# taz.de -- Überlastung der Berliner Bürgerämter: „Es ist beschämend“
       
       > Die Krise in den Bürgerämtern ist auch ein hausgemachtes Problem, sagt
       > Christiane Heiß, Grüne Stadträtin von Tempelhof-Schöneberg.
       
 (IMG) Bild: Christiane Heiß (Grüne) ist in Tempelhof-Schönberg Stadträtin für Umwelt und Bürgerdienste
       
       taz: Frau Heiß, bei den Bürgerämtern gibt es berlinweit einen Rückstau von
       250.000 Anträgen, die Wartezeit auf Termine beträgt zum Teil Monate. Ist
       das in Tempelhof-Schöneberg auch so lange? 
       
       Christiane Heiß: Auch wir schaffen das 14 Tage-Ziel im Moment nicht, das
       will ich gar nicht beschönigen. Grundsätzlich ist es aber so, dass das
       Bürgeramt Tempelhof-Schöneberg an der Spitze ist, was die
       Antragsbearbeitung betrifft. Wir haben wie alle Bezirke ein gestaffeltes
       Terminsystem, wie ich höre, bekommen wir alle dringenden Fälle aber zügig
       erledigt.
       
       Warum ist die Situation in den Bürgerämtern in diesem Jahr wieder so
       eskaliert? 
       
       Die Bürgerämter sind seit 2015 in einem Prozess der Reform- und
       Weiterentwicklung. Wir haben zwei strukturelle Nachfragespitzen, die wir in
       den letzten 5 Jahren nicht gelöst bekommen haben, die sich immer
       wiederholen: dass jeden Sommer zur Ferienzeit der Andrang steigt. Das ist
       so, wie der Einkaufsboom für den Handel in der Weihnachtszeit, mit dem
       Unterschied, dass es den Bürgerämtern nicht gelungen ist, sich darauf
       einzustellen. Der zweite Punkt ist, dass die Stadt und die Aufgaben weiter
       wachsen und damit auch die Terminnachfrage bei den Bürgerämtern.
       
       Nach jüngstem Stand ist die Einwohnerzahl in Berlin 2020 erstmals seit
       langer Zeit wieder gesunken. 
       
       Davon spüren wir auf den Bürgerämtern nichts. Es ist im Moment aber auch
       schwer zu bewerten, ob die Arbeitsrückstände nur auf die Pandemie und auf
       die aktuelle Urlaubswelle zurückzuführen sind. Letztes Jahr sind die
       Menschen ja überhaupt nicht verreist. Oder ob es vielleicht auch
       zusätzliche Aufgaben sind. Nach unserem Monitoringsystem müssen wir auf
       alle Fälle weiter Personal aufbauen. Aber das ist nur unter der
       Voraussetzung möglich, dass jeder Bezirk seinen Anteil eigeninitiativ
       erfüllt.
       
       Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) hat in einem Interview behauptet, den
       Bezirken seien seit Beginn der Wahlperiode 100 neue Stellen bewilligt
       worden, aber sie würden ihr Personalbudget seit Jahren nicht vollständig
       ausschöpfen. 
       
       Das stimmt leider. Da sehe ich auch ein wesentliches Problem. Vier unserer
       zwölf Bezirke bieten mehr Termine an, als ihre Quote am Anteil der
       Gesamteinwohnerzahl erfordert. Acht Bezirke tun das aber nicht. Wir vier
       Bezirke können nicht alleine die Mängel der acht anderen kompensieren.
       
       Wer sind die vier Bezirke? 
       
       Das ist Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg, Reinickendorf und
       Tempelhof-Schöneberg.
       
       Wer ist das Schlusslicht? 
       
       Neukölln könnte sicherlich zulegen, auch Charlottenburg-Wilmersdorf könnte
       deutlich mehr entwickeln, was 2021 angeht.
       
       Neukölln hat laut Kollatz nur rund 70 Prozent der Stellen in seinem
       Bürgeramt besetzt. Die Personalmindestausstattung, die aus dem bezirklichen
       Haushalt finanziert wird, orientiert sich an der Einwohnerzahl der Bezirke. 
       
       Es gibt einige Bezirke, die zu Lasten von anderen ihre Personalquote nicht
       erfüllen. Da wir eine Allzuständigkeit in Berlin haben, fällt das vor allem
       in der Zeit vor den Sommerferien auf, wo die Nachfrage besonders hoch ist.
       
       Allzuständigkeit heißt, die Berliner können zu jedem Bürgeramt gehen. Warum
       wird es nicht sanktioniert, wenn Bezirke die Bürgerämter nicht voll
       besetzen? 
       
       Eigentlich sollte eine Zielvereinbarung mit Sanktionsmöglichkeiten
       verabschiedet werden, aber sie ist aufgeweicht worden. Wir stellen diese
       Bezirke durchaus zur Rede. Aber solange es sich lohnt, die Situation in den
       Bürgerämtern zu eskalieren, in der Hoffnung, der Finanzsenator schiebt
       kurzfristig Geld rüber …
       
       … was auch diesmal wieder geschieht … 
       
       … so lange wird sich nichts ändern. Da können wir noch so viele
       Zielvereinbarungen und Monitoringsysteme aufbauen. Dass diese Stadt es
       nicht schafft, das besser vorausschauend zu steuern, ist beschämend
       
       Was müsste passieren? 
       
       Wir können zwei Wege gehen: Entweder wir heben für einen befristeten
       Zeitraum die Allzuständigkeit auf. Das heißt, dass jeder Bezirk nur seine
       eigenen Bürgerinnen und Bürger betreuen muss. So könnte sich kein Bezirk
       mehr aus der Verantwortung stehlen. Oder – wir finden einen Mechanismus,
       dass die Bezirke ihre Zusagen erfüllen und eigenverantwortlich das Personal
       einstellen, das sie brauchen.
       
       Das klingt nach einem richtigen Wahlkampfthema. 
       
       Meine Erfahrung ist, dass Verwaltung als Wahlkampfthema nicht so gut
       funktioniert. Aber ja, wenn wir etwas von der Verwaltung wollen, dann
       müssen wir sie auch in die Lage versetzen, ihre Aufgaben zu erfüllen.
       
       Aktuell hat der Finanzsenator 2,5 Millionen Euro Soforthilfe für die
       Bürgerämter zugesagt. [1][Oliver Igel, Bürgermeister von Treptow-Köpenick],
       will einen Anteil in die Ausbezahlung von Überstunden stecken, um so die
       Öffnungszeiten zu erweitern. 
       
       Das ist sicherlich eine Option. Unser Weg ist ein anderer, der das
       vorhandene Personal schont. Für mehr Termine haben wir zusätzliches
       Personal für die Bürgerämter gewinnen können. Zum einen handelt es sich um
       befristete Stellen, die wir aus dem Bezirksetat finanzieren. Zum anderen
       können wir Beschäftigte wieder einsetzen, die zu einer Covid-Risikogruppe
       gehören und nicht im Publikumsverkehr tätig werden durften. Und wir
       bekommen noch Personal von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, das
       sich um die Belange des Mietendeckels kümmern sollte und nun frei geworden
       ist.
       
       Was halten Sie von den Plänen des Senats, ein zusätzliches 13. Bürgeramt
       aufzumachen? 
       
       Ich halte eine Task-Force für dringend notwendig, um die Rückstände der
       Pandemie abzuarbeiten. Das ist auch eine Diskussion, die seit fünf Jahren
       immer wieder hoch kocht, aber noch nicht umgesetzt wurde: Wir brauchen für
       nicht vorhersehbare Nachfragespitzen – sei es 2015 die sogenannte Welle der
       Geflüchteten, oder jetzt die Folgen durch Corona – einen Personalpuffer in
       Bereitschaft. Das könnten zum Beispiel Verwaltungsmenschen im Ruhestand
       sein, die bei Bedarf bereit sind, schnell und kompetent einzuspringen.
       
       6 Jul 2021
       
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