# taz.de -- Kunsttipps der Woche: Im eigenen kleinen Kosmos
       
       > Aktuell bei Tanya Leighton und K-T Z: Aleksandra Domanović dreht an
       > Coronazahlen. Anna Uddenberg stopft Mäuler mit berüschten Männerhintern.
       
 (IMG) Bild: Anna Uddenberg, „Big Baby“, Ausstellungsansicht
       
       Als Rainer Maria Rilke im Jahr 1912 begann, seine „Duineser Elegien“ zu
       verfassen, befand er sich in keiner guten Verfassung. Nach der Vollendung
       seines einzigen Romans, „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ stand
       ihm sein eigener Anspruch im Weg, die Schaffenskrise sollte einige Jahre
       anhalten. Erst nach zehn Jahren schloss Rilke die Elegien ab, in denen er
       schwermütig, oft rätselhaft die existentiellen Fragen des Menschseins,
       Kindheit und Alter, Leben und Tod, Sterblichkeit und Transzendenz
       durchdekliniert.
       
       Nicht unbedingt die aufmunterndste Lektüre während einer anhaltenden
       Pandemie, aber immerhin eine anregende. Für Aleksandra Domanović
       jedenfalls, die sich im Frühling 2020 einem internationalen Lesekreis der
       US-amerikanischen Dichterin Ariana Reine anschloss. In ihre aktuelle
       Ausstellung „Worldometers“ bei [1][Tanya Leighton] floss die Leseerfahrung
       mit ein. Ein Kinderfoto des als Mädchen verkleideten Dichters ist eines der
       wiederkehrenden Bilder in ihrer Installation.
       
       Jene besteht aus sieben LED-Ventilatoren, die sich sinnbildlich wie der
       eigene kleine Coronakosmos in irrer Geschwindigkeit um sich selbst drehen
       und dabei denkwürdiges visuelles Material aneinanderreihen: Pilze sprießen
       im Zeitraffer, Picassoakrobaten ploppen auf und vor allem R-Werte,
       Inzidenzzahlen und solche zur Belegung von Intensivbetten.
       
       Die Daten bezieht Domanović in Echtzeit von der leicht undurchsichtigen
       Website Worldometers, die statistische Werte zu allem möglichem und eben
       auch zur Entwicklung von COVID-19 sammelt. In ihrer Installation werden die
       Zahlen und Daten, die unser Leben aktuell bestimmen, zum
       poetisch-künstlerischen Taktgeber – mit unvorhersagbarem Eigenleben.
       
       ## Hol den Vollholzschnuller
       
       Weniger mit Gedichten als vielmehr mit Horrorfilmen hat sich offenbar Anna
       Uddenberg in den vergangenen Monaten die Zeit vertrieben. In ihrer
       Einzelausstellung bei [2][Kraupa Tuskany Zeidler] nimmt sie Bezug auf „The
       Baby“ aus dem Jahr 1973. In dem Film von Ted Post hält eine Mutter
       gemeinsam mit ihren Töchtern den ausgewachsenen Sohn wie ein Kleinkind
       gefangen. Was Uddenberg daran zu interessieren scheint, ist das
       Spannungsfeld zwischen vor Testosteron strotzender Maskulinität und
       verniedlichter Infantilität.
       
       Sie übersetzt dieses in überdimensionierte Vollholzschnuller, verziert mit
       Schnitzarbeiten, auf denen sich Männerhinterteile in Rüschenunterhosen
       aufreizend in die Höhe recken. Neu sind diese ins Groteske sexualisierten
       Posen bei Uddenberg nicht. Bislang waren es bei ihr aber weiblich markierte
       Skulpturen, die sich über Designermöbeln oder Hartschalentrollies den Po
       verrenkten.
       
       Mit den neuen Arbeiten spannt Uddenberg den Bogen weiter, spitzt ihre
       Pfeile, mit denen sie auf Genderbilder zielt, wie sie insbesondere soziale
       Medien produzieren und reproduzieren, noch ein wenig mehr zu und karikiert
       sich dabei auch ein wenig selbst.
       
       1 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tanyaleighton.com/
 (DIR) [2] https://www.k-t-z.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Beate Scheder
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz Plan
 (DIR) Berliner Galerien
 (DIR) Kunst Berlin
 (DIR) Installation
 (DIR) Rainer Maria Rilke
 (DIR) Skulptur
 (DIR) Kunst Berlin
 (DIR) Kunst Berlin
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) taz Plan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kunsttipps der Woche: Sympathie mit den Kraken
       
       Die Empfindungen des Pandemiejahrs spiegeln sich in den neuen Arbeiten von
       Michaela Meise, Grace Weaver und Andrés Pereira Paz wider.
       
 (DIR) Neuköllner Kunstpreis verliehen: Ausgezeichnetes Neukölln
       
       Die Nominierten-Ausstellung zum Neuköllner Kunstpreis im Saalbau Neukölln
       bietet eine großartige Einsicht in die künstlerische Bandbreite des
       Bezirks.
       
 (DIR) Kunsthandel und Klimaschutz: „Auf den Seeweg umsteigen“
       
       Der Kunstmarkt will grüner werden. Dafür will die Gallery Climate Coalition
       Wege suchen. Ein Gespräch mit Gründungsmitgliedern der Gruppe in Berlin.
       
 (DIR) Kunsttipps für Berlin: Regungen und Anregungen
       
       Nicht nur Rebecca Horn setzt ihre Kunst in Bewegung. Kinetisches und
       Animatronisches findet sich auch in anderen Kreuzberger Galerien.