# taz.de -- Die Wahrheit: Mannschaftsgold vom Mikrofonhengst
       
       > Tagebuch einer galoppierenden Guckerin: Schwitzende Pferde und
       > rätselhafte Heldinnen ergeben ein beeindruckendes Kontrastprogramm.
       
       Vor ein paar Wochen wollte ich nur mal kurz in den Fernsehnachrichten
       checken, was so in der Welt los ist, und landete unversehens in Olympia.
       Ein schwitzendes Pferd führte unter seiner Reiterin eine Choreografie
       komplizierter Kunststücke vor, bei deren Ausübung sich selbst der
       Primoballerino des Bolschoi-Balletts beide Beine gebrochen hätte. Mit dem
       Reporter ging es derweil durch, was das Pferd möglicherweise auch gern
       getan hätte. „Wenn man diesem tollen Tier in die Augen schaut! Es wird, um
       mal in der Sprache der Sommeliers zu flanieren, ein absoluter Grand Cru
       werden!“, jubelte der Mann entfesselt. „Ach, Sie merken ja schon, die
       Emotion galoppiert gerade durch meinen Körper.“
       
       Ich wartete darauf, dass der zukünftige Grand Cru vorzeitig den Korken aus
       dem Sattel poppen lassen würde; tat er aber nicht, sondern gewann
       schicksalsergeben Mannschaftsgold. „Du freust dich ja so, als wärst du
       gerade Mutter geworden!“, übersetzte der Pferdeversteher den mutmaßlichen
       Kommentar des Tieres zum Glückstaumel seiner Reiterin. In der
       Vorstellungswelt eines Mikrofonhengstes liegt das höchste Glück wohl in der
       Mutterschaft; klar, welche Frau will schon Medaillen, wenn sie stattdessen
       Babys haben kann?
       
       Entnervt lud ich mir als Kontrastprogramm die amerikanische Serie mit der
       toughen Kleinstadtpolizistin runter, die ich schon lange auf der Liste
       hatte, und stürzte mich ins Binge Watching. Die Auftaktepisode war
       fulminant, wenn auch verwirrend. In der ersten Einstellung watete die
       Heldin in voller Montur durch einen reißenden Creek, prügelte sich
       gleichzeitig mit zwei Männern und verhinderte einen Mord durch Ertränken;
       im weiteren Verlauf wurde gekämpft und gesoffen, unvermittelt tauchten
       Figuren auf, deren Verhalten den Verdacht in mir weckte, es handele sich um
       eine Gruppe von Demenzkranken, deren Zustand nach und nach auf mich
       übergriff. Wer war noch mal der Mann, der eben noch mit der Heldin eine
       rauschende Liebesnacht verbracht hatte, sie im nächsten Moment aber nicht
       zu kennen schien?
       
       Von Episode zu Episode wurde die Sache verstörender, die Dynamik des
       Geschehens war erstaunlich, eine Mischung aus Mulholland Drive, The Big
       Sleep und drogenseligen Experimentalfilmen der Siebziger. Während meine
       Emotionen wild und ziellos in alle möglichen Richtungen galoppierten,
       versuchte mein Verstand verzweifelt, Ordnung in die Verhältnisse zu
       bringen. Nachts wurde ich von wirren Träumen heimgesucht, in denen meine
       Polizistin auf einem Pferd rückwärts durch einen Wildbach ritt und
       disqualifiziert wurde. Mein Unterbewusstsein sandte mir damit die Auflösung
       des Rätsels: Der Große Downloadtroll hatte meine Staffelepisoden auf dem
       Weg vom Internet auf mein Laptop von hinten nach vorn gedreht.
       
       „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“, entschied ich unverdrossen und fing,
       wie so oft im Leben, noch mal von vorne an.
       
       26 Aug 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
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