: [1][Bon Ivers] Album „For Emma, Forever Ago“, und dem titellosen
       Werk der Band Fleet Foxes aus Seattle an der US-Westküste. Beide standen
       für eine neue Verletzlichkeit, im Sound wie, so schien es, auch im Leben.
       Der eine hatte ein paar Monate allein in einer Waldhütte verbracht, um über
       eine unglückliche Liebe hinwegzukommen, und dabei unerhört berührende Songs
       zustande gebracht.
       
       Die anderen ließen sich Bärte wachsen, schmissen sich in
       Vintage-Farmerklamotten und sangen im Chor simple Weisen wie das
       kinderreimartige „White Winter Hymnal“. Mit ihren Wiederholungen und
       Stimmüberlagerungen entwickelten [2][Fleet-Foxes-Songs] hypnotische Kraft.
       Und sie erweckten beim Hören den Wunsch, alles stehen und liegen zu lassen
       und in die Natur zu gehen, oder gar ein Handwerk zu erlernen.
       
       Die Sehnsucht, die die Künstler bedienten, war ohne Zweifel auch eine
       Antwort auf die Brutalität der kapitalistischen Gesellschaft. Das
       funktionierte nur kurz, dann kippte diese Musik mit Bands wie Mumford and
       Sons ins Posertum, und die gebrochene Gesangsstimme sprach nicht mehr von
       inneren Nöten, sie war nur noch modischer Effekt.
       
       ## Schlecht für die kreative Ader
       
       Fragt man Robin Pecknold, Mastermind und Sänger der Fleet Foxes, heute nach
       dem Vermächtnis von damals, scheint er aufrichtig überrascht über die Frage
       der taz: „Ich will gar nicht darüber spekulieren, ob ich schon so etwas wie
       ein Vermächtnis habe, das wäre schlecht für meine kreative Ader. Ich bin in
       einer ähnlichen Situation, in der ich war, als wir am Fleet-Foxes-Debüt
       gearbeitet haben: Ich bin unverheiratet, habe keine Kinder, keinen Hund,
       kein Haus. Und ich strenge mich noch genauso an wie 2008, um etwas zu
       erreichen. Ich möchte mich weiter so fühlen, als sei ich auf eine Weise
       wieder am Anfang von etwas. Aber ja, ich hätte gerne einen Hund.“
       
       Ob das wiederum gut für seine Kreativität sei, wisse er nicht, schiebt der
       Mittdreißiger noch nach und lacht. Schön, ihn lachen zu sehen. Dass Robin
       Pecknold etwas verloren wirkt, wie er beim Zoom in seiner New Yorker
       Wohnung am Bildschirm sitzt, liegt sicher auch daran, dass man über seine
       Sozialphobie weiß und dass er bereits früher über seine Suizidgedanken
       gesprochen hat. Pecknold wirkt schüchtern, sehr aufmerksam, fast wachsam
       auf die Reaktionen seines Gegenübers achtend.
       
       Der US-Künstler hat keinen leichten Stand im Jahr 2020, und er scheint das
       zu wissen. Berichte von den eigenen Zweifeln und Beschädigungen sind
       vielleicht das Einzige, was ein aufgeklärtes Publikum von Menschen wie ihm
       überhaupt noch wissen möchte. Darauf angesprochen, überschlägt sich
       Pecknold fast: „Als weiße männliche Person kann ich nur versprechen, dass
       ich so hart arbeiten werde, wie ich kann, um, in den Grenzen meines
       Geschmacks, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen! Im völligen Bewusstsein
       meines Privilegs, und dies nicht zu verschwenden oder mich darauf
       auszuruhen.“
       
       ## Im Angesicht des Todes
       
       Pecknold sagt dies ohne das geringste Anzeichen von Ironie oder Sarkasmus.
       Dass er hart gearbeitet hat, glaubt man ihm, wenn er von der Entstehung des
       neuen Albums „Shore“ berichtet. Angefangen hat er damit vor fast genau zwei
       Jahren, nach einer Tour mit 170 Auftritten. Er wollte danach keine Pause,
       hatte sich vorgenommen, etwas Großes zu schaffen: „Ich wollte Musik
       komponieren, die das Leben feiert im Angesicht des Todes“, schreibt er im
       Begleittext zu „Shore“.
       
       Das Erbe seiner Vorbilder wie [3][Arthur Russell], Nina Simone und Joao
       Gilberto (die Liste ließe sich fortsetzen) wollte er weitertragen, sich
       vielleicht selbst in die Musikgeschichte einschreiben. Damals stand er noch
       unter dem Eindruck des frühen Todes seines Idols, des Musikers und
       Produzenten Richard Swift, der 2018 an Krankheiten im Zusammenhang seiner
       Alkoholabhängigkeit gestorben ist. „Mir ist klar geworden, dass wir nur aus
       einer Sammlung von Erinnerungen bestehen. Wenn man uns diese nimmt, was
       bleibt dann noch? Ich habe darüber nachgedacht, inwiefern ich auch als
       Musiker nur ein Glied in so einer Kette von Erinnerungen bin, indem ich
       musikalische Einflüsse mit mir herumtrage, und hoffentlich auch jüngere
       Menschen mit meinen Songs inspiriere.“
       
       Dass Pecknold mit den Fleet Foxes früheren Musiker*innen-Generationen
       huldigt, ist auch auf „Shore“ nicht zu überhören. Der warme Westcoast-Sound
       der Anfangstage ist immer noch da. Die Songstrukturen sind eher simpel, die
       Besonderheiten liegen in der Ausschmückung, in einer schrägen Klavierlinie,
       die einen hymnischen Song unterbricht, im Einsatz eines Hornquartetts.
       Pecknold singt immer noch mit den Fleet Foxes im Chor, allerdings nur noch
       mit sich selbst.
       
       ## Viel Licht
       
       Viel Licht steckt in dieser Musik, der Sound wirkt weichgezeichnet, im
       berühmten Electro-Vox Studio in Los Angeles durfte Pecknold sich ganz nahe
       an einigen seiner Idole fühlen – das Vibrafon, das schon für das
       Beach-Boys-Album „Pet Sounds“ zum Einsatz kam, ist hier zu hören, eine
       Orgel, auf der Fela Kuti einst gespielt hat, und einiges andere.
       
       Neben einigen Gastmusiker*innen war Pecknolds wichtigste Partnerin bei
       der Arbeit am neuen Album die Toningenieurin Beatriz Artola, die vorher mit
       so unterschiedlichen Künstlern wie Adele, dem Rapper Common und Kylie
       Minogue gearbeitet hat. In der Musik fühlt sich Pecknold zu Hause, mit den
       Texten aber tat er sich schwer. Als die Pandemie die USA erreichte, saß er
       vor einem Haufen Rough-Mix-Instrumentals, ohne ein einzige Textzeile.
       
       Er, der sich ohnehin schon um alles Mögliche sorgt, war monatelang wie
       gelähmt. Im Juni ist er dann immer öfter ins Auto gestiegen, aus der
       Großstadt rausgefahren nach Upstate New York, hat seine Aufnahmen gehört
       und angefangen, zur Musik zu singen. „Ich habe in dieser Zeit auch wieder
       angefangen zu rauchen. Es war das Eingeständnis meiner Schwäche. Und
       kreativ sein bedeutet auch, seine Schwächen zuzulassen, sich den Kräften zu
       beugen, die von außen auf mich einwirken. Ich glaube, wieder zu rauchen hat
       ein paar Türen geöffnet.“
       
       ## Türen zum Selbst
       
       Es waren vor allem Türen zu sich selbst, die sich geöffnet zu haben
       scheinen – viele der Songtexte lesen sich wie Selbsterkundungen, es gibt
       keinen einzigen Lovesong auf diesem Album. Höchstens „Sunblind“ hätte
       diesen Titel verdient, das euphorische zweite Stück, in dem Pecknold
       namentlich seinen verstorbenen Idolen huldigt, einige davon Freunde, wie
       [4][David Berman] von den Silver Jews. Der Tod ist präsent in vielen
       Stücken auf „Shore“, weshalb man sich Sorgen machen könnte um den
       34-jährigen Pecknold, doch das weist er vehement von sich: „Nein, Gedanken
       an Selbstmord liegen mir wirklich fern. Ich versuche doch im Gegenteil
       eher, die Toten am Leben zu halten.“
       
       Im Nachhinein wirkt es, als hätte Pecknold auf seinen langen Autofahrten
       nur herausgefunden, worum es eigentlich geht in der Musik, die er schon im
       Jahr zuvor komponiert hatte. „Shore“ ist ein optimistisches Album mit
       starkem melancholischem Einschlag, das vielleicht sogar von der Versöhnung
       mit dem Tod erzählt. Es ist alles andere als modisch und reiht sich ein in
       die Linie der früheren Fleet-Foxes-Werke. Obwohl Pecknold so viel damit
       vorhatte, wirkt es wesentlich leichter, weniger bemüht als der Vorgänger
       „Crack-Up“. Und es hat mindestens zwei, drei große Stücke, die das Zeug für
       musikalischen Nachruhm haben.
       
       Irgendwo ist Robin Pecknold mit „Shore“ sicher angekommen, vielleicht in
       der Mitte wenigstens seines eigenen Lebens. Wahrscheinlich ist es jetzt
       wirklich Zeit für einen Hund.
       
       26 Sep 2020
       
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