# taz.de -- Tanzen im Berliner Umland: Ein Festivalchensommer
       
       > Mit Hygienekonzepten wollen Veranstalter in diesem Sommer wieder kleinere
       > Festivals anbieten. Sie hoffen auf klare Vorgaben der Politik.
       
 (IMG) Bild: So tanzte man früher: Besucher:innen auf dem Fusion-Festival 2019
       
       Glitzer ins Gesicht, Zelt eingepackt und ab in den überfüllten Regio
       Richtung Brandenburg, um dort für ein paar Tage zu wummernden Bässen die
       Realität zu vergessen: Sommer ist Festivalsaison, kaum ein Wochenende,
       wo nicht irgendwo auf einem abgelegenen Acker im Berliner Umland getanzt
       wird.
       
       Beziehungsweise wurde, denn durch die Pandemie fiel die Festivalsaison 2020
       fast komplett aus. Angesichts niedriger Inzidenzen und voranschreitender
       Impfkampagne kann man in diesem Sommer aber deutlich optimistischer sein:
       Es darf bald wieder getanzt werden!
       
       Dabei stand auch die diesjährige Saison lange auf der Kippe. Noch vor
       wenigen Monaten war die dritte Coronawelle in vollem Gange und die
       halbgaren Maßnahmen der Bundesnotbremse ließen kein schnelles Ende der
       Pandemie erwarten.
       
       Für die Organisator:innen ein Albtraum, denn die Vorbereitung eines
       Musikfestivals ist ein enormer logistischer Aufwand und erfordert viel
       Vorlauf. Vom Booking der Künstler:innen über Materialbeschaffung bis hin
       zur Infrastruktur wie Technik und Sanitäranlagen: Ab einem bestimmten
       Zeitpunkt müssen die Organisator:innen zum Teil
       Zahlungsverpflichtungen eingehen.
       
       Auch wenn finanzielle Verluste zum Teil durch Coronahilfen ausgeglichen
       würden, falle es schwer, die oftmals unbezahlte Zeit und Energie in ein
       Festival zu stecken, das womöglich gar nicht stattfindet. „Wir brauchen vor
       allem Planungssicherheit“, begründet Linus Neumann, Pressesprecher des
       Kulturkosmos e. V., daher die Absage des Fusion Festival Anfang Mai. Der
       Verein organisiert das im mecklenburgischen Lärz stattfindende [1][Musik-,
       Kunst- und Theaterfestival], das in präpandemischen Zeiten jährlich rund
       70.000 Gäste anzog.
       
       ## Referenzpunkt Fusion
       
       Das Fusion Festival ist eine Art Referenzpunkt für Festivalfreunde. „Gehst
       du zur Fusion?“ ist eine Frage, die man öfter hört, je mehr das letzte
       Juniwochenende naht. Im März hatten die Veranstalter:innen zunächst
       angekündigt, die Fusion 2021 fände statt: mit einem eigenen Labor für
       PCR-Tests.
       
       „Wir haben viel Zuspruch für unser Konzept erhalten“, erinnert sich
       Neumann, „aber bis Ende Mai war komplett unklar, ob das Festival überhaupt
       genehmigt werden kann.“ Bis dahin war die Coronaverordnung des Bundeslandes
       gültig, die sämtliche Großveranstaltungen untersagte.
       
       Ähnlich erging es vielen kleineren Festivals: Zum unberechenbaren
       Pandemiegeschehen gesellten sich unklare politische Vorgaben – Risiken, die
       schnell in ein finanzielles Fiasko führen können. Viele
       Veranstalter:innen hat bereits der Ausfall im vergangenen Jahr
       finanziell stark belastet; ein weiteres Jahr wäre kaum verkraftbar. „Wir
       sind von der Pandemie schwer angeschlagen“, schildert Alexander Dettke vom
       Lausitzer Festival Wilde Möhre die Lage.
       
       Da das Risiko eines Ausfalls bei kleineren Veranstaltungen geringer ist,
       teilt die Möhre, wie viele andere Festivals, die Besucher:innen auf
       mehrere Wochenenden auf. Schon 2020 bewährte sich dieses Konzept, damals
       war die Zahl auf tausend Besucher:innen pro Veranstaltung limitiert.
       Für dieses Jahr erhoffen sich die Veranstalter:innen, mehr Tickets pro
       Veranstaltung verkaufen zu können. „Ein Festival in dieser Form mit tausend
       Leuten ist kaum kostendeckend möglich“, erklärt Dettke. Schon letztes Jahr
       konnte das Festival nur stattfinden, weil viele Künstler:innen und
       Beteiligte auf ihre Gage verzichteten. „Dieses Jahr wollen wir die Leute
       ordentlich bezahlen.“ Dazu kommen auch noch die vielen Tickets aus dem
       letztjährigen Vorverkauf, die noch gültig sind.
       
       ## Die Politik ist gefragt
       
       Obwohl die Zeit rennt, fehlen derzeit immer noch tragfähige Angaben aus der
       Politik. Dettke und seine Mitstreiter:innen fühlen sich im Stich
       gelassen. „Es wird Zeit, den Menschen ihre Freiheit zurückzugeben und die
       professionellen Veranstaltungskonzepte zu würdigen“, fordert er. Eine
       pauschale Beschränkung wie etwa auf 1.000 Teilnehmer:innen hält er
       angesichts des ausgeklügelten Infektionsschutzkonzeptes und der positiven
       Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr für wenig zielführend.
       
       Einen etwas anderen Weg gehen das Wurzelfestival und die Nation of
       Gondwana. Beide gelten offiziell als Modellprojekte, wo die Wirksamkeit von
       Hygienemaßnahmen bei Großveranstaltungen erforscht werden soll. „Die
       Erkenntnisse werden wichtig sein für spätere Pandemien“, ist sich Björn
       Oesingmann, Mitbegründer des „Zurück zu den Wurzeln“-Festivals, sicher. An
       vier Wochenenden im August und September wird das Festival stattfinden, mit
       jeweils 3.500 Menschen. Unter den Feierwütigen tummeln sich dann auch
       Forscher:innen der Medizinischen Hochschule Brandenburg.
       
       „Es wird beinahe unmöglich sein, sich auf unserem Festivalgelände zu
       infizieren“, versichert Oesingmann, dafür habe man zum Beispiel eigens
       sensible Tests und medizinisches Fachpersonal angeworben. Sogar [2][einen
       Coronaspürhund der Bundeswehr] wollten die Veranstalter:innen
       einsetzen, der war aber zu der Zeit nicht verfügbar.
       
       Auch die Wilde Möhre setzt auf ein ausgeklügeltes Infektionsschutzkonzept.
       Um auf das Festivalgelände zu gelangen, müssen sich die Besucher:innen
       alle 24 Stunden in einem Testzentrum auf dem Zeltplatz testen lassen. Das
       Ergebnis wird auf einen Chip auf dem Festivalarmband geschrieben, den die
       Besucher:innen beim Eingang dann scannen lassen müssen. Dazu kommt wohl
       eine Masken- oder Abstandspflicht.
       
       Der Kulturkosmos, der Ende August als Ersatz für die Fusion drei kleinere
       Festivals unter dem Namen Plan:et C veranstaltet, hat sich gleich ein
       ganzes Labor für PCR-Tests besorgt, in dem alle Besucher:innen vor dem
       Betreten des Festivalgeländes getestet werden sollen. So könnte auch Feiern
       ganz ohne Maske möglich sein. „Es wird bestimmt ein geiler Moment, wenn
       nach zwei Jahren viele von uns zusammenkommen und ohne Sorgen tanzen
       können“, freut sich Linus Neumann schon.
       
       Etwas getrübt wird die Freude dadurch, dass es sich, wie der Name Plan:et
       C schon nahelegt, immer noch nicht um eine „echte“ Fusion handelt. Zwar
       sind die 10.000 Teilnehmer:innen, mit denen der Kulturkosmos plant, im
       Vergleich zu anderen Festivals viel, für Fusion-Verhältnisse aber sehr
       wenig. „Das wären normalerweise die Crew und Supporter“, ordnet Neumann die
       Größenverhältnisse ein. Dementsprechend müssten auch bei der
       Festivalproduktion Abstriche gemacht werden. „Wir mussten vielen Crews
       schweren Herzens absagen“, erklärt Neumann. Das sei besonders schade, da
       die Fusion für viele der beteiligten Kollektive eine sehr wichtige Rolle
       spiele. „Die Strukturen brechen langsam zusammen. Deshalb ist es auch so
       wichtig, dass wir dieses Jahr überhaupt etwas veranstalten“, so der
       Festivalsprecher.
       
       19 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.fusion-festival.de/de/2021/start
 (DIR) [2] /Festival-Veranstalter-ueber-Modellprojekt/!5765389
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jonas Wahmkow
       
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