# taz.de -- Europäischer Gerichtshof urteilt: Neutral ohne Kopftuch
       
       > Die EuGH-Richer:innen billigen Kopftuchverbote durch private Unternehmen.
       > Voraussetzung ist, dass alle religiösen Symbole verboten sind.
       
 (IMG) Bild: Der Europäische Gerichtshof entschied über zwei Fälle aus Deutschland
       
       BERLIN taz | Ein privater Arbeitgeber kann religiöse Zeichen wie islamische
       Kopftücher verbieten, wenn er ein strenges Neutralitätskonzept verfolgt und
       dafür triftige Gründe hat. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof
       (EuGH). Ein weitergehender Schutz der Religionsfreiheit durch das deutsche
       Grundgesetz ist jedoch möglich.
       
       Konkret ging es um zwei Fälle aus Deutschland. In Hamburg war eine Muslimin
       betroffen, die als Erzieherin für einen privaten Verein arbeitete, der
       Kindertagesstätten betreibt. Im zweiten Fall ging es um eine
       Verkaufsberaterin und Kassierin bei einer Drogeriekette. Beiden Musliminnen
       droht die Kündigung, weil sie sich weigerten, bei der Arbeit ihr Kopftuch
       abzulegen, das sie aus religiösen Gründen tragen.
       
       Das Arbeitsgericht Hamburg und das Bundesarbeitsgericht legten die
       jeweiligen Fälle dem EuGH vor. Der EU-Gerichtshof sollte die
       EU-Antidiskriminierungs-Richtlinie von 2000 auslegen.
       
       Der EuGH knüpfte dabei nun an eine [1][Entscheidung zu zwei Fällen aus
       Belgien und Frankreich von 2017] an. Damals hatten die Richter:innen
       entschieden, dass Arbeitgeber ein strenges Neutralitäts-Konzept durchsetzen
       können. Nun entschieden die Richter:innen erneut, dass so ein
       Neutralitätskonzept zulässig ist. Dabei werden nicht die Symbole einer
       bestimmten Religion verboten, sondern alle religiösen Zeichen.
       
       ## Weitergehender Schutz durch Verfassungsrecht möglich
       
       Es liege aber kein zulässiges Neutralitätskonzept vor, [2][wenn nur große
       Symbole (wie Kopftücher) verboten werden], während kleine Symbole (wie
       Kreuze um den Hals) erlaubt bleiben, um gezielt gegen Musliminnen vorgehen
       zu können. Dies wäre dann eine verbotene unmittelbare Diskrimierung,
       betonten die EU-Richter:innen.
       
       Ein Unternehmen kann aber ein echtes Neutralitätskonzept einführen, so nun
       der EuGH, wenn es ein „wirkliches Bedürfnis“ dafür gibt, zum Beispiel wenn
       eine bestimmte Kundenerwartung besteht. Bei einer Kita könnte dies der
       Wunsch der Eltern sein, „dass ihre Kinder von Personen beaufsichtigt
       werden, die im Kontakt mit den Kindern nicht ihre Religion zum Ausdruck
       bringen.“ Das Neutralitätskonzept muss dann aber „konsequent und
       systematisch“ verfolgt werden, also auch „bei jedem noch so kleinem
       Zeichen“.
       
       Am wichtigsten ist aber die Feststellung des EuGH, dass das EU-Recht den
       nationalen Gesetzgebern und Gerichten einen „Wertungsspielraum“ lässt.
       Deshalb ist ein weitergehender Schutz der Religionsfreiheit durch deutsches
       Verfassungsrecht möglich. (Az.: C-804/18)
       
       Das Bundesverfassungsgericht hatte 2003 entschieden, dass die Kopftuch
       tragende Verkäuferin in der Parfümerie-Abteilung einer Drogerie nur
       gekündigt werden kann, wenn das Unternehmen die „konkrete Gefahr“
       wirtschaftlicher Nachteile belegt. Diese Anforderung gilt also weiterhin.
       
       15 Jul 2021
       
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 (DIR) Christian Rath
       
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