# taz.de -- Verpatzte Verkehrswende in Niedersachsen: Azubi-Ticket kommt später
       
       > Eigentlich sollte es ab Januar auch in Niedersachsen endlich ein
       > günstiges Azubi-Ticket geben, doch das wird mal wieder nichts.
       
 (IMG) Bild: Vor allem Azubis aus dem ländlichen Raum sollte das Ticket eigentlich helfen
       
       HANNOVER taz | Als „echten Meilenstein“ bezeichnete Wirtschafts- und
       Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) das Vorhaben noch im Dezember. Ab
       Januar sollte das regionale Schüler- und Azubi-Ticket – gelegentlich auch
       1-Euro-Ticket [1][oder 365-Euro-Ticket genannt] – dafür sorgen, dass
       Auszubildende nicht länger [2][große Teile ihrer oft mickrigen Vergütung]
       für Monatstickets ausgeben müssen.
       
       Die neue Landesmaßgabe heißt: Nicht mehr als 30 Euro pro Monat soll das
       Nahverkehrsticket kosten – und zwar für Schüler*innen, Auszubildende und
       Freiwilligendienstleistende gleichermaßen.
       
       Doch wer jetzt freudig zum Fahrkartenautomaten oder ins Kundencenter seines
       Nahverkehrsanbieters stiefelt, wird enttäuscht: Vielleicht im August, sagen
       die meisten. Das liegt daran, dass in Niedersachsen solche Meilensteine
       eher aus einem Sack Kieselsteine mit Ikea-Bauanleitung bestehen.
       
       Das Verkehrsministerium hat nämlich lediglich die gesetzlichen
       Voraussetzungen und Mindestvorgaben für dieses Azubi-Ticket geliefert.
       Außerdem hat es 20 Millionen Euro in diesem und 30 Millionen im nächsten
       Jahr aus seinem Haushalt zusammen gekratzt, um das Vorhaben zu
       bezuschussen. Und jetzt dürfen sich die Kommunen und Landkreise, die für
       den ÖPNV zuständig sind, überlegen, wie sie das Ganze umsetzen und den Rest
       finanzieren.
       
       ## Kleinteiliges ÖPNV-System mit 50 verschiedenen Tarifen
       
       Das hängt damit zusammen, dass Niedersachsen über ein unglaublich
       kleinteiliges Nahverkehrssystem verfügt, in dem es an die 50 verschiedene
       Tarifsysteme gibt. Daran wollte das Wirtschaftsministerium nicht rühren.
       Man versuche nun also eigentlich die Azubis mit in das System zu quetschen,
       über das auch schon die Schülerbeförderung organisiert wird, erklärt Ute
       Neumann, die für die DGB-Jugend das Bündnis „Azubi-Ticket jetzt“
       koordiniert.
       
       Neumann versucht tapfer, das Ganze als „zumindest ein erster Schritt in die
       richtige Richtung“ zu deuten. In Wirklichkeit ist es aber vor allem eine
       Riesenenttäuschung. Dabei hätte das politische Bündnis für das Azubi-Ticket
       breiter nicht sein können: Die Jugendorganisationen aller relevanten
       Parteien, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Umweltverbände –
       alle unterstützen das Anliegen.
       
       Gewünscht hätten sie sich ein landesweites Azubi-Ticket – wie es das
       übrigens in den meisten anderen Bundesländern auch längst gibt. „Es gibt
       nur noch sechs Bundesländer, die keins haben – zwei davon sind
       Niedersachsen und Bremen“, sagt Neumann.
       
       Die Kleinstaatenlösung niedersächsischer Bauart ergibt für sie vor allem
       deshalb keinen Sinn, weil die Mobilitätsbedürfnisse von Auszubildenden eben
       andere sind als die von Schülern. Schon der Arbeitgeber ist unter Umständen
       weiter weg als die nächste Schule. Die Taktung und Rudelbildung, die durch
       den Schulalltag vorgegeben wird, entfällt hier.
       
       ## Wer über die Landkreisgrenze pendelt, hat Pech gehabt
       
       Und bei Ausbildungsberufen, die nicht ganz so häufig sind, ist meist auch
       die Berufsschule weiter weg. „Wir haben Auszubildende, die [3][zwei, drei
       Landkreise oder sieben Tarifzonen] queren müssen, um zum Blockunterricht in
       der Berufsschule zu kommen“, sagt die Gewerkschafterin. Was nutzt denen ein
       günstiges Ticket, dass nur innerhalb des Landkreises oder des einen
       Tarifverbundes gilt?
       
       Dafür, argumentiert das Ministerium, könnten die Kommunen oder Landkreise
       ja eigene Kooperationen schaffen – die könnten die Lage vor Ort ja am
       besten einschätzen und wüssten, wo es Bedarf gibt.
       
       In Neumanns Augen läuft das auf einen Flickenteppich hinaus, auf dem am
       Ende kein Mensch mehr den Überblick behält. Und wenigstens auf ein
       gemeinsames Startdatum – vielleicht zum Beginn des Berufsschuljahres im
       August – hätte man sich doch einigen können, findet sie.
       
       Auch Ronja Laemmerhirt von den Jusos wirft Althusmann in einer
       Pressemitteilung vor, mit dem verwässerten und verzögerten Ticket ein
       Versprechen zu brechen, das eigentlich Teil des Koalitionsvertrages von SPD
       und CDU war.
       
       Und Felix Hötker von der Grünen Jugend findet: „Junge Menschen mussten
       während der Pandemie einen hohen Preis zahlen.“ Das 365-Euro-Ticket biete
       immerhin eine Möglichkeit, zu zeigen, dass sie nicht vergessen werden.
       „Diese Chance versäumt Althusmann“, bedauert Hötker.
       
       15 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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