# taz.de -- Immobilienkrise in China: Baustopps und leerstehende Häuser
       
       > In China weitet sich die Immobilienkrise auf weitere Konzerne aus. Das
       > gefährdet auch den gesellschaftlichen Frieden.
       
 (IMG) Bild: In China stehen aufgrund der Immobilienkrise zahlreiche Baustellen still
       
       PEKING taz | Jenseits des vierten Stadtrings, wo Peking allmählich von
       historischer Hauptstadt zur losen Ballung von Apartmenttürmen übergeht,
       lässt sich Chinas Immobilienblase mit bloßem Auge erfassen: Hinter
       generischen Neubausiedlungen endet eine Straße ganz abrupt im Nirgendwo. Zu
       beiden Seiten erstrecken sich brachliegende Bauflächen, hinter denen jedoch
       weder Arbeiter noch Kräne zu sehen sind. Dafür stehen mitten in der
       Landschaft ein halbes Dutzend unverputzter Stadtvillen herum, deren
       Fertigstellung offenbar durch Geldprobleme pausiert.
       
       Spätestens seit Evergrande, der zweitgrößte Immobilienkonzern Chinas, im
       September erstmals wichtige Zahlungsfristen in dreistelliger Millionenhöhe
       hat verstreichen lassen, hat Chinas Immobilienblase weltweite Schlagzeilen
       ausgelöst – insbesondere, da sie Ängste vor einer weltweiten
       Wirtschaftskrise wachrief.
       
       Inzwischen hat sich die Krise längst auf mehrere Entwickler des Landes
       ausgeweitet, die allesamt in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind. Fantasia
       hat zu Beginn des Monats eine Zahlung in Höhe von mehr als 200 Millionen
       Dollar verstreichen lassen, Sinic Holdings aus Schanghai wird nächste Woche
       eine große Anleihe in Höhe von 250 Millionen Dollar aller Voraussicht nach
       nicht zurückzahlen können, und Modern Land bittet seine Investoren um einen
       zeitlichen Aufschub.
       
       Lange Jahre wurde der chinesische Bauboom als reine Erfolgsgeschichte
       erzählt. In der Tat haben Evergrande und Co seit den 90er Jahren Hunderte
       Millionen Chinesen mit modernen Wohnungen versorgt und gleichzeitig der
       Volkswirtschaft einen stets brummenden Motor beschert, der insbesondere
       während Krisenzeiten für Auftrieb sorgte.
       
       Wer mit dem Hochgeschwindigkeitszug durch die chinesischen Provinzen fährt,
       kann nur staunen über die neuen Wohnbezirke, Flughäfen und Autobahnen, die
       alle paar Monate aus der Landschaft hervor sprießen. Jede x-beliebige
       Millionenstadt, von denen es in der Volksrepublik mittlerweile knapp 120
       gibt, verfügt längst über moderne Geschäftsviertel, deren hoch-ragende
       Skylines praktisch jede europäische Metropole in den Schatten stellen.
       
       Geisterstädte inmitten der Provinz 
       
       Doch wer hinter die glitzernde Fassade blickt, entdeckt auch den Größenwahn
       hinter der Bauwut: leerstehende Hochhäuser, Geisterstädte inmitten der
       Provinz und unzählige traditionelle Dörfer, die ohne Rücksicht auf
       bestehende soziale Strukturen von Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht
       werden.
       
       Doch in Peking merkt man noch wenig von der sich ankündigenden Krise. „Auf
       unser Geschäft hat die Evergrande-Krise eigentlich keinen Einfluss“, sagt
       Jin, während er am Straßenrand auf seinem Elektro-Scooter sitzt. Der
       Endzwanziger ist ein typischer Makler, wie man ihn in der Hauptstadt oft
       findet: jung, zugezogen aus der Provinz und hochgradig motiviert, in den
       nächsten Jahren möglichst viel Geld anzuhäufen.
       
       An diesem feucht-kühlen Abend führt Jin ein paar Interessenten durch eine
       generische Wohnsiedlung, wie sie in Peking kaum voneinander zu
       unterscheiden sind: ein Dutzend 30-stöckige Apartmenttürme, von hohen
       Mauern umzäunt und mit einer kleinen Parkanlage dekoriert. Die Wohnungen
       selbst sind bestenfalls solide, die Preise hingegen königlich: Zwei kleine
       Zimmer werden nach wie vor für umgerechnet 1.300 Euro pro Monat vermietet,
       gehobene Appartements kosten locker das Doppelte.
       
       Daran habe weder die Pandemie noch die Immobilienkrise etwas geändert, sagt
       Jin. „In Peking dominiert vor allem der Second-Hand-Markt – also Wohnungen,
       die bereits im Privatbesitz sind und nun weiter vermietet werden“, sagt
       Jin. Die Krise hingegen betreffe vor allem die Neubausiedlungen, die in den
       Metropolen im Hinterland errichtet werden. Dort warten derzeit allein
       eineinhalb Millionen Käufer von Evergrande-Immobilien vergeblich auf ihre
       bereits bezahlten, aber bislang noch nicht errichteten Wohnungen.
       
       Wer sich die Bilanzen des Unternehmens aus Shenzhen durchliest, blickt vor
       allem in ein tiefes Loch: Die Schulden von Evergrande übersteigen das
       Eigenkapital bereits um das Fünffache, mehr als 300 Milliarden Dollar
       Schulden hat der Konzern angehäuft. Dessen Aktienkurse sind zudem nahezu um
       90 Prozent gefallen, und allein bis Ende 2022 werden über 7 Milliarden
       Dollar für Anleihen fällig.
       
       International ist der chinesische Immobilienmarkt wenig überraschend längst
       zum roten Tuch geworden. Seit der Evergrande-Krise gehen Investoren auf
       sichere Distanz. Nur einen einzigen Deal von Investoren aus dem Ausland hat
       die Branche seither abschließen können. Zu groß ist die Angst, dass man auf
       seinen Zahlungen sitzen bleibt.
       
       Doch aus europäischer Sicht legt der Blick auf die Statistiken dennoch
       nahe, dass es keinen Anlass zur Panik gibt: Zu 95 Prozent ist der
       Immobilienriese Evergrande in chinesischem Besitz. Auch beim Fremdkapital
       spielen ausländische Großbanken und Vermögensgesellschafter kaum eine
       Rolle. Die Allianz-Versicherung soll kolportiert mit rund 130 Millionen
       Euro als größter Geldgeber aus Deutschland beteiligt sein. Was nach viel
       klingt, ist tatsächlich ein Griff aus der Kaffeekasse. Nur zum Vergleich:
       Die Flutkatastrophe im Sommer kostet das Unternehmen locker das Vierfache.
       
       Too big to fail? 
       
       Doch natürlich hat jede Verlangsamung des chinesischen Wirtschaftswachstums
       auch immer Auswirkungen auf die Weltgemeinschaft. Die Volksrepublik
       generiert schließlich knapp 30 Prozent des weltweiten Wirtschaftswachstums.
       Und insbesondere Exportländer wie Deutschland sind ganz besonders abhängig
       vom ökonomischen Wohlergehen der Chinesen: Wenn dort die 400 Millionen
       starke Mittelschicht unter finanziellen Problemen leidet, muss man kein
       Hellseher sein, um die Folgen zu prognostizieren. Gespart wird sicherlich
       zuerst beim Kauf ausländischer Premiumgüter wie Volkswagen oder iPhones.
       
       Vor allem innerhalb Chinas wird die Immobilienkrise zu einem bösen Erwachen
       führen. Der bisherige Ansatz der Regierung in Peking hat viele Ökonomen
       überrascht: Evergrande gilt zwar weiterhin als „too big to fail“, doch
       bislang hat die Staatsführung keinen Finger gerührt. Die Botschaft ist wie
       ein warnender Fingerzeig an die teils von Gier getriebenen
       Immobilienentwickler zu verstehen: Marktwirtschaft besteht eben nicht nur
       aus Chancen, sondern auch aus Risiken.
       
       Um sich die Dimension des Problems vor Augen zu führen, sollte man ein paar
       Kennziffern wissen: Bis zu 30 Prozent des chinesischen Wirtschaftswachstums
       hängt mit der Immobilienbranche zusammen. Zudem ist sie für chinesische
       Konsumenten praktisch die einzige langfristige Anlageinvestition, bis zu
       drei Viertel ihres Ersparten haben die Chinesen in Wohnbesitz geparkt. Denn
       die Inflation treibt die Gelder weg vom Sparbuch, die stark schwankenden
       Aktienmärkte im Inland gleichen eher einem Glücksspiel und auch das
       Investieren in ausländische Aktien ist verboten.
       
       Das überhitzte Geschäftsmodell der chinesischen Immobilienentwickler
       basiert seit jeher auf Pump. Nur mit neuen Schulden ließ sich der Motor
       noch am Laufen halten. Ein Eingreifen der Regierung war längst überfällig,
       wurde jedoch zunehmend heikel. Erst dieses Jahr erschwerte Peking
       Unternehmenskredite, was angefangen von Evergrande das Kartenhaus zum
       Einstürzen brachte.
       
       Doch bevor die Schuldenwelle überschwappt und auch die großen Staatsbanken
       mit runterzieht, werden die Wirtschaftsplaner mit Sicherheit an einen
       Rettungsschirm basteln – aber, und daran besteht mittlerweile kein Zweifel
       mehr, nur punktuell und wo es unbedingt notwendig ist.
       
       Die rote Linie zieht Peking vor allem dort, wo die gesellschaftliche
       Stabilität gefährdet ist: Denn wenn die eineinhalb Millionen Hauskäufer aus
       der Mittelschicht leer ausgehen, droht der stumme Gesellschaftsvertrag
       zwischen Regierung und den Betroffenen zu zerbrechen. Dieser lautet: So gut
       wie gar keine politischen Rechte, dafür aber ein gewisser Wohlstand. Die
       privaten Hauskäufer werden also eher nicht leer ausgehen, viele
       unternehmerische Geldgeber hingegen schon.
       
       15 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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