# taz.de -- Klimaprogramm der EU: Die zwölf Gebote
       
       > Das könnte den Alltag der EU-Bürger umkrempeln: Zwölf Gesetze und etliche
       > Neuerungen sollen den Klimawandel bekämpfen. Reicht das?
       
 (IMG) Bild: Kraftwerk am Horizont. Wie lange noch?
       
       BRÜSSEL/BERLIN taz | Ursula von der Leyen liebt die große Geste. Als die
       deutsche Chefin der Europäischen Kommission vor zwei Jahren ihren „Green
       Deal“ vorstellte, verglich sie ihn ganz unbescheiden mit der Mondlandung.
       Nun, da es um die Umsetzung des Klimaversprechens geht, lässt von der Leyen
       das Brüsseler Kommissionsgebäude großflächig in grün anstrahlen und einen
       neuen Slogan verkünden: [1][„Fit for 55“] soll die EU werden – und die
       CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent verringern.
       
       Wie das gehen soll, darüber haben Kommissionsbeamte bis zur Erschöpfung
       gebrütet. Ergebnis ist ein Klimapaket, das mit zwölf EU-Gesetzen eine Flut
       von Neuerungen auslösen und den Alltag der EU-Bürger umkrempeln dürfte. Bis
       zuletzt wurde um die Details gerungen, am Ende soll sich auch noch
       Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron eingeschaltet haben. Doch als von
       der Leyen und Klimakommissar Frans Timmermans am Mittwoch vor die Presse
       treten, schienen die Mühen vergessen.
       
       „Wir haben ein Ziel, wir haben ein Klimagesetz, und nun haben wir auch den
       Fahrplan“, erklärt von der Leyen, die wie immer zuerst spricht. Sie habe
       durchgesetzt, dass die EU beim Klimaschutz mehr denn je auf den Markt
       setzt, erklärt die CDU-Politikerin. Darauf sei sie stolz.
       
       Timmermans betont dagegen das Soziale. „Wir fordern viel von unseren
       Bürgern“, räumte der Sozialdemokrat ein. Die EU-Pläne würden zu höheren
       Preisen für Benzin und Heizung führen. Ein neuer Sozialfonds soll hier für
       Ausgleich sorgen. „Ich bin wirklich begeistert von diesem Plan“, so
       Timmermans. Er werde den Klimaschutz sozial gestalten.
       
       ## Was nur die CDU will
       
       Vor allem um den Sozialfonds und den Emissionshandel war bis zuletzt
       gestritten worden. „Das will nur die CDU“, erklärte der Chef des
       Umweltausschusses im Europaparlament, Pascal Canfin, zu den Plänen, künftig
       auch den Verkehr und die Gebäude in den Emissionshandel einzubeziehen. Der
       Vorschlag sei „toxisch“, da er Mieter und Autofahrer auf die Barrikaden
       treiben könne.
       
       Canfin weiß, wovon er spricht: Der Macron-Vertraute denkt mit Schrecken an
       den Aufstand der Gelbwesten in Frankreich zurück, der sich an höheren
       Benzinpreisen entzündet hatte. Im Europaparlament sieht er derzeit keine
       Mehrheit: Sozialdemokraten, Grüne, Linke und die meisten Liberalen sind,
       wie er, gegen Emissionshandel im Transportsektor.
       
       Doch von der Leyen, die selbst das CDU-Parteibuch hat, setzte sich durch:
       Das „ETS2“ kommt. Neben dem bestehenden (und lange zahnlosen)
       [2][Emissionshandel für die Industrie] wird ein neues System für Gebäude
       und Transport aufgebaut. Ein 72,7 Milliarden Euro schwerer Sozialfonds soll
       dafür sorgen, dass die Bürger nicht in Energiearmut verfallen und die
       Schuld in Brüssel suchen. Gleichzeitig soll der bestehende Emissionshandel
       weiter ausgebaut werden. Ihm unterliegen bisher 41 Prozent aller Emissionen
       in der EU. Dieses CO2 aus Fabriken und Kraftwerken hat eine Obergrenze, die
       bisher jährlich um 2,2 Prozent absinkt. Dieses Tempo soll mit 4,2 Prozent
       praktisch verdoppelt werden, einmalig sollen dazu 117 Millionen Zertifikate
       gelöscht werden.
       
       Die Preise für die Emissionszertifikate im ETS, derzeit etwa 55 Euro pro
       Tonne, werden wohl steigen. Airlines sollen ab 2027 alle ihre Zertifikate
       bezahlen, die bislang umsonst waren. Gleichzeitig soll zum ersten Mal der
       gesamte Flug- und Schiffsverkehr von und nach Europa CO2-Zertifikate
       kaufen müssen.
       
       ## Ausbau der Ökoenergie
       
       Die Kommission schlägt auch vor, die CO2-Grenzwerte für Pkw weiter zu
       verschärfen. Neuwagen müssen 2030 demnach 55 Prozent weniger CO2 ausstoßen
       als heute. Ab 2035 soll kein Neuwagen mehr mit Verbrennungsmotor auf den
       Markt kommen. Die Pläne verpflichten die Länder auch, an Schnellstraßen
       alle 60 Kilometer Ladesäulen für Elektroautos und alle 150 Kilometer für
       Wasserstoff aufzubauen.
       
       Ein ganz neues Instrument ist der CO2-Zoll an der EU-Außengrenze, genannt
       CBAM: Wenn Produkte im Ausland mit geringeren CO2-Preisen hergestellt
       werden, müssen die Hersteller an der EU-Grenze CO2-Zertifikate erwerben, um
       die europäische Industrie zu schützen. China, Indien, die Türkei und andere
       Länder warnen schon vor einem neuen Handelskrieg.
       
       Großen Wert legt die Kommission auf den weiteren Ausbau der Ökoenergie.
       Statt der bisher geforderten 32 Prozent soll der grüne Anteil am gesamten
       Energieverbrauch bis 2030 auf 40 Prozent steigen. Auch bei der
       Energieeffizienz will die EU-Behörde deutliche Steigerungen sehen: Von 32,5
       Prozent weniger CO2 pro Einheit soll der Wert „deutlich verbessert“ werden.
       Öffentliche Gebäude sollen mit einer Rate von 3 Prozent pro Jahr
       energetisch saniert werden.
       
       Zum ersten Mal soll auch die Land- und Forstwirtschaft in die Klimabilanz
       mit einfließen: Dringend nötig sind Programme, die mehr CO2 durch Wälder
       und Böden binden. 3 Milliarden Bäume sollen neu gepflanzt werden. Und das
       gesamte System der Energiesteuern in den EU-Ländern soll sich so umstellen,
       dass fossile Brennstoffe teurer und grüner Strom billiger wird.
       
       ## Das Parlament fordert mehr Ehrgeiz
       
       „Wir haben geliefert“, freute sich von der Leyen nach der Vorstellung ihrer
       Pläne, die sich über mehrere Stunden hinzog. „Wir können die Zukunft nach
       unseren Vorstellungen gestalten“, fügte sie optimistisch hinzu. Doch viele
       Fragen blieben unbeantwortet. So ist weiter unklar, ob das Maßnahmenbündel
       ausreicht, um Europa auf dem Weg zur [3][Klimaneutralität entscheidend
       voranzubringen].
       
       Viele Experten bezweifeln das. Sie hatten eine Senkung der Emissionen um 60
       oder gar 65 Prozent gefordert. Auch das Europaparlament hatte mehr Ehrgeiz
       gefordert; viele Abgeordnete bezweifeln, dass die EU mit den Vorschlägen
       „fit for 55“ werde. Nun stellen sie sich auf ein hartes Ringen mit der
       EU-Kommission und den 27 Mitgliedstaaten ein, die die Vorschläge ebenfalls
       absegnen müssen.
       
       Die Verhandlungen dürften mindestens anderthalb Jahre dauern, heißt es in
       Brüssel. Doch viel Zeit habe man nicht mehr, warnt Timmermans. Die
       Klimakrise habe Europa schon im Griff, Eile sei geboten. Wer das Paket noch
       einmal aufschnüren wolle, müsse Gegenvorschläge auf den Tisch legen. Zu
       Kompromissen zulasten des Klimaschutzes, so viel ist klar, ist Brüssel
       nicht bereit.
       
       14 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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