# taz.de -- Missbrauchsdebatte in Frankreich: Opfer reden dank #MeTooInceste
       
       > Zahlreiche Menschen teilen unter dem Hashtag ihre Erfahrungen mit
       > Übergriffen aus der Familie. Die Politik steht unter Druck.
       
 (IMG) Bild: Duhamel und die anderen, ihr werdet niemals in Frieden sein – #MeTooInceste
       
       Eine hoffentlich heilsame Debatte: Nach Enthüllungen der Juristin Camille
       Kouchner über eine mutmaßliche Vergewaltigung ist in Frankreich eine
       Diskussion über sexualisierte Gewalt in Familien entbrannt. Unter dem
       Hashtag #MeTooInceste hat das feministische Kollektiv „Nous Toutes“ auf
       Twitter eine seit Langem geplante Kampagne gestartet. Das Echo ist ebenso
       gewaltig in der Zahl der Beiträge wie schockierend im Inhalt. Nach bloß
       drei Tagen wurden fast 80.000 Tweets aufgeführt.
       
       Dem vorausgegangen war die Veröffentlichung von Camille Kouchners Buchs „La
       Familia grande“. Sie wirft darin ihrem Stiefvater sexuelle Übergriffe auf
       ihren damals 13 oder 14 Jahre alten Zwillingsbruder vor – das schlug auch
       so hohe Wellen, [1][weil es sich bei diesem Stiefvater um den in Frankreich
       sehr bekannten Politologen Olivier Duhamel handelt].
       
       Die kurzen Texte der heute Erwachsenen beginnen oft ähnlich: [2][„Ich war
       6, dann 7, 8 und zuletzt 9 Jahre alt, als mein Bruder mich vergewaltigte.
       Bis heute versuche ich, mich mit dem Kind zu versöhnen, das ich damals war
       und das ich oft aufgegeben zu haben glaubte.“] Das schreibt auf Twitter
       Laurent Boyet, der auch sein Foto dazu publiziert. Er hat selber vor drei
       Jahren ein Buch zum Thema veröffentlicht, ohne allerdings eine
       vergleichbare Wirkung zu erzielen. Die Umweltpolitikerin Loubna Meliane
       enthüllt jetzt schonungslos: [3][„Ich war 9, und nie werde ich das Gefühl
       der Scham, der Schuld und der Verletzbarkeit vergessen. Er heißt Khalid
       Meliane. Er war mein Vater, er hat mich bis zu meinem 17. Lebensjahr
       vergewaltigt.“]
       
       Die Schriftstellerin Christine Angot – selber ein Inzestopfer – wollte im
       Radio France-Inter zudem ein Missverständnis beseitigen: Wenn es oft heiße,
       die Opfer „wollten nicht reden“, sei das falsch, denn diese „könnten
       nicht“, weil ihr Mund wie verschlossen sei. Im Fall Duhamel hat das Opfer
       erst heute, nach mehr als dreißig Jahren, eine Strafklage eingereicht – die
       wie in vielen Fällen wegen der Verjährung nicht zu einem Prozess führen
       dürfte.
       
       ## Es darf nicht vertagt werden
       
       Wie zuvor schon die Kampagne #MeToo nach dem Weinstein-Skandal erlaubt es
       die Netzwerk-Öffentlichkeit, das Schweigen über Fälle von Pädokriminalität
       mit Inzestcharakter zu brechen und auch die oft komplizenhafte Rolle der
       familiären Umgebung der Täter anzuprangern. Die Anthropologin Dorothée
       Dussy erinnert in der Zeitung Libération daran, dass seit Jahrzehnten schon
       in Europa 5 bis 10 Prozent der Kinder Opfer von sexueller Gewalt durch
       dominierende Männer im Familienkreis werde.
       
       Der Premierminister Jean Castex sagte dazu im Fernsehen France-5 in einem
       Understatement: „Es scheint, dass da eine wahre Problematik existiert.“
       Eine Gesetzgebung „unter dem Eindruck der Emotion“ möchte er aber
       vermeiden. Der Staatssekretär für Kindheit, Adrien Taquet, forderte dagegen
       die Abgeordneten der Nationalversammlung auf, dafür zu sorgen, dass nicht
       erneut mit „der Decke der Verleugnung“ alles relativiert oder vertagt
       werde. Da traf es sich, dass am Donnerstag im Senat eine Gesetzesvorlage
       verabschiedet wurde, die besagt, dass Erwachsene bei Geschlechtsverkehr mit
       Minderjährigen unter 13 Jahren sich nicht auf eine „Zustimmung“ berufen
       können, sondern sich darum eines sexuellen Verbrechens schuldig machen.
       
       23 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Paedophilie-in-Frankreich/!5742700
 (DIR) [2] https://twitter.com/assopapillons/status/1350484903348097025
 (DIR) [3] https://twitter.com/LoubnaMeliane/status/1351096126154354689
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
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