# taz.de -- Ausbau von Luftdrehkreuz Halle-Leipzig: Der Widerstand wächst
       
       > Lange galt DHL als Retter des sächsischen Flughafens. Große Pläne zur
       > Erweiterung provozieren nun den Unmut eines Aktionsbündnisses.
       
 (IMG) Bild: Donnern auch nachts durch den Himmel über Sachsen: Flieger auf dem Flughafen Leipzig/Halle
       
       SCHKEUDITZ taz | Nach 200 Metern endet ausgangs Schkeuditz die Kursdorfer
       Straße am Zaun mit dem Schild „Flughafengelände“. Das ehemalige Dörfchen
       Kursdorf zwischen der Nord- und der Südrollbahn des Flughafens
       Halle-Leipzig ist heute nur noch ein Parkplatz für Fluggäste.
       
       Zwar [1][blieben im Pandemiejahr 2020 4 von 5 Reisenden weg], dafür stieg
       der Frachtumschlag um etwa 12 Prozent auf knapp 1,4 Millionen Tonnen, im
       Dezember allein um 35 Prozent. Geht es nach dem DHL-Logistikkonzern, der
       die Südbahn fast allein nutzt, könnte die Anzahl der Cargoflüge in den
       kommenden zehn Jahren noch einmal um die Hälfte steigen. Mit dem laufenden
       15. Planfeststellungs-Änderungsverfahren soll DHL an diesem Luftdrehkreuz
       weitere 65 Hektar zur Verfügung gestellt werden.
       
       „Die Grenze unserer Belastbarkeit ist erreicht“, schimpft Matthias
       Zimmermann, der sich in Bürgerinitiativen gegen Flug- und Bodenlärm
       engagiert. „Und das für den Luftverkehr im 21. Jahrhundert, wo man sich
       fragt, ob die Leute verstanden haben, wo wir mit dem Klima hinmüssen“, sagt
       der Schkeuditzer Grünen-Stadtrat Oliver Gossel. Abstellflächen und Rollwege
       für mehr und größere Flugzeuge sollen das jetzt schon riesige Gelände
       erweitern, Enteisungsflächen, eine Schneedeponie, eine Energiestation und
       Räume für Personal.
       
       Schon jetzt werden bis zu eintausend Flüge wöchentlich gezählt, viele davon
       nachts. Eine Stunde vor Mitternacht geht es mit einer ungefähr
       zweistündigen Anflugwelle los, ab etwa 2 Uhr folgt eine zweite, längere.
       Bis zu 86 Dezibel Lärmpegel haben Anwohner schon gemessen. Momentan können
       350.000 Sendungen pro Nacht sortiert werden. DHL-Prognosen erwarten bis
       2032 eine Steigerung auf 800.000.
       
       ## Leute, die im Keller schlafen
       
       „Ich kenne Leute, die im Keller schlafen“, sagt Gossel. Die verlassenen
       Einfamilienhäuser am Rest der Kursdorfer Straße hatte die Flughafen AG
       ohnehin aufgekauft. Alle angrenzenden Flächen sind zum
       Siedlungsbeschränkungsgebiet erklärt worden. Der Sportplatz sollte
       eigentlich auch verlegt werden, aber das käme Schkeuditz zu teuer. „Wenn
       große Maschinen starten, kann man den Trainer nicht mehr verstehen“, weiß
       Gossel.
       
       Betroffen ist auch der kaum fünf Kilometer entfernte Leipziger Stadtrand.
       Dennoch regte sich kein Widerstand, als der schon 1927 gegründete Flughafen
       in den 1990ern ausgebaut wurde. Man war für jede Investition dankbar, die
       Jobs sicherte. Insgesamt 1,5 Milliarden Euro hat der Freistaat Sachsen in
       die Flughäfen Leipzig/Halle und Dresden gesteckt.
       
       [2][Auseinandersetzungen wie] um die Frankfurter Startbahn West waren hier
       undenkbar. Anwohner nahmen anfangs gar den „Standortvorteil“ in Kauf, dass
       hier auch nachts geflogen werden darf. Neun Millionen erhoffte Fluggäste
       jährlich erwiesen sich aber als Illusion. Die im Jahr 2000 vom Freistaat
       gegründete Flughafen AG als Trägerin von Leipzig/Halle und Dresden galt
       lange als ewig defizitär.
       
       Für sie war es 2003 ein Segen, dass DHL an ihrem Brüsseler Umschlagplatz
       wegen Fluglärm-Protesten nicht mehr gelitten und an weiterer Expansion
       gehindert war. Der Konzern sah sich nach einem anderen europäischen
       Luftdrehkreuz um. In Sachsen wurden ihm sozusagen alle Landebahnen
       ausgerollt. Flächen ohne Ende, kein Nachtflugverbot, „Spottpreise“ für die
       Landeentgelte, wie der Linken-Landtagsabgeordnete Marco Böhme sagt.
       
       ## Sondergenehmigungen umgangen?
       
       Die Sondergenehmigungen galten ursprünglich nur für Expressfracht. Heute
       mache diese aber kaum 30 Prozent aus, sagen Gossel und Umweltschützer.
       Dominierend sei die sogenannte Beifracht, zu der auch Autos gehören können.
       Ein DHL-Sprecher hingegen betont das Express-Kerngeschäft, man fülle die
       Flugzeuge nur mit „klassischer“ Luftfracht auf.
       
       Die von der Flughafen AG für DHL beantragte weitere Expansion stößt nun auf
       mehr Widerstand, obschon weitere 500 Millionen Euro Investitionen locken.
       700 Einwendungen sollen aus den 17 betroffenen Gemeinden im
       Planfeststellungsverfahren bei der Landesdirektion als mittlere
       Verwaltungsebene eingegangen sein. Die Frist dafür endete am 15. Februar.
       Die Planungsunterlagen waren ab Mitte November einen Monat lang öffentlich
       einsehbar gewesen. „Eine Stunde hatte ich wegen der Coronabeschränkungen im
       Rathaus Zeit, da konnte ich von tausend Seiten nichts wirklich lesen“,
       berichtet Gossel. Außerdem könnten durch eine falsch angegebene
       Postleitzahl viele Einwendungen ins Leere gelaufen sein.
       
       Die Landtagsfraktion der Bündnisgrünen wollte deshalb kurz vor Weihnachten
       das Verfahren aussetzen. Als die Linke Anfang Februar im Wirtschafts- und
       Verkehrsausschuss den gleichen Antrag auf Unterbrechung stellte, lehnten
       aber auch die regierungstragenden Grünen „trotz aller Sympathie“ ab. Der
       Flughafen als Antragsteller habe auch ein Recht auf Fristeinhaltung, ist
       später zu erfahren. Grüne Kreisverbände fordern aber weiterhin einen
       sofortigen Ausbaustopp, gemeinsam mit einem Aktionsbündnis von
       Bürgerinitiativen und Aktionen, das am 15. Februar 7.500 Unterschriften an
       die Landesdirektion übergab.
       
       Weitere Boden- und Fluglärmbelastungen der Region spielen in die sich
       formierenden Proteste hinein. Schon einige Jahre schwebt unentschieden ein
       Antrag des Flughafens, reparierte Triebwerke auch außerhalb einer
       vorgeschriebenen Halle testen zu dürfen. Der US-amerikanische Flugzeugbauer
       Sierra Nevada baut die Produktion eines neuen Regionalflugzeugs auf. Die
       Stadt Leipzig erschließt gleich nebenan ein 138 Hektar großes
       Bebauungsgebiet. Amazon folgt DHL und hat im November in Schkeuditz
       ebenfalls ein regionales Luftfrachtzentrum eröffnet. Am wenigsten ungern
       wird noch ein EU-Logistikzentrum für Katastrophenschutz gesehen.
       
       ## „Bemühungen“ um weniger Emissionen
       
       Sachsens Umwelt- und Klimaschutzminister Wolfram Günther hat bei den
       Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD 2019 immerhin „Bemühungen“ um
       weniger Kohlendioxid- und Lärmemissionen erreicht. Er sieht die Grünen
       nicht in einem Dilemma zwischen großen Umweltzielen und der
       Koalitionsdisziplin. „Der Grundsatz ist: Das eine tun und das andere nicht
       lassen.
       
       Lärmschutz ist in der Landesregierung früher nur auf sehr bedingtes
       Interesse gestoßen“, vergleicht er. Heute gebe es Gespräche mit den
       Bürgerinitiativen und auf Arbeitsebene mit dem Wirtschaftsministerium als
       Fachaufsicht. So wird derzeit die privilegierte Entgeltordnung für Starts
       und Landungen überarbeitet, lange ein Tabuthema.
       
       Ob Leipzig/Halle hinsichtlich des CO2-Ausstoßes tatsächlich der dreckigste
       Flughafen Deutschlands ist, wie Gossel, Zimmermann und Ausbaugegner
       behaupten, lässt sich in Zahlen nicht eindeutig belegen. Wie das
       Planfeststellungsverfahren ausgehen wird, lässt sich mit höherer
       Wahrscheinlichkeit ahnen. Denn der Freistaat Sachsen ist mit der ihm
       gehörenden Flughafen AG und der dem Innenministerium unterstellten
       Landesdirektion Antragsteller und Genehmigungsbehörde zugleich.
       
       19 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Bartsch
       
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