# taz.de -- Corona-Erfahrungen aus China: Neujahr als Pandemiebeschleuniger
       
       > Zu Beginn der Coronakrise reagierten die chinesischen Behörden deutlich
       > zu langsam. Sie hätten 95 Prozent der Ansteckungen vermeiden können.
       
 (IMG) Bild: Vorbereitungen zum chinesischen Neujahrsfest in Peking im Januar 2020
       
       PEKING taz | Die erste Welle des Virus im chinesischen Wuhan kam [1][zu
       einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt]. Kurz vor dem chinesischen
       Neujahrsfest stand die Regierung vor der Entscheidung, welche
       epidemiologischen Maßnahmen sie ergreifen sollte. Während der Reiseperiode,
       die von Medien gern als „größte Völkerwanderung der Moderne“ bezeichnet
       wird, brechen Hunderte Millionen Chinesen zu ihren Familien auf oder machen
       Ferien im Ausland. Allein in der Woche vor dem eigentlichen Neujahrsfest,
       Ende Januar/Anfang Februar, hatten sich bereits weit über 100 Millionen mit
       dem Zug auf den Weg gemacht.
       
       Der Umgang mit der beginnenden Pandemie in China macht deutlich, wie
       gefährlich starke Reisewellen und Familienzusammenkünfte für deren
       Verbreitung sein können. Natürlich ist es unerheblich, ob nun ein neues
       Jahr, [2][Thanksgiving] oder [3][Weihnachten begangen] wird.
       
       Erst am 23. Januar – bereits zu Beginn des Fests – belegten die
       chinesischen Lokalbehörden das damalige Epizentrum Wuhan mit einer
       Reisesperre. Quasi über Nacht wurden Expresszüge, Überlandbusse und
       Autobahnverbindungen gekappt. Doch rückblickend lässt sich sagen, dass die
       Entscheidung zu spät kam, denn 5 Millionen Einwohner Wuhans hatten zu
       diesem Zeitpunkt die Stadt bereits verlassen – rund zwei Drittel von ihnen
       mit einem Reiseziel außerhalb der Provinz Hubei.
       
       Anfang März hat eine Modellrechnung der Universität Southampton ergeben,
       welchen Einfluss der Zeitpunkt des chinesischen Lockdowns auf die
       Verbreitung des Virus hatte: Wären die Maßnahmen der Regierung nur eine
       Woche zuvor erfolgt, hätte bis Ende Februar die Zahl der Infektionen wohl
       um 66 Prozent reduziert werden können. Drei Wochen früher hätte gar die
       Chance bestanden, den neuartigen Krankheitserreger innerhalb der Provinz
       Hubei einzudämmen. Die Wissenschaftler gehen bei diesem Szenario davon aus,
       dass es dann nur zu 5 Prozent der tatsächlichen Ansteckungen gekommen wäre.
       
       ## Die Menschen waren Ende Januar noch unbesorgt
       
       Die 30-Jährige Wu Qian erinnert sich noch sehr gut an ihr Neujahrsfest und
       wie rasant die Lage innerhalb weniger Tage gekippt ist: „Ich habe damals
       nicht daran gedacht, meinen Familienbesuch abzusagen. Der Ausbruch war zwar
       schon losgegangen, aber die Epidemie schien sich auf Wuhan zu begrenzen“,
       sagt die in Peking lebende Büroangestellte. Die Hauptstadtbewohner schienen
       Ende Januar noch wenig besorgt zu sein, dass sich der Erreger im ganzen
       Land ausbreiten würde. Dennoch trug Wu Qian auf dem Weg zum Flughafen
       bereits eine Schutzmaske, die sie am letzten Arbeitstag vor den Ferien von
       ihrer Firma bekommen hatte.
       
       Doch während der ersten Tage des Neujahrsfests wurde schnell klar, wie
       ernst die Lage tatsächlich war. Die chinesische Regierung ließ noch während
       der Ferien das öffentliche Leben praktisch stilllegen. Die Bevölkerung
       wurde dazu aufgerufen, möglichst zu Hause zu bleiben. Öffentliche
       Veranstaltungen wurden abgesagt, der Nahverkehr wurde auf ein Minimum
       reduziert. Vor allem aber wurde die Ferienzeit um gut zwei Wochen
       verlängert – um möglichst zu verhindern, dass asymptomatische Virusträger
       nach ihrer Rückkehr das Coronavirus erneut unwissentlich mitschleppen.
       
       In der wissenschaftlichen Betrachtung sind sich die meisten Forscher einig,
       dass diese Maßnahmen die Verbreitung des Virus deutlich verlangsamt haben –
       auch wenn sich die Wirksamkeit schwer in empirische Zahlen fassen lässt.
       
       Wu Qian saß auch wesentlich länger bei ihrer Familie im südchinesischen
       Guangxi fest als geplant. Aus zehn Tagen wurden schließlich 26. „Und nach
       meiner Rückkehr nach Peking musste ich erst einmal für 14 Tage in
       Quarantäne“, sagt sie.
       
       26 Nov 2020
       
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 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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