# taz.de -- DFB-Pokal Viertelfinale: Mit Essen spielt man nicht
       
       > Regionalligist Rot-Weiss will am Mittwoch gegen
       > Rekordpokalsieger-Besieger Holstein Kiel ins Halbfinale. Im Free-TV läuft
       > das Spiel leider nicht.
       
 (IMG) Bild: Werden sie bald wieder eine Traube bilden, wie einst im Februar?
       
       AACHEN taz | Mit dem Namen der Stadt kann man ungehemmt kalauern: „Wie
       sprach der Herr, als er das Ruhrgebiet erschaffen hatte?“ Genau: „Essen is
       fertich.“ Oder nach dem grandiosen Pokal-Achtelfinale vor vier Wochen von
       Rot-Weiss gegen Bayer Leverkusen (2:1 nach Verlängerung und Rückstand):
       „Tja … mit Essen spielt man nicht!“
       
       Das sagte mit maximaler Genugtuung Klubchef Marcus Uhlig. Ihm gefällt auch,
       dass RWE jetzt mehr Siege gegen Bundesligisten verbucht hat als Nachbar
       Schalke bislang in der ganzen Saison (zuvor gab es Pokalerfolge gegen
       Arminia Bielefeld und dazu Absteiger Düsseldorf). Am Mittwoch also (18.30
       Uhr, Sky) Viertelfinale, das Überraschungsduell gegen Zweitligist Holstein
       Kiel.
       
       Rot-Weiss Essen ist auf vielerlei Weise merkwürdig. Schon der Name ist
       verkehrt geschrieben, nach alter Rechtschreibung und nach neuer auch.
       [1][Klubsprecher Niclas Pieper] kann das aber erklären: Das wurde 1907
       „schlicht und einfach falsch in das Vereinsregister eingetragen und dann so
       beibehalten“.
       
       Nachbar RWO kann seinen Namen Rot-Weiß Oberhausen besser rechtschreiben. In
       Essen skandiert der Capo „Wer ist der Schreck vom Niederrhein?“ und das
       Fanvolk brüllt: „Nur der RWE.“ Nun gehört Essen weder geografisch noch
       sprachlich oder historisch zum Niederrhein, sondern höchstens, weil es noch
       nicht Westfalen ist, aber vor allem: Warum der? Sagt man auch der RWO?
       Nein, aber RWE hieß mal SC – für Sportclub. Alles so unorthodox wie die
       [2][Vereinsikone Willi Lippens] in den 1970er Jahren spielte und redete
       („Ich verwarne Ihnen“ – „Ich danke Sie!“).
       
       ## 4. Liga, Essen ist dabei
       
       „Ente“ hieß der bekanntlich watschelgangbedingt, und man sagt eher der Ente
       als die. So is dat mitten im Pott. In Essen findesse nach altem
       Malocherklischee nicht nur den abgehängten Norden (wo auch der RWE spielt).
       Sondern gegen alle Vorurteile auch einen sattgrünen Süden mit Baldeneysee,
       Villa Hügel und dem feinen Ortsteil Heisingen, einst Bleibe der Krupps und
       heute der Rehhagels. Von Essen sind die Aldis, hier stand das erste
       deutsche Kaufhaus. Und in Europas Kulturhauptstadt 2010 stammsitzt sogar
       ein zweites RWE, das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk, das
       braunkohlebedingt Tabellenführer ist in der 1. Liga der deutschen
       Klimavernichter.
       
       Essen ist die größte deutsche Stadt, die nur einen Viertligisten
       beheimatet. Früher war RWE eine große Nummer, Pokalsieger 1953, Deutscher
       Meister 1955, später sieben Jahre Bundesligist (zuletzt 1977), auf
       Augenhöhe mit Schalke, dem BVB, Bochum und dem MSV. Neben Lippens gab es
       noch andere große Namen, allemal Mittelstürmer: Horst Hrubesch, Manni
       Burgsmüller, Kobra Wegmann, Frank Mill, dazu der Mittelstürmerbeißer Otto
       Rehhagel und natürlich der Müssteschießen Helmut Rahn.
       
       Seit 2008 ist RWE viertklassig, eine Ewigkeit schon, zwischendurch ging es
       sogar ein Jahr in Liga 5. An der Hafenstraße müht sich ein in
       „Nostalgiefixiertheit fast erstickter Verein“, so neulich das
       Fußballmagazin 11 Freunde. Inzwischen zeigt sich: Vereinsliebe und Euphorie
       blieben, trotz windiger Financiers, falscher Versprechungen und
       Trainerwechsel im Jahrestakt. Immer kamen an die 10.000 Leute zum
       Mitleiden, im März 2020 wollten von den 4.700 Dauerkarteninhabern nach
       Pandemie-Saisonabbruch keine 300 ihr anteiliges Geld zurück. Klubchef Uhlig
       initiierte zudem ein virtuelles Spiel gegen den FC Corona; über 9.000
       Menschen kauften ein Ticket, dazu gingen 2.283 digitale Stadionwürste zu
       2,50 Euro solidarisch über keinen Tresen.
       
       Im schmucken Stadion von 2013 werden 20.650 leere Plätze erwartet. Das
       Spiel kommt als Einziges nicht im Free-TV, was in Essen sehr empört. Fehlen
       werden im auffallend routinierten RWE-Team zwei Stammkräfte wegen
       Positivtests; dabei sein wird der ehemalige iranische Nationalkeeper Daniel
       Davari, ebenso mit Bundesliga-Erfahrung (Braunschweig) wie Dennis Grote
       (Bochum); sowie Strafraumungeheuer Simon Engelmann, also wieder so ein
       Mittelstürmer.
       
       Karsten Neitzel, der beide Klubs trainierte, glaubt an „ein 50:50-Spiel“,
       Kiels Sehrjungcoach Ole Werner (32) sieht weder „Angst vor der Blamage noch
       die Bürde des Favoriten“. Oder ist Essen etwa der Favorit? Hömma, sagen sie
       im Verein, Kiel ist ein Topklub zwei Ligen über uns, die haben die Bayern
       geschlagen … Um doch fest dran zu glauben. Denk nich an die Pokalgesetze!
       
       Aufsteigen bleibt in Essen aber Ziel Nr. 1. RWE ist dem Rest der
       Regionalliga West weit enteilt, allerdings parallel mit Borussia Dortmund
       II. Der Meister steigt auf, der Zweite wird zurückbleiben als vielleicht
       bester Viertligist aller Zeiten. Schafft es Essen, gibt es eine neue
       Bestmarke: größte Stadt Deutschlands mit nur einem Drittligaclub.
       
       3 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://rot-weiss-essen.de/start/
 (DIR) [2] /Der-mit-dem-falschen-Pass/!519250/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Müllender
       
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