# taz.de -- Protest der „Letzten Generation“: Die Ritualisierung von Politik
       
       > Kritisiert werden die Autobahn-Blockaden der „Letzten Generation“ aus
       > allen politischen Lagern. Woher kommt die Einigkeit?
       
 (IMG) Bild: „Die letzte Generation“ blockiert eine Kreuzung zu Zollamt und Autobahn in Hamburg, 21. Februar
       
       Es gibt einen amüsanten Ausschnitt aus einer Diskussionsveranstaltung im
       Jahr 2015 mit dem Publizisten Thomas Ebermann. „Ich drehe am Rad“, sagt
       Ebermann immer wieder. Und das Publikum lacht. Ebermann regt sich über
       sogenannte fantasievolle Protestaktionen auf. Als Beispiel nennt er
       Studierende, die in den städtischen Brunnen springen und die Aktion mit dem
       Spruch rahmen: Die Bildung geht baden. Oder Protestierende, die einen Sarg
       tragen, auf dem „Gesundheitswesen“ steht.
       
       Auch eine Aktion der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“, bei der
       Aktivist:innen Mitte Februar Mist im Landwirtschaftsministerium
       ausgeschüttet haben, weil die Politik der Regierung in der Klimakrise eben
       Mist sei, kann man dazuzählen.
       
       Ebermann kritisiert solche Aktionen, die oft damit begründet werden, dass
       man viele Menschen erreichen möchte. Er nennt sie Selbstinfantilisierung,
       Selbstverharmlosung und Selbstverblödung. Die Aktivist:innen machten
       sich nicht nur lächerlich. Sie signalisierten den Kritisierten auch, dass
       sie letztlich harmlos seien.
       
       Für Aufregung sorgen gerade andere Aktionen von „Aufstand der letzten
       Generation“. Aktivist:innen blockieren seit Wochen Autobahnen in
       Deutschland. Sie wollen auf die Dringlichkeit der Klimakrise aufmerksam
       machen, [1][fordern eine sofortige Agrarwende] und ein Gesetz gegen
       Lebensmittelverschwendung. Das „Essen-retten-Gesetz“ soll das Containern
       entkriminalisieren und Supermärkte verpflichten, Lebensmittel zu spenden,
       die sie wegschmeißen würden.
       
       Ein Ultimatum, das die Aktivist:innen an verantwortliche
       Politiker:innen gestellt hatten, lief vergangenen Sonntag aus. Deshalb
       blockierten sie am Montag mehrere Stunden die [2][Köhlbrandbrücke am
       Hamburger Hafen].
       
       Manche haben sich mit Sekundenkleber und Bauschaum an der Brücke
       festgeklebt und Rapsöl auf die Fahrbahnen gegossen. „Hamburg ist Schauplatz
       der Zerstörung. Sein [3][Hafen zeigt das todbringende industrielle
       Weiter-so], während die Auswirkungen der Klimakrise hier bald nicht mehr zu
       übersehen sein werden“, erklärte die Gruppe. Auch Flughäfen wollen sie bald
       blockieren.
       
       ## Auch die Grünen kritisieren die Aktivist:innen
       
       Für die Blockaden kassieren die jungen Menschen viel Hass und Häme. Nicht
       nur von betroffenen Autofahrer:innen. Die Welt bezeichnet die Blockaden als
       narzisstische Nonsens-Aktionen, verglich die Aktivist:innen mit Sekten
       und stellte ihnen den [4][von Rechtsextremen durchsetzten Trucker-Protest]
       aus Kanada gegenüber, der als Protest für körperliche Selbstbestimmung und
       berufliche Sicherheit verklärt wurde.
       
       Die Bild fragte, ob im Kampf um das Klima eigentlich alles erlaubt sei und
       empörte sich darüber, dass die Aktivist:innen Leben gefährdeten – als
       ob die Aktivist:innen durch deutsche Innenstädte marodieren würden, um
       gezielt Coronamaßnahmen zu brechen und tatsächlich andere gefährden.
       Erwartbar fielen auch die Reaktionen konservativer bis rechter Politiker
       aus. „Sie wollen anderen Schaden zufügen“, [5][sagte Alexander Throm],
       innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. AfD-Frakionschef Tino
       Chrupalla stellte fest: „Vergehen sind konsequent zu ahnden.“
       
       Aber auch die, die mit dem Thema Klimakrise an Regierungsmacht gekommen
       sind, sehen das ähnlich. Mit den Blockaden spielten die Aktivist:innen
       „den reaktionären Kräften in die Hand, die eben gerade keinen Klimaschutz
       wollen“, sagte der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, in
       dessen Bereich die konkrete Forderung der Aktivist:innen fällt. „Ganz
       wenige“ würden „Mehrheiten für den Klimaschutz gefährden“.
       
       Eine Demokratie lasse sich nicht erpressen, so Özdemir, der den
       Aktivist:innen ein [6][vordemokratisches Politikverständnis
       attestierte]. Drastisch artikulierte sich die [7][Grüne Katharina
       Fegebank], Zweite Bürgermeisterin von Hamburg: „Kein Verständnis für
       Protest mit der Brechstange“. Die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke
       sah das anders. Aber nur kurz. Sie hatte zivilen Ungehorsam zunächst als
       „absolut legitim“ bezeichnet – und stimmte später dem
       FDP-[8][Bundesjustizminister Marco Buschmann] zu, der die Blockaden als
       „rechtswidrig“ kritisierte.
       
       An dieser Stelle ist es hilfreich, auf den politischen Kontext zu blicken,
       in dem Aktivist:innen in Deutschland Autobahnen blockieren und von
       führenden Grünen-Politiker:innen als undemokratisch gerügt werden: Denn es
       sieht gegenwärtig so aus, dass selbst die relativ ambitionierten
       [9][Klimaziele der Ampelkoalition nicht ausreichen] dürften, um das
       1,5-Grad-Ziel ernsthaft zu verfolgen. Manche Expert:innen sagen, dass es
       [10][kaum mehr in Reichweite sei], dass Deutschland einen ausreichenden
       Beitrag zu dieser Zielsetzung leistet.
       
       ## „Wir haben schon jeden anderen Weg versucht“
       
       Trotzdem kann man dann noch fragen: Was bringt es, Autobahnen zu
       blockieren?
       
       Ebermann wirkte vor über 40 Jahren [11][bei der Gründung der Grünen] mit.
       Als die Partei ihm zu realpolitisch wurde, trat er mit anderen aus. Er
       bettet seine Kritik der fantasievollen Aktionen in eine grundsätzliche
       Kritik von Politik ein. Es ist eine Kritik der politischen Form, die auf
       viele inhaltliche Probleme der Gegenwart übertragen werden kann. „Wer von
       der strukturellen Gewalt ungefähr so denkt, wie wir gesprochen haben, der
       muss eine tiefe Abscheu gegen die Rituale von Regierung und Opposition
       haben“, sagte er in eingangs erwähnter Diskussionsrunde. Er verwies auf den
       Begriff der „Gesellschaft ohne Opposition“ des Philosophen Herbert Marcuse.
       
       Für das Problem der Klimakrise heißt das: Es gab und gibt viel Streit über
       die Frage, wie jener Krise begegnet werden soll. Aber das ritualisierte Pro
       und Contra stellt die strukturelle Dimension, die systemischen Ursachen der
       Erdzerstörung nicht wirklich infrage. Es wird zwar die ganze Zeit über die
       Klimakrise gesprochen, die Welt geht währenddessen trotzdem unter, weil der
       aktuelle Lauf der Dinge, der den Weltuntergang bedingt, nicht gestoppt
       wird.
       
       „Ich würde super gerne andere Wege wählen, aber wir haben einfach schon
       jeden anderen Weg versucht. Wir haben jahrelang Petitionen unterschrieben,
       wir haben jahrelang auf der Straße gestanden und vom Straßenrand aus
       demonstriert und das hat leider nicht zu den Ergebnissen geführt, die wir
       dringend brauchen, um die Menschen vor dem Klimakollaps zu retten“,
       [12][sagte Aimée van Baalen, Sprecherin] der Aktivist:innen, im Interview
       beim Deutschlandfunk.
       
       Militanter Protest – Autobahnblockaden kann man dazuzählen – habe zwar oft
       nicht den Anspruch, der Bestandteil einer Strategie zu sein, so Ebermann.
       Er sei Notwehr, ein Abwehrreflex gegen die Zumutungen dieser Gesellschaft
       und ihrer Rituale, zu denen der fantasievolle Protest gehöre.
       
       Mit Autobahnblockaden mögen die Aktivist:innen also vielleicht keine
       klimapolitischen Gesetze erwirken. Aber sie können damit den Modus infrage
       stellen, in dem über die Klimakrise und den Umgang mit ihr verhandelt wird.
       Und mit den Reaktionen können sie offenlegen, wie wenig sich Grüne, CDU und
       Springer-Medien unterscheiden, wenn es um die Frage geht, ob man so
       weitermacht wie bisher.
       
       27 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [5] https://www.welt.de/politik/deutschland/video237061657/Klima-Aktivismus-Neue-Strassenblockaden-der-Letzten-Generation-sorgen-fuer-Empoerung.html
 (DIR) [6] https://www.fr.de/politik/letzte-generation-blockade-frankfurter-flughafen-berlin-ber-muenchen-news-zr-91362668.html
 (DIR) [7] https://twitter.com/fegebanks/status/1495726059483979779?ref_src=twsrc%5Etfw
 (DIR) [8] https://twitter.com/MarcoBuschmann/status/1491509094250864645
 (DIR) [9] /Klima-im-Koalitionsvertrag/!5817862
 (DIR) [10] /Proteste-der-Letzten-Generation/!5831060
 (DIR) [11] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1150874.thomas-ebermann-kraft-der-negation.html
 (DIR) [12] https://www.deutschlandfunk.de/interview-mit-aim-e-van-baalen-sprecherin-von-aufstand-der-letzten-generation-dlf-e3ec04bb-100.html
       
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