# taz.de -- Scheuer im Maut-Untersuchungsausschuss: Widersprüche bleiben stehen
       
       > Hat der Verkehrsminister den Bundestag angelogen? Im
       > Untersuchungsauschuss zum Maut-Desaster steht Aussage gegen Aussage.
       
 (IMG) Bild: Nachts, wenn alles schläft: Andreas Scheuer vor seiner Aussage
       
       BERLIN taz | Die Verzögerungstaktik der Regierungsfraktionen ist
       aufgegangen. Es ist kurz vor halb zwölf nachts, als Bundesverkehrsminister
       Andreas Scheuer (CSU) den Sitzungssaal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
       betritt. Die großen Nachrichtensendungen sind längst vorbei, dort hat es
       keine Bilder von Scheuer vor dem Untersuchungsausschuss zum gescheiterten
       Pkw-Maut-Projekt der CSU gegeben.
       
       Für [1][den angeschlagenen Minister] könnte es keinen besseren Zeitpunkt
       für die Aussage vor dem Untersuchungsausschuss geben als diese
       Donnerstagnacht. Die Plätze auf der Pressetribüne sind zwar bis zum frühen
       Morgen gut besetzt. Aber am Samstag erscheinen wegen des
       Vereinigungsfeiertags keine Tageszeitungen. Wenn sie am Montag über die
       Sitzung überhaupt berichten, dann wohl nur noch kurz.
       
       Ausgerechnet an diesem 1. Oktober 2020 muss Scheuer vor dem
       Untersuchungsausschuss erscheinen. Dem Tag, an dem die Pkw-Maut in
       Deutschland starten sollte. Scheuer hatte mit der für den Betrieb
       ausgewählten Betreibergesellschaft einen Vertrag geschlossen, obwohl noch
       ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dazu ausstand. [2][Die
       Richter kassierten die Maut] im Juni 2019 wegen Diskriminierung von
       EU-BürgerInnen. Daraufhin kündigte das Verkehrsministerium den Vertrag
       wegen angeblicher Mängel. Die Betreiberfirmen fordern seitdem einen
       Schadenersatz von mehr als einer halben Milliarde Euro.
       
       In bislang 27 Sitzungen hat der Ausschuss die näheren Umstände beleuchtet
       und dabei eine Reihe von groben Verstößen etwa gegen das Vergaberecht bei
       der Auswahl der Betreiber festgestellt. Scheuer sollte eigentlich erst viel
       später aussagen, wenn alle wichtigen Zeugen angehört wurden. Aber im Raum
       steht der Verdacht, dass er den Bundestag angelogen hat. Medienberichten
       zufolge sollen die Betreiber eine Verschiebung des Vertragsabschlusses bis
       nach der Urteilsverkündung angeboten haben. Das hat Scheuer bei einer
       Fragestunde im Bundestag abgestritten. An diesem Donnerstag will der
       Untersuchungsausschuss die Sache klären.
       
       Scheuer steht aufrecht, aber angespannt hinter einem Stuhl, als vor seiner
       Vernehmung Fotografen für Aufnahmen in den Sitzungssaal 3.101 gelassen
       werden. Er hat etliche Unterlagen mitgebracht, und – obwohl es Wasser, Cola
       und Saft gibt – eigene Getränke. Er stellt eine Plastikflasche mit einer
       hellgelben Flüssigkeit auf den Tisch, öffnet sich trotzdem eine kleine
       Mineralwasserflasche. Bevor die Befragung beginnt, hält er eine Art
       Kurzreferat über die Maut. „Als ich antrat, war die Infrastrukturabgabe
       gesetzt und ihre Umsetzung grundgesetzliche Pflicht“, liest er vor.
       
       ## Zeugen belasten Scheuer
       
       Vor Scheuer haben seit dem Vormittag vier Zeugen ausgesagt. Den vierten
       Zeugen, den beurlaubten Verkehrsstaatssekretär und derzeitigen
       Toll-Collect-Chef Gerhard Schulz, hat die Union sehr kurzfristig geladen.
       Dadurch hat sich Scheuers Befragung in die Nacht verschoben. Schulz hat
       Scheuer entlastet, nachdem ihn drei Männer zuvor belastet haben. Dabei geht
       es um ein Arbeitsfrühstück am 29. November 2018, an dem Scheuer, Schulz und
       die beiden Chefs der Firmen Eventim und Kapsch teilnahmen, denen das
       Unternehmen Autoticket gehört, mit dem am 30. Dezember 2018 der Vertrag für
       den Betrieb der Maut geschlossen wurde.
       
       Der erste Zeuge Volker Schneble, Geschäftsführer von AutoTicket, war nicht
       bei dem Treffen dabei, weil Staatssekretär Schulz um sein Fernbleiben
       gebeten hatte. Er wartete am 29. November auf dem Parkplatz des
       Verkehrsministeriums auf seine Chefs. Nach dem Treffen habe ihm der
       Eventim-Vorstandsvorsitzende Klaus-Peter Schulenberg berichtet, dass dieser
       selbst dem Minister eine Verschiebung des Projekts bis nach der
       Urteilsverkündung angeboten habe, sagt Schneble.
       
       Er habe sich nach diesem Gespräch drei Stichworte aufgeschrieben, darunter
       „EuGH“. Daraus hat er vor kurzem ein Gedächtnisprotokoll als Vorbereitung
       für eine Aussage vor dem Ausschuss gemacht. [3][Dieses Papier] war in der
       vergangenen Woche öffentlich geworden und hatte für erhebliche öffentliche
       Empörung gesorgt.
       
       Schulenberg, ein gediegener Hamburger Kaufmann, bestätigt bei seiner
       Aussage im Untersuchungsausschuss, dass er Scheuer vorgeschlagen hat, die
       Vertragsunterzeichnung zu verschieben. „Der Minister lehnte es entschieden
       ab, mit der Unterzeichnung des Vertrags bis nach der Urteilsverkündung zu
       warten“, sagt er. Denn Scheuer habe die Maut unbedingt 2020 starten wollen.
       
       ## Der Minister sollte Zeit gewinnen
       
       Hintergrund des Angebots war laut Schulenberg nicht die fehlende
       Rechtssicherheit. Der Minister sollte Zeit bekommen, die Lücke von einer
       Milliarde Euro zu füllen, die zwischen bewilligten Haushaltsmitteln und der
       Kalkulation der Betreiber bestand. Im November 2018 hielten die es für
       unrealistisch, bis Jahresende mit dem Verkehrsministerium handelseinig zu
       werden – was schließlich aber zulasten der Steuerzahlenden gelang.
       
       Von dem Vorschlag erzählte der Eventimchef nach eigener Aussage nicht nur
       Schneble, sondern auch seinem Vorstandskollegen, seinem PR-Berater und
       seinem Finanzvorstand. Sie werden möglichweise im Untersuchungsausschuss
       noch als Zeugen geladen werden. Der Vorstandsvorsitzende des
       österreichischen Mautbetreibers Kapsch, Georg Kapsch, bestätigt die
       Aussage. Er habe bei dem Treffen am 29. November seinem Geschäftspartner
       Schulenberg den Vortritt gelassen, so wie der ihm in Österreich wohl den
       Vortritt gelassen hätte. „Er hat das Angebot gemacht, wenn wir Zeit
       brauchen, können wir gleich das Urteil abwarten“, berichtet er. Ihm wäre
       das recht gewesen, er hätte dann andere Projekte betrieben.
       
       Doch Scheuer und sein beurlaubter Staatssekretär Schulz bestreiten, dass
       bei dem Arbeitsfrühstück so ein Vorschlag gemacht wurde. „Ein Angebot von
       Herrn Kapsch oder Herrn Schulenberg, wir können doch warten mit dem
       Vertragsabschluss bis nach dem Urteil, hat es meiner Erinnerung nach nicht
       gegeben“, sagt Schulz bei seiner Befragung, die um Viertel vor neun am
       Abend beginnt.
       
       Er sagt das in mehreren Varianten, immer mit dem Zusatz „nach meiner
       Erinnerung“ – die nicht besonders gut ist. Von acht Punkten, um die es in
       dem Gespräch ging, kann er sich nur an drei erinnern. Er laviert, will
       Etliches nicht ausschließen und nicht bestätigen. „Aus dem
       Entlastungszeugen ist ein Belastungszeuge geworden“, sagt der grüne
       Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn nach der Befragung. Trotzdem: Die
       Aussage ist ein Punkt für Scheuer, Aussage steht gegen Aussage.
       
       ## Scheuer ist gut vorbereitet
       
       Kurz vor der Vernehmung des Ministers ist das Licht im Raum für einen
       Moment ausgegangen. Es ist kein böses Omen für Scheuer. Wenn er gegen halb
       fünf am Morgen den Raum verlassen wird, geht er nicht als Geschlagener.
       Scheuer verfolgt in der Nacht zum Freitag die gleiche Linie wie sein
       beurlaubter Staatssekretär. Er kann sich an ein Angebot von Schulenberg
       nicht erinnern, will es aber auch nicht ausschließen.
       
       Er wollte sich einen persönlichen Eindruck von den Betreibern verschaffen,
       erklärt er das Arbeitsfrühstück mit dem Eventim-Chef und Kapsch. Scheuer
       ist gut vorbereitet, er zieht gezielt Unterlagen aus seiner Mappe, wenn es
       um Detailfragen geht, etwa andere Bewerber für das Mautprojekt. Er kann für
       etliche andere Treffen genau sagen, wer daran teilgenommen und wo er
       gesessen hat. Eine Reihe von Fragen beantwortet er mit Hinweis auf die
       Vertraulichkeit, die er wahren müsse, und das laufende Schiedsverfahren mit
       den Betreibern.
       
       „Man tut ja immer so, als hätten da zwei Wohlfahrtsverbände gesessen“, sagt
       er zu der Frage, was er den Betreibern versprochen hat, damit die ihr
       Angebot senken – und gibt keine Antwort.
       
       Die Abgeordneten versuchen, den Minister mit ihren Fragen in die Bredoullie
       zu bringen. Es gelingt ihnen nicht. Zum Ende der fünfstündigen nächtlichen
       Befragung wird sein Ton gereizter, aber er gewinnt zunehmend Oberwasser.
       Auf die Frage, warum es kein Protokoll des Arbeitsfrühstücks gibt, sagt
       Scheuer: „Das werden Sie auch nicht bekommen, weil wir sind nicht wie der
       Herr Schneble, der nach zwei Jahren ein Protokoll erstellt.“
       
       Die Union sieht Scheuer nach der Sitzung entlastet, Grüne, FDP und
       Linkspartei nicht. Die SPD ist unentschieden. „Der Tag hat nicht die nötige
       Klarheit gebracht, die wir uns erhofft haben“, sagt die
       SPD-Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann. Die ehemalige Polizistin ist die
       beste Vernehmerin im Ausschuss, keinE andere kann so präzise und
       treffsicher Fragen stellen und die Ergebnisse zusammenfassend auf den Punkt
       bringen.
       
       Die Liberalen, Grünen und die Linkspartei wollen jetzt eine
       Gegenüberstellung der befragten Zeugen beantragen. Sie erhoffen sich davon
       Aufschluss darüber, wer die Wahrheit sagt und wer nicht. Lühmann ist
       skeptisch: „Im Moment erschließt sich mir nicht, was das bringen soll.“
       
       2 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Anja Krüger
       
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