# taz.de -- Alarmierende Warnungen vor Kälte: Als rücke die Ostfront näher
       
       > Meteorologen und Logistiker warnten mit besorgten Mienen vor Chaos und
       > Verwehungen. Am Ende kam nur der Winter, wundert sich der Boomer.
       
 (IMG) Bild: Apokalypse, Chaos und Verwehungen oder lediglich halbwegs adäquates Winterwetter?
       
       Man denkt, die Apokalypse steht bevor, denn seit Tagen warnt das Radio in
       sekündlich schrilleren Tönen. Dabei geht es weder um Virusmutationen noch
       die neueste Todeszahl nach dem spannenden „Deutschen Weg“ (viele Tote,
       wenig System), sondern nur um den Wetterbericht. Und da auch nicht etwa um
       eine kombinierte Sonnen-, Mond- und Sternenfinsternis oder den Ausbruch des
       Teufelsbergs, sondern um den Einzug saisonal halbwegs adäquaten
       Winterwetters.
       
       Weil es schneien soll, haben sogar die Fernsehnachrichten erstmals seit
       Monaten keine Zeit für Bilder von alten Menschen, die in den Arm gestochen
       werden, sondern zeigen stattdessen Seher, Meteorologen und Logistiker, die
       mit besorgten Mienen von Chaos und Verwehungen raunen. Es klingt wie 1945,
       als die Ostfront näherrückte.
       
       Im Netz zeigen sich die altbekannten Reflexe: Die Klimaleugner jubeln schon
       wieder, wie wenn es im Sommer ausnahmsweise doch mal regnet. Es soll
       nämlich fünf Tage lang kalt werden. Na also. Wir haben es doch gewusst.
       Alles supi. Die anderen wiederum stöhnen mit der routinierten
       Übellaunigkeit des alten Besserwissers, „ist eben Winter“.
       
       Alles Idioten. Mir fällt auf: Je weniger Leute ich sehe, desto mehr hasse
       ich sie. Von wegen Sehnsucht nach Gemeinschaft und Nähe. Jetzt merkt man
       erst so richtig, was einem nie gefehlt hat. Ein paar Jüngere piepsen
       vielleicht noch ein [1][„Okay, Boomer“] zur Antwort, was hier ausnahmsweise
       fast ein wenig unfair wirkt, weil wir Alten nun mal als Letzte noch
       wirklich wissen, wie echter Winter aussieht: Schnee bis zum Dach, Wölfe in
       der leeren Speisekammer und das unablässige Grollen der Lawinen. Dazu fror
       man auf der Stelle fest, sobald man nur das Haus verließ, und die Feuerwehr
       musste einen auftauen, oder, war man nicht so gut versichert, zum Beispiel
       als Ente auf dem Landwehrkanal, flexten sie einem kurzerhand die Beine ab.
       So war das damals.
       
       Heikel ist allerdings die Kombination – Corona und Winter – das muss man
       sich mal vorstellen, das ist ja wie Sophie Scholl in Spitzbergen: Erst
       können wir nicht raus, jetzt dürfen wir obendrein nicht raus. Oder
       umgekehrt? Egal: nicht raus. Heißt also: drin. Und diesmal wird es doppelt
       langweilig, denn bei dem Wetter kann ich noch nicht mal meinen Tätowierer
       einfliegen lassen.
       
       Zum Wochenende hin steigert der Rundfunk die Frequenz des Gezeters so
       stark, dass die zusammengezogenen Wörter „Kälte“, „Schnee“ und „Ostwind“
       sich nur noch als ein einziger fliegeralarmartiger Heulton durch den Äther
       brennen. Besonders eindringlich gewarnt werden Rentner, Radfahrer,
       Blaumeisen und Menschen ohne rutschfestes Schuhwerk.
       
       Als die Nordostfront am Ende da ist, ist alles halb so wild. Der Russe hat
       kaum Schnee im Gepäck. Als Ausrede für den im Berliner Raum weitgehend
       ausbleibenden Flockenzauber kommt irgendein windelweiches Gelaber von
       Kaltluft im Norden, Warmluft im Süden und ergiebigem Schneefall an der
       Luftmassengrenze. Was für Pfuscher, was für miese Betrüger! Und ich hatte
       mich schon so gefreut. Luftmassengrenze, my ass! Dass es im Norden kalt und
       im Süden warm ist, kann auch ein Fünfjähriger erzählen.
       
       Es ist allenfalls ein bisschen kühl. Ist eben Winter. Die BSR ist trotzdem
       machtlos. Nach ein paar Tagen sind meine Vorräte alle. Hätte ich doch bloß
       mal selber Brot gebacken! Nun muss ich zum Bäcker.
       
       In einer kleinen Grünanlage auf dem Weg dahin bauen sich Kinder aus
       siebzehn Haushalten eifrig eine schöne, glatte Rutschfläche. Im
       Vorüberschlittern glaube ich zu hören: „Wir machen jetzt, dass der Onkel
       stirbt.“ Ich bin mir aber nicht sicher, auch deshalb sage ich nichts dazu.
       
       12 Feb 2021
       
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