# taz.de -- Corona-Lage in Krankenhäusern: Es trifft auch die anderen
       
       > Die Lage auf den Intensivstationen spitzt sich zu. Leidtragende sind auch
       > all jene, deren Operationen verschoben werden müssen.
       
 (IMG) Bild: In Sachsen werden die Betten jetzt schon bedenklich knapp. Intensivstation in Dresden, 3.11.2021
       
       Rieke P. wurde immerhin gefragt. Sie hatte Darmkrebs im Frühstadium. Es
       würde keine komplizierte Operation werden, sagten ihr die Ärzt:innen. Doch
       vier Tage vor ihrem OP-Termin fragte die Klinikleitung, ob sie
       einverstanden wäre, dass die OP verschoben werde.
       
       Im Frühjahr 2020 war das. Die Ärzt:innen rechneten im Zuge der ersten
       Coronawelle mit einem Ansturm an Covid-19-Patient:innen. Alle Behandlungen,
       die nicht dringend notwendig seien, sollten verschoben werden. Auch der
       Onkologe riet ihr dazu. Sie wolle schließlich nicht angesteckt werden, wenn
       das Krankenhaus voll mit Covid-19-Infizierten werde. P., die mit vollem
       Namen nicht genannt werden möchte, willigte ein. Als ihre OP vier Monate
       später nachgeholt wurde, hatte der Tumor gestreut.
       
       Nach Schätzungen der Deutschen Krebshilfe mussten in der ersten Coronawelle
       rund 50.000 Krebsoperationen verschoben werden. Das entsprach einem Viertel
       aller geplanten Eingriffe. Wie viele verschobene Operationen und
       Behandlungen es bundesweit in der zweiten und dritten Welle gab, ist
       offiziell nicht erfasst. Nach Angaben der Krankenkasse AOK lag das Minus
       zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 bei 20 Prozent im Vergleich zum
       Vorjahreszeitraum, also vor Beginn der Pandemie.
       
       Nun, da die Infektionszahlen seit einigen Wochen wieder dramatisch steigen,
       ist die Frage: Wie wirkt sich dies auf die Versorgung in den Krankenhäusern
       aus – und zwar nicht nur für Covid-19-Patient:innen?
       
       Derzeit stecken sich täglich sogar mehr Menschen an als Anfang November
       vergangenen Jahres. Das Robert-Koch-Institut meldete am Freitag mit 37.120
       neuen Coronafällen den höchsten Tageswert in der Pandemie überhaupt. Das
       sind 12.452 mehr als noch vor einer Woche. 154 Menschen starben im
       Zusammenhang mit dem Virus. Spitzenreiter Thüringen verzeichnete einen
       Anstieg der Inzidenz auf 386,9, mehr als doppelt so hoch wie der
       Bundesdurchschnitt. Sachsen folgt mit 385,7. Der sächsische
       Ministerpräsident Michael Kretschmer nennt die Coronalage dramatisch.
       
       Es ist also wieder sehr viel Virus im Umlauf. Was die Lage in den
       Krankenhäusern angeht, herrschen regional im Moment große Unterschiede.
       Bundesweit ist die Zahl der Intensivpatient:innen kontinuierlich
       gestiegen und lag Mitte der Woche bei 2.220. Während im November vor einem
       Jahr die Intensivstationen täglich mehr als 300 Menschen aufnehmen mussten,
       sind es dem Institut für Statistik an der Universität München zufolge
       derzeit nur etwa halb so viele. Expert:innen führen das auf die Quote
       der Doppeltgeimpften von knapp 67 Prozent zurück. Allerdings: In Sachsen
       und Thüringen werden die Betten jetzt schon bedenklich knapp.
       
       Grund zur Entwarnung gibt es also nicht. Es kursiert im Vergleich zum
       Vorjahr die deutlich ansteckendere Deltavariante, und 25 Millionen
       Bundesbürger:innen sind nicht geimpft. Schon jetzt sind nach Angaben
       der Deutschen Krankenhausgesellschaft 90 Prozent der
       Intensivpatient:innen ungeimpft. Das Kieler Institut für
       Weltwirtschaft hat kürzlich ausgerechnet, dass die Behandlung ungeimpfter
       Covid-19-Patient:innen im Winter bis zu 180 Millionen Euro pro Woche kosten
       könnte.
       
       ## „Pandemie der Ungeimpften“
       
       Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sprach von einer „Pandemie der
       Ungeimpften“ und warnte bereits vor einer Überlastung der Krankenhäuser in
       seinem Bundesland. „Wir werden in den nächsten Tagen an die Situation
       kommen, dass wir nicht mehr genügend Intensivbetten haben“, sagte der
       Linken-Politiker im ZDF. Man könne zwar garantieren, dass jede:r
       Erkrankte:r Hilfe bekomme, aber eben nicht mehr in Thüringer
       Krankenhäusern.
       
       Doch wieder könnte es auch jene treffen, die wegen anderer Erkrankungen im
       Krankenhaus behandelt werden müssen. Wenn sich diese Entwicklung entlang
       der Prognosen fortsetzt, drohe in den nächsten Wochen auch eine „deutliche
       Einschränkung der Versorgung der Nicht-Covid-19-Patientinnen und
       -Patienten“, warnte Anfang der Woche Martin Kreis, Chef der
       Krankenversorgung in Deutschlands größter Universitätsklinik Charité.
       
       Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für
       Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), rechnet mit einer ähnlichen
       Überlastung wie im vergangenen Jahr. Der kommende Winter werde sich kaum
       vom vergangenen unterscheiden, sagt er. Und wieder müssten Operationen
       abgesagt und Pflegepersonal aus anderen Bereichen abgezogen werden,
       befürchtet der Intensivmediziner.
       
       Marx weist auf ein weiteres gravierendes Problem hin: Bundesweit gibt es
       deutlich weniger Intensivbetten als noch vor einem Jahr. Denn auch in den
       Monaten der Pandemie mit sinkenden Coronafallzahlen gab es für die
       Beschäftigten insbesondere in den Intensivstationen keine Verschnaufpause.
       Viele verschobene Operationen mussten schließlich nachgeholt werden.
       
       Felix Walcher, ebenfalls Präsidiumsmitglied beim Divi, warnte bereits zu
       Beginn des Jahres vor einer Überlastung des Personals. Sehr viele seien
       ausgebrannt. Es gebe viele Burn-out-Fälle und Rückzugserscheinungen. Die
       Angst der Intensivmediziner, in den darauffolgenden Monaten könnten viele
       vom Pflegepersonal das Handtuch werfen, hat sich nun bewahrheitet. „Wir
       haben zwar nur rund 1.600 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen“,
       rechnet Marx vor. „Gleichzeitig fehlen uns aber mehr als 4.000 Betten im
       Vergleich zum letzten Jahr.“
       
       ## Personalschwund bei Vivantes
       
       Hinzu kommt außerdem, dass sich die Behandlungsintensität der
       Covid-19-Patient:innen teilweise von den vergangenen Wellen unterscheidet.
       So heißt es etwa aus dem Berliner Vivantes, Deutschlands größtem kommunalem
       Krankenhauskonzern, dass zwar aufgrund der Impfungen kaum noch sogenannte
       Kurzlieger stationär aufgenommen werden müssten. Dafür sei die Verweildauer
       der älteren und ungeimpften jüngeren Patient*innen relativ länger und
       diese Patient:innengruppe müsse häufiger auf einer Intensivstation
       behandelt werden.
       
       Bei Vivantes erwartet man ebenfalls einen deutlichen Anstieg der stationär
       zu versorgenden Patient*innen im weiteren Pandemieverlauf. Und wie im
       bundesweiten Trend sei auch bei Vivantes ein gewisser Personalschwund zu
       verzeichnen, „unter anderem, weil Mitarbeitende nach drei Covid-Wellen
       zunehmend erschöpft sind und teils den Beruf verlassen haben“, sagte ein
       Sprecher.
       
       Weniger Intensivbetten und Prognosen für mehr Patient:innen, die auch noch
       länger auf den Intensivstationen liegen müssen: Als Lösung für dieses
       Problem fordern sowohl Charité als auch Vivantes, erneut Intensivbetten für
       die Behandlung von Covid-19-Patient:innen freizuhalten. Sogenannte
       Freihaltepauschalen gab es bereits in vergangenen Coronawellen, um sich auf
       den erwarteten Anstieg an Covid-19-Patient:innen auf den Intensivstationen
       vorzubereiten. In die Situation schwieriger Triage-Entscheidungen – also
       der Priorisierung von Patient:innen, etwa weil nicht genügend
       Beatmungsplätze zur Verfügung stehen – will schließlich kein Krankenhaus
       kommen.
       
       Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass wieder geplante andere
       Behandlungen und Operationen verschoben werden müssten. Schon jetzt sind
       laut Divi-Register in manchen Regionen Deutschlands – wie auch in Berlin –
       nicht einmal mehr 10 Prozent der verfügbaren Intensivbetten frei.
       
       Seit ihrer nachgeholten OP im Sommer 2020 ist Rieke P. zwei Mal in
       chemotherapeutischer Behandlung gewesen. Das eine Mal routinemäßig, um
       eventuell bereits gestreute Krebszellen zu eliminieren, das zweite Mal,
       weil dann doch neue Krebszellen in der Lunge aufgefallen waren. Ob eine
       frühere OP all das verhindert hätte, will ihr keine:r der zuständigen
       Ärzt:innen eindeutig beantworten. Ob sie ihre Entscheidung bereut? Eine
       Wahl habe sie angesichts der dramatischen Lage während der ersten Welle
       wahrscheinlich eh nicht gehabt, sagt sie.
       
       5 Nov 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
 (DIR) Felix Lee
       
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