# taz.de -- Was die Darts-WM so groß macht: Dramen eines Kneipensports
       
       > In einem Darts-Match gibt es ständig entscheidende Momente, liebenswerte
       > Unzulänglichkeiten und Paradiesvögel, die diese Bezeichnung echt
       > verdienen.
       
 (IMG) Bild: Ehemaliger Rugbyprofi mit Hang zu Pschyospielchen: Gerwyn Price freut sich nach einem Wurf
       
       Am 15.12.2021 startet die Darts-WM im Ally Pally. 96 Teilnehmer*innen
       spielen um die Sid-Waddell-Trophy. Es ist für Menschen, die diesen Sport
       nicht verfolgen, schwer nachzuvollziehen, [1][warum man sich das anschaut].
       Leute werfen Pfeile gegen eine Wand, aha? Wichtig ist außerdem, gut von 501
       rückwärts zählen zu können. Und das soll ein Sport sein?
       
       Es gibt Regeln, es gibt ein kompetitives System, und es vertreibt die Zeit.
       Also ja, das ist Sport. Zunächst zu den Formalien: Bei der WM wird im Modus
       Best of Sets gespielt. Jede*r Spieler*in hat am Anfang eines Legs 501
       Punkte, die vom Brett runtergespielt werden müssen. Ein Set besteht aus
       drei Lego. Um ein Set auszuchecken (und damit einen Punkt zu machen),
       brauchen die Werfenden ein sogenanntes Double Out: Sie müssen das passende
       Feld auf dem äußersten Ring treffen, um genau auf null zu kommen.
       
       In einem Darts-Match gibt es ständig entscheidende Momente; jederzeit kann
       das Momentum kippen. Plötzlich verschiebt sich bei einem der Kontrahenten
       ein paarmal in Folge das Trefferbild um wenige Zentimeter; bisweilen werfen
       Leute eine 180 nach der anderen, treffen aber am Schluss die Doppelfelder
       nicht.
       
       Und dann gibt es auch die kleinen liebenswerten Unzulänglichkeiten:
       Beispielsweise José de Sousa, einer der Mitfavoriten auf den Titel,
       verrechnet sich regelmäßig und überwirft sich dann. Und dann guckt er
       konsterniert, ungläubig und auch ein wenig melancholisch; seine Schultern
       sacken ein, seine Tränensäcke verdunkeln sich. Er schüttelt kurz den Kopf,
       und hopp: weiter geht’s.
       
       ## Aus dem Testosteronbad
       
       Vor allem Briten und Niederländer beherrschen die Tour, es ist ein Sport
       der alten weißen Männer. Raymond van Barneveld, eine der Legenden des
       Sports, sieht immer so aus, als würde er am liebsten mürrisch schweigend am
       Stammtisch sitzen; Michael van Gerwen, einer der drei Topfavoriten, wirkt
       mit seiner angespannt aggressiven Art, als würde er morgens in einem Kessel
       Testosteron baden. Am schönsten freilich wäre, er verlöre im Verlauf des
       Turniers gegen Fallon Sherrock, einer von zwei Frauen bei dieser WM, die
       bei ihren letzten Auftritten noch ganz zart und eingeschüchtert wirkte,
       aber immer mehr an Selbstbewusstsein gewinnt.
       
       Neben van Gerwen gelten zwei Spieler als Favoriten, die unterschiedlicher
       kaum sein könnten: [2][Gerwyn Price] und Peter Wright. Bei Letzterem ist
       das sonst so wahllos verteilte Etikett des Paradiesvogels tatsächlich
       einmal angebracht: Wright war Zeit seines Lebens ein schüchterner und
       häufig von Selbstzweifeln geplagter Spieler, bis seine Frau – eine gelernte
       Friseurin – ihm zu jedem Event extravagante Haarschnitte verpasste und ihn
       in schillernden Farben einkleidete. Der aufdringliche Style passt
       oberflächlich betrachtet so gar nicht zu dem sanften, zurückhaltenden Mann,
       der er in Interviews ist; aber es ist Darts-WM, die Karnevalsveranstaltung
       unter den Sportevents. Da ist Platz für genau diese Art unernster Show.
       
       Wen das Publikum hinwiederum nicht sonderlich leiden kann, und das aus
       guten Gründen, ist Gerwyn Price. Der war davor mal Rugbyspieler gewesen und
       hat von seinem früheren Sport mindestens zweierlei mitgebracht: einen
       kastenschrankbreiten Oberkörper, an dem Arme dranhängen, da könnten andere
       tagelang von essen; außerdem einen unbändigen Ehrgeiz, den er immer wieder
       mit Techniken anstachelt, die beim Darts als unfein gelten: Trash Talk,
       Psychospiele, provozierende Jubelgesten. Er wolle eben in den Kopf seiner
       Gegner, um sie da zu zermürben, sagt Price einmal, und diese Technik
       funktioniert zwar, hat ihm aber keine Freunde gemacht.
       
       Obwohl Darts ein Kneipensport ist, gilt hier ein strenger Verhaltenskodex;
       2018 erschien in der Washington Post ein Artikel, dessen Titel ungefähr so
       lautete: „Profi-Dartsspieler beschuldigen sich, während des Spiels gefurzt
       zu haben“. Wenn das mal nicht die Sorte Dramen ist, auf die sich zu freuen
       lohnt.
       
       15 Dec 2021
       
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