# taz.de -- Stickoxid in Europas Metropolen: Madrids Luft ist am tödlichsten
       
       > In keinem europäischen Ballungsraum sterben mehr Menschen wegen
       > Stickoxiden als in der spanischen Hauptstadt. Das zeigt eine neue Studie.
       
 (IMG) Bild: Oh, wie romantisch ist Madrid: Ein Paar vor der luftverschmutzten Skyline im Januar 2021
       
       MADRID taz | Madrid ist „Europameister“ und lässt Antwerpen, Turin und
       Paris deutlich hinter sich: In keinem Ballungsraum in Europa sterben so
       viele Menschen frühzeitig wegen der Luftverschmutzung durch Stickoxide
       (NO2) wie in der spanischen Hauptstadt. Zu diesem Ergebnis kommt eine
       Studie des ISGlobal, eines Forschungszentrums in Barcelona, die in der
       prestigeträchtigen Wissenschaftszeitschrift [1][The Lancet] veröffentlicht
       wurde.
       
       Die NO2-Belastung der Atemluft, die jährlich über 2.000 Menschen das Leben
       kostet, geht hauptsächlich auf den Straßenverkehr zurück. Und der nimmt in
       der Madrider Innenstadt zu, seit der konservative Bürgermeister José Luis
       Martínez-Almeida im Frühsommer 2019 ins Rathaus einzog. Er hob die
       Umweltzone „[2][Madrid Central]“ in der Innenstadt auf, die die
       linksalternative Vorgängerverwaltung ins Leben gerufen hatte. Nachdem
       „Madrid Central“ am 30. November 2018 in Kraft getreten war, ging die
       Stickoxidbelastung um 38 Prozent zurück.
       
       Doch nun wurden 478.909 Strafzettel für illegales Einfahren annulliert, die
       neue Umweltzone mit dem Namen „Madrid 360“ wird derzeit eingeführt. Im
       Vergleich zur alten Regelung dürfen 50.000 Fahrzeuge pro Tag mehr in die
       Innenstadt, darunter auch ältere Lieferwägen mit Dieselmotoren.
       
       Die Verkehrsbelastung der Hauptstadt ist höher als vor der Coronapandemie.
       Zig Kilometer lange Staus auf den Zufahrtsstraßen sind alltägliche
       Normalität.
       
       Statt neuer Umweltmaßnahmen soll nun eine Werbekampagne Abhilfe schaffen.
       „Protze mit Madrid“, steht auf den Plakaten in der U-Bahn, aus öffentlichen
       Plätzen sowie im Netz. Protzen mit was? Ganz einfach, Madrid sei nach der
       australischen Hauptstadt Canberra „die zweitnachhaltigste Stadt weltweit“,
       heißt es auf den von der Farbe Grün bestimmten Plakaten, auf denen ein
       Fahrradfahrer zu sehen ist, mit Kind im Kindersitz. Dass die „Madrid 360“
       den Eltern erlaubt, mit dem Auto in die Umweltzone zu kommen, um die
       Sprösslinge an der Schule abzuliefern, stört die Marketing-Experten genauso
       wenig wie die Klagen der Nutzer des Leihfahrraddienstes BiciMad über
       ständig kaputte Elektro-Drahtesel.
       
       Die Quelle für die Nachhaltigkeit der stickoxidbelasteten spanischen
       Metropole ist [3][uswitch.com], eine britische Seite, die eigentlich dazu
       ins Leben gerufen wurde, Telefon-, Internet- und Stromanbieter zu
       vergleichen. Der Artikel stützt sich auf Nomad Data, einen Internetdienst,
       der Daten für Unternehmen verwaltet, sowie auf Numbeo, eine Datenbank über
       urbane Lebensqualität, die sich nicht auf anerkannte Studien beruft,
       sondern darauf, was die User eingeben. Die Internetgemeinde nennt dies
       „Schwarmintelligenz“.
       
       Die spanische Tageszeitung El País nahm die Kampagne Almeidas genauer unter
       die Lupe und stieß auf dem weitverzweigten städtischen Internetauftritt
       [4][madrid.es] auf eine Broschüre mit dem Titel „Madrid en el mundo“
       (Madrid im Weltvergleich), in der unzählige Statistiken ausgewertet werden.
       Dort findet sich auch ein Nachhaltigkeitsranking. Die spanische Hauptstadt
       ist allerdings nicht Nummer 2, sondern Nummer 21. Angeführt wird [5][die
       Liste] von Stockholm und London. Wien liegt auf Platz 5, Berlin auf Platz
       18.
       
       Die „Protze mit Madrid“-Kampagne zur Nachhaltigkeit kostet die Madrilenen
       100.000 Euro an Steuergeldern. Genauso teuer ist die jüngste Initiative
       Almeidas. Er ließ in der 700 Kilometer entfernten katalanischen Provinz
       Girona eine 18 Meter hohe Tanne fällen und per Tieflader nach Madrid
       schaffen. Dort wird sie als Weihnachtsbaum die nach jahrelangen
       Umbauarbeiten wieder für das Publikum offene Plaza de España zieren. Danach
       kommt der Baum auf den Müll. Seit mehr als einem Jahrzehnt gab es in der
       spanischen Hauptstadt keine echten Weihnachtsbäume mehr. Sie wurden der
       Umwelt zuliebe einst – ebenfalls von einer konservativen Stadtverwaltung –
       durch konische Metallgestelle mit Kugeln und Lichtern ersetzt.
       
       17 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.thelancet.com/action/showFullTableHTML?isHtml=true&tableId=tbl5&pii=S2542-5196%2820%2930272-2
 (DIR) [2] /Verkehrspolitik-in-Spaniens-Hauptstadt/!5772128
 (DIR) [3] http://uswitch.com/
 (DIR) [4] http://madrid.es/
 (DIR) [5] https://www.madrid.es/UnidadWeb/NxC/MarcaMadrid/Documentos/MadridEnLosRankings.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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