# taz.de -- Deutschland und Krieg: Müssen wir in die Welt zurück?
       
       > Realitäten, die uns nicht in den Kram passen, blenden wir in Deutschland
       > gerne aus. Deshalb waren auch fast alle vom Krieg ehrlich geschockt.
       
 (IMG) Bild: Schöner Versuch der Solidarität mit der Ukraine in Berlin
       
       Viele Jahre suchte ich das Silicon Valley. Ich fand aber nichts. Keinen
       Geist, kein Zentrum, keine Kultur, nur kalifornische Städtchen und Städte
       zwischen der Interstate 280 und dem Highway 101, die für mich
       ununterscheidbar ineinander übergingen. Das irritierte mich total. Deshalb
       fuhr ich dann meist schnell nach San Francisco, lief die Haight Street rauf
       und runter, dann die Columbus Avenue, und am Ende setzte ich mich in den
       Mission Dolores Park.
       
       Das war meine Welt, meine Geschichte, hier war ich zu Hause und in
       Sicherheit. Ich verstand lange nicht, dass ich in ein „Museum“ namens San
       Francisco ging, wie der Stanford-Intellektuelle Hans Ulrich Gumbrecht sagt.
       Überhaupt mied ich konsequent die Gegenwart und lebte zufrieden in meinem
       eigenen Museum des 20. Jahrhunderts.
       
       Damit war ich, und damit kommt schon die Moral, repräsentativ für weite
       Teile der bundesdeutschen Gesellschaft, nicht nur konservative, sondern
       gerade auch linksliberale. Die Welt nicht mehr erobern zu wollen, sondern
       konsequent zu ignorieren, halten wir nach 1945 für unsere größte Tugend.
       Wir leben in unserem wirklich schön kuratierten Museum namens
       Bundesrepublik und archivieren kulturell, intellektuell und auch politisch.
       Alles an Realität, was uns nicht in den Kram passt, blenden wir aus,
       weshalb auch fast alle am Mittwochmorgen ehrlich geschockt waren, als Putin
       seinen Angriffskrieg auf die Ukraine unignorierbar machte.
       
       Aber dann wurden auch schon die Kerzen ins Fenster gestellt, die
       Ukraine-Fahnen gehisst, die Fassungslosigkeitsmonologe gehalten – und was
       wir dann halt in unserer selbstgewählten Hilflosigkeit so tun. Wir haben
       nichts auf der Tasche, weder politisch noch kulturell – außer einem
       fossilen Sozialdemokratismus, den „progressiv“ zu nennen der Anstand
       eigentlich verbieten müsste.
       
       ## Dem Happy-Sprechen entkommen
       
       Was ich sagen will: Wir können das Silicon Valley nicht finden, wenn wir
       die Zukunft mit den Parametern der bundesdeutschen Vergangenheit vermessen,
       wir landen immer nur im Museum. Und geistig gesehen, in unserer eigenen
       Enge, die wir für ultimative Weltweisheit und Superhumanität halten. Aber
       wenn das stumpf gewordene Eigene nur noch zwischen den eigenen Wänden hin
       und her hallt, dann geht einem die Welt vollends verloren. Das gilt für
       Wissenschaft, Medien und die beiden Ex-Volksparteien sowieso.
       
       Deshalb ist die Regierungsbeteiligung für die Grünen und auch für die FDP
       potenziell ein Segen, denn nur so können sie der langjährigen Enge ihres
       schönen Happy-Sprechens entkommen. Wenn jetzt etwa eine Frau in der
       Ukraine, in Afghanistan oder Saudi-Arabien von deutscher „feministischer
       Außenpolitik“ hört, dann könnte sie das für naiv-selbstbezogenen
       Mittelschichtssalontalk halten – oder für nur noch zynisch.
       
       Wer als Europäerin emanzipatorischen Fortschritt gegen imperialistische
       Cliquen durchsetzen will, braucht geopolitische Macht, wirtschaftliche und
       auch militärische. Die sozialökologische Transformation und damit
       Energieautonomie gegenüber Russland ist ein essenzieller Teil
       emanzipatorischer Geopolitik. Sonst lacht Putin sich bestenfalls zu Tode.
       Aber davon sollte man nicht ausgehen.
       
       Es hilft nichts: Wir müssen aus unserem Museum raus und in die Welt zurück.
       
       26 Feb 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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