# taz.de -- Kunst und Kolonialismus: Das Trauma heilen
       
       > Efie bedeutet in der Sprache der Akan-Völker „Zuhause“. Eine
       > gleichnamigen Schau in Dortmund zeigt geraubte und zeitgenössische Kunst
       > aus Ghana.
       
 (IMG) Bild: Könglicher Schirm: Installationsansicht mit der Arbeit von Rita Mawuena Benissan
       
       Die Diskussion um [1][die Rückgabe der Benin-Bronzen], die mit der
       [2][neuen Kulturstaatsministerin Claudia Roth] wieder Fahrt aufgenommen
       hat, ist nur die Spitze eines Eisbergs. Während des kolonialen Zeitalters
       wurden unzählige kulturelle Schätze aus dem afrikanischen oder asiatischen
       Raum geraubt und nach Europa gebracht. Viele wanderten in private
       Sammlungen oder gingen in das Eigentum von Handelsgesellschaften über,
       andere landeten in Museen und verstauben in ihren Sammlungskellern und
       Archiven.
       
       Die ghanaische Kunsthistorikerin, Schriftstellerin und Filmemacherin Nana
       Oforiatta Ayim hat jetzt eine faszinierende [3][Ausstellung im Dortmunder
       U kuratiert], die einen sinnlichen Zugang zum komplexen Thema der
       Restitution schafft: „Efie. The Museum as Home. Kunst aus Ghana“ heißt sie.
       
       In der Ausstellung steht zum Beispiel eine kleine geschnitzte Trommel. Die
       Kuratorin hat zu ihr recherchiert und weiß: Sie ist Ende der 1920er Jahre
       in das Museum am Rothenbaum in Hamburg gekommen durch Kapitän Hermann
       Woker, der Generalvertreter der Woermann-Linie, der Deutschen
       Ost-Afrika-Linie, der Hamburg-Amerika-Linie und der Hamburg-Bremer
       Afrika-Linie war.
       
       Über den Kapitän selbst ist nicht viel bekannt. Man weiß jedoch, dass die
       Redereien maßgeblich am Aufbau deutscher Kolonien in Afrika beteiligt
       waren. Die Trommel entstammt dem Volk der Akan in Ghana und wurde
       höchstwahrscheinlich für ein besonderes Ereignis oder einen historischen
       Tag hergestellt. Jedes Element der Schnitzerei hat eine besondere
       Bedeutung, etwa der Königstuhl oder der Sankofa-Vogel, der in die
       Vergangenheit schaut, um die Zukunft zu erkennen.
       
       Die historischen Objekte in der Schau können für die Menschen in den
       Regionen, aus denen sie geraubt wurden, also durchaus eine große religiöse,
       spirituelle oder historische Bedeutung haben. So wie die kleinen
       Goldgewichte, die nicht nur als Zahlungsmittel verwendet wurden, sondern in
       die auch Geschichten über Leben und Tod eingeschrieben wurden. Oder
       Amulette aus dem Übersee-Museum in Bremen, die ein Missionar eingesammelt
       hatte, weil die Götzen oder Fetische seinem Begriff von Christianisierung
       entgegenstanden.
       
       ## Symbole für etwas Größeres
       
       Man könnte leicht achtlos an diesen kleinen Objekten vorübergehen, wenn sie
       nicht zum einen durch das Rechercheergebnis im handlichen Flyer aufgeladen
       wären – und zum anderen durch eine besondere Ausstellungsarchitektur
       inszeniert. Nana Oforiatte Ayim, die immer wieder zu den wichtigsten
       Persönlichkeiten Afrikas gezählt wird und unter anderem 2019 für
       internationales Aufsehen sorgte, als auf ihre Initiative der erste
       ghanaische Pavillon auf der Biennale von Venedig entstand, hat sich
       Gedanken gemacht, wie sie den klassischen Kontext eines westlichen Museums
       aufbrechen kann.
       
       „Efie. The Museum as Home“ ist eine Ausstellung des von ihr gegründeten
       Institute of Arts and Knowledge (ANO), die als mobiles, kontextabhängiges
       Museum überall funktionieren kann.
       
       Ayim sagt: „Es geht beim Thema Restitution um etwas, das uns genommen
       wurde, nicht nur physisch, auch psychisch. Wie heilt man das? Wie repariert
       man das? Die Objekte sind ein Symbol für etwas viel Größeres.“
       
       Deshalb wollte die Ausstellungsmacherin mit ghanaischen Wurzeln, die in
       Deutschland geboren wurde, in Deutschland und Großbritannien aufwuchs und
       mittlerweile ihren Lebensmittelpunkt in Ghana hat, wirklich ein Zuhause
       schaffen für die historischen Objekte – und auch für die neuen Werke
       zeitgenössischer, ghanaischer Künstler*innen, die den ersten Teil der Schau
       ausmachen. Dafür hat sie mit dem Architekten DK Osseo-Asare
       zusammengearbeitet, der eine modulare Open-Source-Architektur aus Bambus
       entwickelt: Die Fufuzela, ein offenes Netzgeflecht, das einfach zu bauen,
       aber sehr stabil und unendlich erweiterbar ist.
       
       Diese Fufuzelas umrahmen die historischen Objekte, die in europäischen
       Museen wahrscheinlich nicht als „echte“ Kunstwerke, sondern als Teil
       „ethnografischer“ Sammlungen präsentiert würden. Auch Werke von
       Zeitgenossen sind in sie integriert: Kwasi Darko lässt in ihnen einen Raum
       entstehen, indem er einerseits die eigene Vergangenheit und die seiner
       Vorfahren erforscht und historische Schwarz-Weiß-Fotos, etwa von Großvater
       und Großmutter, sammelt.
       
       Über einen großen Bildschirm laufen gleichzeitig opulente, farbige Bilder,
       die christlich-religiöse Ursituationen zeigen, aber ganz anders: Das
       queere Paar Adam und Eva etwa, das in einer afrikanischen Landschaft in
       erotischer Pose gemeinsam einen Apfel in den Mund nimmt. „Ich will mit
       dieser Arbeit fragen: Wer definiert die Norm? Wie kann ich einen Raum
       schaffen für Menschen, die anders sind?“, sagt der Künstler.
       
       Neben weiteren skulpturalen Werken wie von Rita Mawuena Benissan, die die
       Schirme königlicher Zeremonien interpretiert, Na Chainkua Reindorf, die mit
       ihren Wandbildern die Bildsprache historischer Kriegsfahnen des Volks der
       Fante in Zentralghana aufgreift, gibt es Multimediaarbeiten wie das
       Labyrinth von Diego Araújabei, bei dessen Durchschreiten man Arbeiterlieder
       aus Ghana und der Diaspora des Künstlers, Brasilien, wie aus einem fernen
       Radiosignal hört.
       
       Außerdem sind zwei berückende Videos zu sehen: „You Hide Me“ hat Nii Kwate
       Owoo 1979 gedreht, als er sich Zugang zu den Depots des British Museum
       verschaffte und dort unter anderem Raubgut der Asante entdeckte. Mit der
       Forderung nach Rückgabe war er seiner Zeit voraus. Der Film „Unveiling“ von
       Kuukua Eshun bearbeitet das Thema „Zuhause“: Frauen reden über
       Missbrauchserfahrungen und versuchen über das Sprechen wieder ein Zuhause
       in sich selbst zu schaffen.
       
       Vielleicht kann die Ausstellung wie der Film fungieren: Menschen zum
       Sprechen über das Trauma Kolonialismus bringen und damit Impulse für den
       Versuch der Heilung geben.
       
       19 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Einigung-zu-Raubkunst-aus-Nigeria/!5808206
 (DIR) [2] /Claudia-Roth-als-Kulturstaatsministerin/!5815441
 (DIR) [3] https://digitales.dortmunder-u.de/storypost/efie/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Max Florian Kühlem
       
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