# taz.de -- Corona-Modellprojekt vorerst gestoppt: „Tübinger Modell“ passé
       
       > Testen und öffnen – so funktionierte das Corona-Modellprojekt in der
       > Stadt am Neckar. Wegen der Bundesnotbremse ist damit jetzt Schluss.
       
 (IMG) Bild: Testen und abhängen: Das ging Ende März noch auf dem Tübinger Marktplatz
       
       TÜBINGEN taz | Wieder in einer echten Boutique einkaufen, der erste
       Theaterbesuch seit einem Jahr, wie früher entspannt mit Freunden im
       Biergarten sitzen, all das war in der schwäbischen Universitätsstadt
       Tübingen für sechs kurze Wochen nach einem Schnelltest möglich. Mit dem
       [1][bundesweit vielbeachteten „Tübinger Modell“] wollten Oberbürgermeister
       Boris Palmer und die Notfallmedizinerin Lisa Federle zeigen, dass „Testen
       und Öffnen“ ein etwas normaleres Leben in der Pandemie möglich macht.
       
       Damit ist es nun fürs Erste vorbei. Mit dem Pandemiegesetz des Bundestages
       schließen auch in Tübingen wieder Geschäfte und Theater. Das Gesetz sieht
       Schließungen bei dauerhaften Inzidenzwerten über 100 im Landkreis vor. Da
       der Wert im Landkreis Tübingen seit Tagen bei 180 liege, gebe es keine
       andere Möglichkeit, schreibt der Tübinger Oberbürgermeister bei Facebook:
       „Ab Montag ist also auch bei uns alles dicht. Theater, Handel, Schulen und
       Kitas.“
       
       Palmer hat das Tübinger Modell immer damit gerechtfertigt, dass die
       Inzidenz in der Stadt trotz der Öffnung konstant unter 100 liege. Dabei
       hatte das Land Baden-Württemberg den Modellversuch erst vergangene Woche
       verlängert. Aus der wissenschaftlichen Auswertung der Universität Tübingen
       erhofft Sozialminister Manne Lucha sich Erkenntnisse über den Umgang mit
       der Pandemie im Alltag. Laut Sozialministerium hatten sich [2][in den
       letzten Wochen hundert Städte und Gemeinden gemeldet, die dem Tübinger
       Modell folgen wollten].
       
       Für eine wissenschaftliche Bilanz ist es aus Sicht des Ministeriums jetzt
       noch zu früh. Aber nach Aussagen der leitenden Medizinerin Federle habe man
       mit den Tests, die Bedingung waren, um sich als Passant frei in der
       Innenstadt bewegen zu können, „viele“ an Corona Erkrankte ohne Symptome
       identifiziert, die sonst womöglich unentdeckt geblieben wären. Das Prinzip
       „Mehr Sicherheit durch mehr Tests“ und die Öffnungen als Anreiz habe
       funktioniert. Am Wochenende vor Ostern hatte Tübingen sogar einen wahren
       Ansturm von Touristen aus ganz Deutschland erlebt, sodass die Innenstadt ab
       da nur noch für Bürgerinnen und Bürger aus dem Landkreis geöffnet wurde.
       
       ## Schließen und warten
       
       Jetzt fällt das Projekt dem bundesweiten Bevölkerungsschutzgesetz zum
       Opfer, das erst noch beweisen muss, dass es besser funktioniert als
       individuelle Regelungen der Länder. Das Bundesgesetz macht die
       Sieben-Tage-Inzidenz des Landkreises zum Maßstab und nimmt keine Rücksicht
       auf regionale Besonderheiten. Palmer schreibt auf Facebook: „Unser Modell
       hält die Zahlen unten. Wären wir ein Stadtkreis wie das wesentlich kleinere
       Baden-Baden, würde unsere Inzidenz unter 100 zählen und alles bliebe
       offen.“
       
       Baden-Württemberg setzt die im Bund beschlossenen Maßnahmen
       buchstabengetreu um, auch wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann an
       der Wirkung seine Zweifel hat. Auch Palmer hält das Gesetz für „keine hohe
       Staatskunst“. Noch vor wenigen Tagen hatte Palmer zusammen mit anderen
       Bürgermeistern bei Beratungen des Städtetags mit der Bundeskanzlerin dafür
       geworben, das Projekt weiterführen zu dürfen. Genutzt hat es nichts.
       
       Experten wie der SPD-Politiker Karl Lauterbach hatten dagegen früh Kritik
       an dem Tübinger Versuch geäußert. Angesichts der engen Verflechtungen einer
       Stadt wie Tübingen mit der Umgebung durch Berufspendler könne man die
       Inzidenzzahlen in der Universitätsstadt nicht losgelöst vom Landkreis
       betrachten, argumentierte der Gesundheitspolitiker. Palmer und Federle
       sehen das anders und stehen bereit. Sobald es die Inzidenzzahlen wieder
       zulassen, wollen sie Tübingen wieder öffnen. Das könnte dauern, denn die
       Sieben-Tage-Inzidenz in der Stadt Tübingen liegt seit gestern erstmals über
       einhundert.
       
       23 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Stieber
       
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