# taz.de -- Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Es geht ums Eingemachte
       
       > Wer vom Osten Deutschlands spricht, spricht oft über Nazis. Viel
       > wichtiger wäre es aber, über die soziale Schieflage und gerechte
       > Umverteilung zu reden.
       
 (IMG) Bild: Der Stadtteil Buckau in Magdeburg 1991: In dem Industriegebiet wurden viele Betriebe geschlossen
       
       Endlich aufgewacht! Am Mittwoch erschien eine Umfrage zu Sachsen-Anhalt,
       die erstmals [1][die braune AfD als stärkste Partei] sah, knapp vor der
       CDU. Ups. Es gibt Sachsen-Anhalt und dort ist in einer Woche Landtagswahl.
       Sobald die Ossis die Nazis wählen, stehen sie und ihr skurriles Bundesland
       plötzlich im Fokus. Schon droht ihnen aber wieder das Vergessen, denn
       [2][neuere Umfragen trauen der sachsen-anhaltischen CDU den Wahlsieg und
       der Kenia-Koalition eine Fortsetzung zu].
       
       Stabile Verhältnisse also. Noch mal Glück gehabt, und die westdeutsch
       sozialisierte, politisch interessierte Bürger:in kann beruhigt den Osten
       Osten sein lassen. Vor zwei Jahren, [3][als die Wende 30 wurde], sprach man
       viel über den Osten, über Transformation, gebrochene Lebensläufe, ab- und
       aufgewertete Biografien, Identitätskrisen und Benachteiligung. Heute ist es
       jedoch wieder so, wie die 28 Jahre zuvor – der Osten kommt vor in
       Verbindung mit: [4][Nazis], Russland, SED oder Nazis.
       
       Es ist fast so, als hielten nur instabile Verhältnisse den Osten im
       Gespräch und stabile Verhältnisse sorgen für Ignoranz der andauernden
       Benachteiligung. Die [5][Ossis arbeiten länger und verdienen weniger], ihre
       Rentenpunkte sind weniger wert und sie sind seltener in Führungspositionen.
       Lange Zeit suchte man sich hierzulande damit zu trösten, dass man halt
       früher aufstehe und da arbeite, wo andere Urlaub machten. Diese
       protestantische Ethik schafft jedoch auf Dauer keinen materiellen
       Ausgleich.
       
       Zwei Parteien haben sich dieses Gefühl der Unterlegenheit erfolgreich
       politisch zu eigen gemacht: In den 90ern die [6][PDS], indem sie
       DDR-Strukturen von der Volkssolidarität bis zum Wohnbezirksausschuss
       aufrecht erhielt und sich kümmerte. Und in den vergangenen Jahren die AfD,
       indem sie Ressentiments schürte und kollektive, nationale Identitäten
       beschwor.
       
       Die Linke, die immer mehr zur gesamtdeutschen Partei wird und schon jetzt
       mehr Mitglieder im Westen als im Osten hat, versuchte jüngst auf diesen Zug
       wieder aufzuspringen. „Nehmt den Wessis das Kommando“, forderte
       Sachsen-Anhalts Linkspartei im Wahlkampf. Dass es bei einem einzigen
       Exemplar von dem Plakat blieb, dessen Bildsprache – kleines Kind zerrt an
       dickem Hund – durchaus ironisch zu deuten war, geschenkt. Reflexartig
       wetterten vor allem andere Parteien gegen dieses Wessi-Bashing.
       
       ## Wessis erben dreimal mehr
       
       Die Mehrheit der Linken-Wähler in Sachsen-Anhalt, aber auch jeder zweite
       AfD-Sympathisant, fand es jedoch richtig, dass die Linke die
       Benachteiligung Ostdeutschlands thematisierte. Sie traf damit wenig
       überraschend einen Nerv: das Ungleichgewicht. Selbst wenn man davon
       ausgehen kann, dass sich der Anteil der in Ost und West aufgewachsenen
       Menschen in Führungspositionen über kurz oder lang angleichen wird, steigt
       damit nicht automatisch das Gehaltsniveau.
       
       Eine weitere, oft ignorierte Kluft wird sich vermutlich noch vertiefen: die
       Vermögensverteilung. Das Wirtschaftswunder bot vielen Menschen im Westen
       die Gelegenheit, Vermögen zu bilden, das sie heute in Form von
       Aktienpaketen oder Immobilien an ihre Kinder weitergeben können. Im Osten
       dagegen waren Betriebe, Grund und Boden Volkseigentum und es war fast
       unmöglich, sich und seiner Sippe einen dicken Batzen davon abzuzweigen.
       
       In Sachsen-Anhalt werden heute durchschnittlich 59.000 Euro vererbt, in
       Bayern 176.000. An der Spitze der Vermögenspyramide fehlen die Ostdeutschen
       gänzlich. 176 Milliardäre zählt das [7][Manager-Magazin] – nicht ein
       einziger davon kommt aus dem Osten. Doch solange viele der Meinung sind,
       dass eine Vermögenssteuer kommunistischer Unsinn ist und ihre Kinder ein
       volles Anrecht auf das von ihnen angehäufte Vermögen haben, wird sich an
       dieser Schieflage nichts ändern.
       
       Im Gegenteil. Von steigenden Immobilienpreisen profitieren nur die, die
       welche besitzen, von niedrigen Zinsen die, die Geld investieren können. Es
       geht also bei der Ost-West-Debatte durchaus ums Eingemachte, um
       Umverteilung – nicht von West nach Ost, aber von Vermögenden zu Armen. In
       Ost und West.
       
       29 May 2021
       
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 (DIR) [5] https://www.iwkoeln.de/presse/interviews/beitrag/hagen-lesch-darum-verdienen-ostdeutsche-noch-immer-weniger-als-westdeutsche.html
 (DIR) [6] /Bodo-Ramelow-ueber-Linke-und-Religion/!5060809
 (DIR) [7] https://www.manager-magazin.de/politik/deutschland/tag-der-deutschen-einheit-wenige-ostdeutschen-zaehlen-zu-den-reichsten-deutschen-a-75a36de7-b628-4155-8406-8bf7a1fcbf6f
       
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       groß.