# taz.de -- Giffeys Rücktritt und Berlin: Von schönen Worten und Werten
       
       > Franziska Giffey tritt als Ministerin zurück, bleibt aber
       > Spitzenkandidatin der SPD in Berlin. Ob das funktioniert, entscheiden die
       > Wähler*innen.
       
 (IMG) Bild: Franziska Giffey erhält von Bundespräsident Steinmeier ihre Entlassungsurkunde. 21.5.2021
       
       Wortbrüchig zu sein, gehört in der Politik leider zum Geschäft. Bei
       inhaltlichen Fragen lässt sich das meist auch gut begründen. Ziel A oder
       Plan B, groß verkündet im Wahlkampf oder Parteiprogramm, sei „leider,
       leider“ in der Umsetzung an Koalitionspartner C gescheitert, heißt es dann
       gerne. Anders verhält es sich mit persönlichen Verfehlungen, also jenen,
       die unmittelbar mit der eigenen Person zu tun haben. Das „unmittelbar“ ist
       dabei zentral: Dank umfassender Ignoranz gelingt es so manchem
       CSU-Bundesverkehrsminister, alle Vorwürfe wegen Verschwendung, Inkompetenz
       etc. auszusitzen.
       
       SPD-Bundesfamilienministerin Franziska Giffey indes hatte 2019 angekündigt,
       zurückzutreten, wenn die Freie Universität ihr den verliehenen Doktortitel
       aberkennen sollte. Nach mehreren Verfahren verdichteten sich in den letzten
       Wochen die Hinweise, dass die FU genau zu diesem Schluss kommen wird: Am
       Mittwoch gab Giffey ihr Amt als Ministerin daher auf. Es war die einzig
       mögliche Entscheidung, lediglich der Zeitpunkt ist diskutabel: Hätte sie
       durchhalten sollen, bis der Entzug des Titels offiziell würde? Oder hätte
       sie diesen Schritt schon viel früher gehen sollen?
       
       Denn Giffey ist seit Ende 2020 Spitzenkandidatin ihrer Partei für die
       Berliner Abgeordnetenhauswahl am 26. September und letzte Hoffnung der
       Sozialdemokraten, das Rote Rathaus in dieser Farbe zu halten. Und
       Spitzenkandidatin bleibe sie auch, hat die SPD schnell betont. Schließlich
       war angesichts der Schwere der Vorwürfe absehbar, dass die Affäre um den
       Doktortitel im Wahlkampf eine große Rolle spielen würde: Laut der Plattform
       Vroniplag, die die Vorwürfe gegen Giffeys Arbeit zuerst erhoben hatte,
       finden sich auf gut einem Drittel der rund 200 Seiten dünnen Promotion
       „wörtliche und sinngemäße Textübernahmen, die nicht als solche kenntlich
       gemacht sind“.
       
       Um diesen Betrug, wie das offenbare Plagiat von nicht wenigen politischen
       Konkurrent*innen genannt wird, rasch vergessen zu machen, verzichtet
       die Ex-ministerin auf Schuldeingeständnisse. Die Arbeit habe sie nach
       bestem Wissen und Gewissen verfasst – an dieser Einschätzung halte sie
       fest, heißt es in ihrer Erklärung vom Mittwoch. Und: „Ich bedauere, wenn
       mir dabei Fehler unterlaufen sind.“ Immerhin weicht sie nicht ins „sein
       sollten“ aus.
       
       Doch von einer Entschuldigung – immerhin hat sie als Ministerin
       Vorbildfunktion – ist keine Rede. Im Gegenteil: Sie ziehe „bereits heute“
       die Konsequenz. „Damit stehe ich zu meinem Wort.“ So wird aus einer aus
       eigener Schuld zurückgetretenen Politikerin eine Kämpferin für das
       Aufrechte, Gute und die eigenen Versprechen. Das ist schon dreist. Und es
       geht so weiter: „Die Berliner SPD und die Berlinerinnen und Berliner können
       sich auf mich verlassen. Dazu stehe ich. Mein Wort gilt“, schreibt sie zu
       ihren Ambitionen im Wahlkampf.
       
       Ob sie damit durchkommt, hängt davon ab, wie weit die politische Konkurrenz
       die Doktoraffäre auf die Agenda setzt. In den ersten Reaktionen von Grünen
       und CDU fehlten Forderungen etwa nach einem Rückzug aus der Berliner
       Politik. Das zeigt: Giffey gilt als zu stark, um sie allein wegen des
       erschwindelten Titels anzugreifen.
       
       Letztlich obliegt es den Wähler*innen, am 26. September zu entscheiden,
       ob sie von einer Frau, die offenbar für einen Titel trickste, regiert
       werden wollen. Sprich: ob ihnen andere Werte – und Worte – wichtiger sind.
       
       22 May 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Schulz
       
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