# taz.de -- Britisches Krankenpersonal in der Coronakrise: Gerade mal 1 Prozent mehr Lohn
       
       > In seinem Budget hat Finanzminister Rishi Sunak für die Pflegekräfte des
       > staatlichen Gesundheitssystems nicht viel übrig.
       
 (IMG) Bild: Derzeit sieht es nicht so aus, als ob das Pflegepersonal des NHS auf der Seite der Gewinner*innen steht
       
       LONDON taz | „Fair“ nannte der britische Finanzminister Rishi Sunak noch am
       Mittwoch [1][seinen neuen Finanzhaushalt]. Doch bereits am nächsten Tag sah
       sich die konservative Regierung Boris Johnsons dem Vorwurf ausgesetzt,
       „armselig“ und „bitter enttäuschend“ zu sein. Zu diesem Urteil kam die
       Generalsekretärin der britischen Krankenpfleger*innengewerkschaft
       (RCN), Donna Kinnair, in Reaktion auf die Regierungsvorlage, dem Personal
       des öffentlichen Gesundheitssystems (NHS) [2][nach einem Jahr Pandemie] nur
       eine Gehaltserhöhung von einem einzigen Prozent zu gewähren.
       
       Diese Regierungsvorlage ging an ein unabhängiges NHS-Gremium, das
       nicht-bindende Empfehlungen zu Löhnen innerhalb des Gesundheitssystems
       erteilt, nach Eingabe verschiedener Interessenvertreter, darunter auch von
       den Gewerkschaften. Die Ein-Prozent-Vorgabe wäre auch ein Bruch mit einer
       bereits 2019 unter Theresa May verabschiedeten Gehaltserhöhung um 2,1
       Prozent für dieses Jahr.
       
       Die Empörung macht sich nicht nur in den sozialen Medien breit, dort oft
       mit deftigen Worten. Labours Oppositionsführer Keir Starmer bezeichnete die
       Ein-Prozent-Erhöhung als Beleidigung. Und inzwischen haben auch der
       britische Ärzteverband RCA, der Verband der britischen Hebammen und die
       Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes Unison einen gemeinsamen Brief an
       Sunak veröffentlicht. Der Finanzminister solle seine Pläne noch einmal
       überdenken. Die RCA fordert dabei einen Anstieg der Löhne um 12,5 Prozent.
       Am Freitagabend bewilligte die Gewerkschaft 35 Mio Pfund zur Unterstützung
       von Mitgliedern bei etwaigen Streikaktionen.
       
       Doch Gesundheitsminister Matt Hancock gab am gleichen Abend an, dass die
       nur einprozentige Erhöhung eine Konsequenz der durch die Pandemie
       verursachten schweren finanziellen Lage sei. Andere Bereiche des
       öffentlichen Dienstes kämen erst gar nicht in den Genuss von
       Lohnsteigerungen
       
       ## „Johnsons Slap for Carers“
       
       In der Öffentlichkeit hat man jedoch wenig Verständnis für Hancocks
       Argumente. Der Gesundheitsminister hatte im vergangenen Jahr nicht nur
       Gelder für mangelhafte Schutzkleidung und Masken verschleudert, sondern
       wurde erst im Februar vom Hochgericht Englands dazu verurteilt,
       Einzelheiten von hundert pandemiebezogenen neuen Regierungsaufträgen zu
       veröffentlichen. Normalerweise muss dies innerhalb von 30 Tagen nach
       Erteilung eines Auftrags geschehen. Laut den Recherchen verschiedener
       britischer Medien gingen dabei Aufträge in Höhe [3][von über umgerechnet
       1.75 Mrd Euro an konservative Parteimitglieder und Bekannte der Regierung].
       Viele glauben, dass stattdessen britischen Pflegekräften eine Belohnung
       zustehen müsste.
       
       In Schottland hat die Regionalregierung unter Führung der Scottish National
       Party (SNP) NHS-Angestellten beispielsweise einen Sonderbonus für ihren
       Pandemie-Einsatz gezahlt. Auch dies schloss Hancock auf direkte Frage für
       NHS-Angestellte in England aus. Krankenpfleger*innen hätten in den
       letzten drei Jahren eine Gehaltserhöhung von 12 Prozent erhalten, sagte er,
       ohne zu erwähnen, dass die Löhne davor aufgrund der konservativen
       Austeritätspolitik sieben Jahre lang stagnierten.
       
       Die Entscheidung der Regierung könnte laut der
       Krankenpfleger*innengewerkschaft RCN dazu führen, dass bald viele
       Pflegekräfte das NHS aufgrund der Belastungen und der Risiken, die sie im
       vergangenen Jahr ausgesetzt waren, verlassen könnten. 830 NHS-Angestellte
       starben zwischen Februar und Dezember 2020 an Covid-19.
       
       Erst im vergangenen Mai stand Premierminister Boris Johnson gemeinsam mit
       seiner Verlobten für „Clap for Carers“ (Klatscht für Pfleger*innen) vor 10
       Downing Street. Die linke Zeitung Daily Mirror bezeichnete dies nun als
       „Johnsons Slap for Carers“ (Ohrfeige für Pfleger*innen). Kommenden
       Donnerstagabend sollen um acht Uhr abends alle Brit*innen, die höhere Löhne
       für NHS-Angestellte fordern, sich vor die Haustüre stellen und dafür und
       die Pflegekräfte klatschen, fordern die Gewerkschaften.
       
       Krankenpfleger*innen scheinen aber nicht die Einzigen zu sein, bei
       denen die Regierung Johnsons nun sparen möchte. Aus einem am Freitagabend
       geleakten E-Mail aus dem britischen Außenministerium geht hervor, dass das
       vereinigte Königreich, das sechstreichste Land der Welt, den Etat für
       Auslandshilfen um mehr als fünfzig Prozent kürzen möchte, so etwa für
       Syrien um 67 Prozent und für Somalia sowie die Demokratische Republik Kongo
       um 60 Prozent. Laut Angaben des Außenministeriums sei hierzu jedoch noch
       keine endgültige Entscheidung gefallen.
       
       Gesetzlich hat sich die britische Regierung dazu verpflichtet, 0.7 Prozent
       des nationalen Einkommens für Auslandshilfen zu reservieren. Doch bereits
       vergangenes Jahr wurde bekannt, dass die Regierung dies ändern wolle, was
       zu lauten Protesten führte, darunter von Justin Welby, dem Erzbischof von
       Canterbury, und den beiden ehemaligen Premierministern David Cameron und
       Tony Blair.
       
       6 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Haushalt-in-Grossbritannien/!5755757
 (DIR) [2] /Covid-19-in-Grossbritannien/!5750297
 (DIR) [3] https://www.theguardian.com/world/2020/nov/15/chumocracy-covid-revealed-shape-tory-establishment
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
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