# taz.de -- Twitter wird 15: Toxisches Gezwitscher
       
       > Twitter half mir beim Berufseinstieg und verschaffte mir meine erste
       > Hasskampagne. Um es in Boomer-Sprache zu sagen: Mein Verhältnis ist
       > kompliziert.
       
 (IMG) Bild: Twitter, in Zukunft ein sicherer Ort für alle?
       
       Als Twitter 2006 gegründet wurde, war eine meiner besten Freundinnen gleich
       dort unterwegs. Ich fragte sie: Was machst du da den ganzen Tag, schreibst
       öffentliche SMS? Sie sagte bloß: Mir gefällt’s dort. Mir half ihre Antwort
       nicht weiter, doch sie blieb mir im Gedächtnis – und ein paar Jahre später
       meldete ich mich selbst auf der Plattform an.
       
       Richtig aktiv wurde ich 2015. Ich wollte Journalistin werden, kannte in
       Deutschland aber niemanden in der Branche, und Twitter sollte mir helfen.
       Es hat funktioniert: 2016 wurde ich zum ersten Mal für einen Text bezahlt.
       Danke dafür, Twitter.
       
       Twitter bietet Menschen, die systematisch aus Politik und Medien
       ausgeschlossen werden, die Möglichkeit, ihrem Anliegen Gehör zu
       verschaffen. Doch das Problem ist: Das wissen auch Rechte und
       Rechtsextreme, greifen sie an, vertreiben sie. [1][Im Jahr 2018 erlebte ich
       die erste Hasskampagne] und schaute Trollen machtlos zu, wie sie meine
       Wohnadresse veröffentlichten. Ich bekam zahllose unbezahlte, nicht von mir
       getätigte Bestellungen geliefert, hatte Stress in der WG. Gleichzeitig
       bekam ich [2][Mord- und Vergewaltigungsdrohungen auf Twitter], deren Gefahr
       durch die Adressenveröffentlichung und das ständige Klingeln an meiner Tür
       realer wirkte.
       
       Was ich erlebte, ist für viele marginalisierte Menschen Normalität auf
       Twitter, das belegen Studien. Twitter schützt sie nicht. Melden bringt in
       der Regel nichts: Obwohl es Richtlinien gibt, erfolgen Löschung und
       Sperrung vor allem nach der Anzahl der Meldungen. Wer besser vernetzt ist,
       und das sind Rechte, hat also auch die Macht, Profile und Inhalte löschen
       zu lassen. Niemand scheint trendende Hashtags zu prüfen, [3][nicht selten
       trenden menschenfeindliche Slurs.] Twitter platziert da Werbung und macht
       Kohle aus Hass und Gewalt.
       
       Wäre Twitter ein sicherer Ort für alle, wäre es ein wertvolles
       demokratisches Instrument. Doch das ist keine Realität. Fehlende
       Schutzkonzepte für vulnerable Gruppen führen zur Reproduktion
       gesellschaftlicher Machtverhältnisse, gerade da, wo ihnen ein Stück
       entgegengewirkt werden könnte. Twitter ist mehr toxisch als schön und
       verschenkt damit sein Potenzial. Nach fünfzehn Jahren wird es Zeit, dass
       das Unternehmen marginalisierten Menschen zuhört.
       
       21 Mar 2021
       
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