# taz.de -- Aktivist über Proteste in Myanmar: „Wir schaffen das auch ohne Handy“
       
       > Die Generation Z protestiert in Myanmar gegen bewaffnete Militärs – mit
       > Witz, Mut und Internet. Ein Vertreter berichtet von den Zielen der
       > Bewegung.
       
 (IMG) Bild: Kostüme gegen Uniformen: Protest in Yangon am 10. Februar
       
       Aung Zin*, wie war für Sie der Morgen, an dem Sie in einer Militärdiktatur
       wach wurden? 
       
       Aung Zin: Als ich um 7.30 Uhr aufwachte, geschah dies ausnahmsweise nicht
       durch meinen Wecker – sondern durch mein Handy, das gar nicht mehr aufhörte
       zu klingeln. Meine Freunde erzählten mir aufgebracht, dass das Militär
       geputscht hatte.
       
       Zuerst war ich in einer Art Schockstarre – aber ich akzeptierte die neue
       Realität schnell. Weil es eine Realität ist, die ich bereits durchlebt
       habe. Ich wurde 1994 geboren – das heißt, die ersten 17 Jahre meines Lebens
       verbrachte ich in einer Militärdiktatur, [1][die erst 2011 endete]. Die
       neue, alte Realität senkte sich sehr schnell und sehr schwer über mich. Ich
       war wie paralysiert.
       
       Wie prägt das Militär seit diesem Tag Ihr Leben? 
       
       Es ist nicht so, als ob Soldaten ständig die Straßen auf und ab
       patrouillieren und in meinem Alltag ständig sichtbar wären. Es ist mehr
       das, was wir spüren: Es durchdringt jede Ritze des Landes und der
       Gesellschaft: Jede Position und Institution. Das Militär war es, das
       Myanmar von einem der reichsten Länder Südostasiens zu einem der ärmsten
       machte. Die Korruption und der unbedingte Wille zur Kontrolle haben dieses
       Land heruntergewirtschaftet.
       
       Haben Sie angesichts der anhaltenden Macht des Militärs mit einem Putsch
       gerechnet? 
       
       Nein – obwohl es in den letzten Wochen vor dem Putsch viele Gerüchte gab.
       Trotzdem dachte niemand von uns, dass das Militär sich auf diese
       Kamikaze-Mission begibt. Denn das ist dieser Putschversuch:
       Wirtschaftlicher Selbstmord.
       
       Durch die Militärregierung stagniert das wirtschaftliche Wachstum unseres
       Landes: Nicht nur wegen der Image-Schäden, die das Land international
       erleidet. Auch weil Tech-Startups wie meines etwa durch das Abschalten des
       Internets kaputt gehen und viele andere Geschäftsformen von einem freien
       Austausch abhängen, den das Militär verhindert. Myanmar befindet sich auf
       einem Sturzflug in den dunkelsten Abgrund der Vergangenheit.
       
       Auf eine sogenannte Lennon Wall in Yangon kleben Demonstranten laut
       Zeitungsberichten Post-it-Nachrichten. Eine lautet: „Ihr habt euch mit der
       falschen Generation angelegt“. [2][Was macht Ihre Generation so
       „gefährlich“ für das Militär?] 
       
       Wir Millennials haben die Einführung der Demokratie miterlebt. Vor dem
       Putsch lebten wir zehn Jahre lang in Freiheit. Freiheit ist vielleicht zu
       viel gesagt – aber nennen wir es Liberalisierung der Gesellschaft. Und vor
       allem genossen wir einen sehr hohen Grad an Redefreiheit. Es war uns
       erlaubt, Politiker öffentlich zu kritisieren – das Militär natürlich nicht.
       Von der älteren Generation unterscheidet uns das demokratische Bewusstsein,
       in dem wir aufgewachsen sind.
       
       Dazu kommt, dass meine Generation über die sozialen Medien besser vernetzt
       ist als die vorige. Ein Livestream der Proteste – das wäre vor einigen
       Jahren im Gegensatz zu heute nicht möglich gewesen.
       
       Zudem unterscheiden sich die Protestschilder der Generation Z enorm von den
       früheren. Wir sehen eine Art Meme-Humor auf Protestschildern mit
       Aufschriften wie: ‚My ex is bad but Myanmar military is worse‘ oder “I want
       a Relationship, not a Dictatorship“. Durch diese humorvolle und mitreißende
       Art des Protests mobilisieren die jungen Menschen viele Gleichaltrige. Ein
       Zeichen dieser neuen Generation ist beispielsweise auch der
       Drei-Finger-Gruß, der aus der Filmreihe “Die Tribute von Panem“ stammt.
       
       Glauben Sie, dass Ihr Protest Erfolg haben wird? 
       
       Nur, wenn sich Angehörige der “anderen Seite“ mit uns solidarisieren:
       Soldaten, Polizisten. Ohne sie haben wir keine Chance. Das ist bei
       vergangenen Protesten bereits der Fall gewesen, und es ist genau das, was
       wir brauchen. Wenn ich den Soldaten, die ihre Waffen auf uns richten, in
       die Augen schaue, sehe ich Männer, die genauso jung sind wie ich. Die
       Diktatur richtet junge Leute gegen Gleichaltrige ab. Das ist das Traurigste
       an der ganzen Sache.
       
       Wie beeinflusst [3][die Sperrung der sozialen Medien] die Proteste? 
       
       Seit dem Putsch sind Facebook, WhatsApp, Twitter und Instagram in Myanmar
       gesperrt. Deshalb benutzen wir alle VPN. Nur Stunden – wenn nicht sogar
       Minuten – nach dem Putsch hatten wir uns alle via VPN über die sozialen
       Medien vernetzt. Als das Regime das bemerkte, wurde das ganze Internet für
       24 Stunden lahmgelegt. Als wir deshalb begannen, SMS zu schreiben, wollten
       sie ganze Telefonnetze stilllegen.
       
       Aber das hält uns nicht auf: Die Französische Revolution kam auch ohne
       Handys aus – und das schaffen wir ebenfalls.
       
       Was fordern Sie? 
       
       Was passieren muss, damit die Proteste aufhören, hat bereits begonnen: Eine
       20-jährige Studentin wurde von einem Polizisten erschossen. Das Einzige,
       was diese Generation aufhalten kann, ist, dass das Regime nicht aufhört zu
       töten.
       
       Was ist euer Ziel? 
       
       Der Militärputsch ist illegal. Die Militärdiktatur muss ihre Macht zurück
       an die demokratisch gewählte Zivilregierung geben. Was wir nicht einmal
       fordern ist, dass die Strippenzieher des Putsches vor Gericht kommen – denn
       das wird sowieso nicht passieren. Wir wollen einfach unser Leben von vor
       dem Putsch zurück.
       
       11 Feb 2021
       
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 (DIR) Katharina Kunert
       
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