# taz.de -- Kolumne Heult doch!: Sportunterricht kann weg
       
       > Niemand braucht versetzungsrelevanten und phantasielosen Schulsport. In
       > dieser Form gehört Sportunterricht abgeschafft.
       
 (IMG) Bild: Einmal im Jahr Schweiß und Tränen: Bundesjugendspiele
       
       Neulich erzählte mir der Elfjährige, was er so im Sportunterricht gemacht
       habe. Erst habe ich nicht richtig zugehört, es ging um Amöben und Hühner,
       ich dachte, er redet von Nawi, diesem Fach, das früher mal Biologie, Physik
       und Chemie hieß. Jedenfalls, das Kind redete vom Sportunterricht: „Also,
       erst waren wir alle Amöben. Und wenn eine Amöbe gegen eine andere Amöbe
       gewinnt …“ – „Häh, wie gewinnt?“, fragte ich. „Also, wenn die Amöbe bei
       Schere-Stein-Papier gewinnt …“ – „Das kann man auch als Laufspiel
       spielen?“, fragte ich treuherzig. „Boah Mann, Mama“, sagte das Kind.
       
       Und dann erklärte er mir geduldig, dass eine siegreiche Amöbe zum Huhn
       würde, die siegreichen Hühner sich um den Titel „Affe“ duellierten und die
       „Affen“ wiederum zu „weisen Männern“ werden können. „Und die weisen Männer
       duellieren sich dann mit dem Oberboss“, sagt er begeistert. Der „Oberboss“
       ist in dem Fall seine Klassenlehrerin, die die „weisen Männer“ ziemlich
       plattgemacht habe, wie mir berichtet wird.
       
       Ich bin begeistert. „Und das war sicher Sportunterricht?“ Jaja, sicher,
       sagt der Sohn. Und man müsse doch wohl nicht immer rumrennen im Sport?!
       
       Das Kind hat recht. Es gibt – wunderbare Ausnahmen bestätigen die Regel –
       kaum eine Veranstaltung, die demütigender und fantasieloser sein kann als
       der Sportunterricht in den Schulen hierzulande.
       
       ## Mit solchen „Angeboten“ wird das nichts
       
       Ich sage das nicht, weil ich mit Sport nichts am Hut habe, eher im
       Gegenteil. Zu Schulzeiten habe ich einige Jahre lang im Jugendfördersystem
       des Deutschen Leichtathletikverbands zugebracht.
       
       Im Schulsport war ich trotzdem oft eher miserabel. Im Basketball, weil man
       mir aufgrund von unzulänglicher Körpergröße für diese Sportart immer so
       gut den Ball wegnehmen konnte. Oder im Volleyball, weil ich da unter dem
       Netz durchgehen konnte, aber den Ball nie rüberbekommen habe. Hätte ich
       das Laufen nicht zufällig für mich selbst entdeckt, der Schulsport hätte
       mich nicht für Sport begeistert.
       
       Natürlich verstehe ich die Grundidee, wieso man auch solche Kinder
       wiederholt an Turnstangen hängen muss, deren Körper ganz offensichtlich
       niemals elegant die Schwerkraft überwinden werden. Kinder sollen sich
       bewegen. Ist gut für sie, ist auch noch gut, wenn man groß ist, und was
       Hänschen nicht kapiert, etc pp. Also macht der deutsche Schulsport
       „Angebote“, klar. Ich glaube nur, so wie das mit den „Angeboten“ seit
       Langem läuft, wird das nichts.
       
       ## Zwei Runden nörgelnd rennen
       
       Neulich bin ich auf der Laufbahn gewesen, da hatte eine Grundschulklasse
       Sport. Die beiden Sportlehrerinnen stellten die Kinder in Zweierreihen auf
       die Kunststoffbahn, bliesen in ihre Trillerpfeifen und motzten rum, wenn
       der 50-Meter-Sprint nicht „durchgezogen“ wurde. Die dickeren Kinder
       schämten sich neben den schnellen Fußball-Kids. Alles so, wie es schon
       immer war.
       
       Eine andere Klasse musste zwei Runden um die Bahn rennen, es gibt kaum
       etwas Einfallsloserers. Nach 100 Metern schlurften drei Viertel der Klasse
       nörgelnd um den Platz, wer will es ihnen verdenken.
       
       Das ist ungefähr das Gegenteil von motivierend. Manches, was ich so sehe
       auf dem Sportplatz, ist bloßstellend. Und dass man etwa im Basketball für
       die Unzulänglichkeit seiner Körpergröße bewertet wird, an der man nichts
       ändern kann, dass das bis zum Abitur versetzungsrelevant bleiben kann, ist
       schlicht ungerecht.
       
       Ich glaube, dass man durchaus mehr Kinder zu begeisterten
       800-Meter-LäuferInnen machen könnte, wenn es keinen Schulsport gäbe.
       Vermutlich müsste man ein bisschen nachhelfen bei der Freiwilligkeit, ein
       verpflichtendes Sport-AG-Angebot nachmittags an den Schulen oder so etwas
       wäre bestimmt toll. Ganztagsschule heißt diese alte Erfindung, allerdings
       scheitert sie in Berlin oft an so praktischen Dingen wie nicht vorhandenden
       Turnhallen.
       
       Bis dahin freue ich mich über jegliche innovativen Ansätze im
       Sportunterricht, von denen ich erfahre. Mein Sohn hat übrigens gegen den
       „Oberboss“ verloren. Er war dann wieder eine glückliche „Amöbe“.
       
       10 Oct 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Klöpper
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Heult doch!
 (DIR) Schulsport
 (DIR) Bildung
 (DIR) Sport
 (DIR) Schulsport
 (DIR) Schulsport
 (DIR) Heult doch!
 (DIR) Heult doch!
 (DIR) Heult doch!
 (DIR) Kita
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Sportprofessorin über Bundesjugendspiele: „Leistungsgedanke bleibt wichtig“
       
       Der Sportprofessorin Ina Hunger gehen die Änderungen bei den
       Bundesjugendspielen nicht weit genug. Diese verfehlten die Ziele modernen
       Schulsports.
       
 (DIR) Bundesjugendspiele gehören abgeschafft: Ein traumatisches Ereignis
       
       Seit 1979 müssen Kinder zeigen, wie gut oder schlecht sie rennen, werfen
       und springen können. Dass das jetzt etwas lockerer werden soll, hilft
       nichts.
       
 (DIR) Noten für Sport, Kunst und Musik: Nicht nur das Ergebnis zählt
       
       Thüringens Bildungsminister Holter will die Fächer Sport, Kunst und Musik
       anders benoten. Der Vorstoß stößt vor allem bei der CDU auf wenig
       Gegenliebe.
       
 (DIR) Kinder und ihre Weihnachtswünsche: Was zum Teufel ist eine „Nerf“?
       
       Dem Weihnachtsmann die Schuld an unerfüllten Wünschen überzuhelfen
       funktioniert nicht mehr. Der Nachwuchs ist schlauer – und will eine
       Spielzeugwaffe.
       
 (DIR) Kolumne Heult doch!: Leiden muss nur der Dino
       
       Das entspannte Beziehungsleben eines Fünfjährigen: Was man von Kindern
       übers Verliebtsein lernen kann.
       
 (DIR) Kolumne Heult doch!: Eis oder Staub?
       
       Ist doch eigentlich schön, wenn Kinder langweilige Fragen wie die, wie es
       auf dem Spielplatz war, einfach ignorieren. Und eigene Themen einbringen.
       
 (DIR) Kolumne Heult doch!: Kopffüßler im letzten Kitajahr
       
       Man könnte das letzte Kitajahr einfach genießen – wenn nicht Kinderärzte
       und Erzieherinnen den Zoom auf das künftige Schulkind richten würden.