# taz.de -- Serbiens Reaktionen auf den Krieg: Seiltanz in Belgrad
       
       > Zwischen Erinnerungen an die eigene Bombardierung 1999 und der Nähe zu
       > Russland: Regierung und Bevölkerung in Serbien sind hin- und hergerissen.
       
 (IMG) Bild: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić (Archivaufnahme vom September 2021)
       
       BELGRAD taz | Die Regierung Serbiens hat sich sehr schwer damit getan,
       Stellung zum Krieg in der Ukraine zu nehmen. Am Freitagabend trat dann der
       serbische Staatspräsident Aleksandar Vučić dramatisch vor die Kameras. Er
       erklärte den Serben, welch großem Druck er ausgesetzt gewesen sei, für die
       eine oder andere Seite Partei zu ergreifen, beklagte sich über seine
       Müdigkeit und Augenringe, qualifizierte sowohl das russische als auch das
       ukrainische Volk als „brüderlich“ und kam dann zur Sache.
       
       Die offizielle serbische Stellungnahme zeigt letztlich den serbischen
       außenpolitischen Seiltanz zwischen Ost und West: Man unterstützt die
       territoriale Integrität der Ukraine, doch lehnt es ab, gegen Russland
       Sanktionen zu verhängen. Wörter wie „Verurteilung“ oder „Verdammung“ wurden
       hinsichtlich Russlands strikt vermieden.
       
       Serbiens Nationaler Sicherheitsrat hatte mehrmals getagt, um über jedes
       einzelne Wort zu beraten und wartete zugleich ab, um zu sehen, wie
       westliche Staaten und China auf die russische Invasion reagieren würden.
       
       Das Zögern der serbischen Staatsspitze war nachvollziehbar: Das Land ist
       bei seiner Energieversorgung abhängig von Russland, zugleich ist die
       Europäische Union mit Abstand der größte Handelspartner und Geldgeber.
       Wladimir Putin erwartet Loyalität von Partnern, die russisches Gas zum
       Vorzugspreis bekommen und umgekehrt erwartet die EU vom Beitrittskandidaten
       Serbien, dass es seine Außen- und Sicherheitspolitik mit Brüssel in
       Einklang bringt.
       
       ## Mit neutraler Haltung durchmogeln?
       
       Der serbische Machthaber Vučić hofft auch diesmal mit einer neutralen
       Haltung davonzukommen und weder Moskau noch Brüssel und Washington allzu
       sehr zu brüskieren oder gar zum Feind zu machen.
       
       Dabei geht es nicht nur um außenpolitische und wirtschaftliche Sorgen. Die
       Serben sind ausgesprochene russophile „Putinversteher“. Russland wird als
       die slawisch-orthodoxe Schutzmacht Serbiens empfunden. Vereinfacht gesagt,
       lieben die Serben die Russen. Und dann finden am 3. April noch Parlaments-,
       Präsidentschafts- und Kommunalwahlen statt und da kann man es sich nicht
       leisten, sich gegen Russland zu wenden.
       
       Auch der staatliche Rundfunk berichtete von einer russischen „speziellen
       militärischen Aktion“ in der Ukraine und nutzte damit Putins Ausdrucksweise
       und sprach nicht etwa von einer „Aggression“ oder „Invasion“. Eine
       Klassifizierung dessen, was in der Ukraine passiert, wird in regimetreuen
       Medien strikt vermieden. Die gleichgeschalteten Boulevardblätter betonten,
       dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Friedensgespräche mit
       Putin „abgelehnt“ hätte.
       
       In Fernsehtalkshows wechselten sich außenpolitische Analytiker ab, die
       erklärten, dass Putin völlig zu Recht von der Nato forderte, die
       Osterweiterung einzustellen und ihre Raketen aus der Nähe der russischen
       Grenzen abzuziehen.
       
       ## Erinnerung an die Nato-Bomben auf Serbien 1999
       
       Und man sprach immer wieder von der heuchlerischen Haltung des Westens.
       Denn die Nato hatte 1999 das souveräne Serbien fast drei Monate lang
       bombardiert, das Völkerrecht mit dem Recht des Stärkeren ersetzt und danach
       das serbische Territorium Kosovo von Serbien abgespalten. Und wenn Russland
       das Gleiche mache, rege sich der Westen im Brustton moralischer
       Überlegenheit auf.
       
       Der Krieg in der Ukraine löst in der kollektiven Seele der Serben einen
       Zweispalt aus: Einerseits riefen die Fernsehbilder aus der Ukraine – der
       heulende Fliegeralarm, das Rattern der Flak, die dumpfen Explosionen nach
       dem Einschlag der Marschflugkörper, die Einschläge in Wohnhäusern,
       verängstigte Menschen in Metrostationen – wieder das eigene Kriegstrauma
       hervor, worauf man sich mit dem Leid der Ukrainer identifizierte.
       
       Andererseits kann man die Schadenfreude nicht unterdrücken, wenn es Putin
       dem Westen zeigt. Denn der Westen hätte den Serben im und nach dem
       Jugoslawienkrieg unerhörtes Unrecht angetan. Und letztendlich neigt man
       dann doch zu Russland, denn Moskau verhindere mit seinem Vetorecht die
       Aufnahme der Ukraine und „die Russen haben uns nie bombardiert“. Ein
       Schönheitsfehler ist, dass Putin nun mit der Bombardierung der Ukraine
       genau dies antut, aber was soll’s.
       
       Serbien und die serbische Entität Republika Srpska in Bosnien sind ein
       russisches Standbein auf dem Westbalkan, was in der inzwischen euphorisch
       polarisierten Welt noch mehr zum Ausdruck kommt. Als Putin 2014 Belgrad
       besuchte, schmiss man ihm zu Ehren eine Militärparade. Hunderttausend
       Serben kamen in die Hauptstadt, um ihm zuzujubeln.
       
       27 Feb 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrej Ivanji
       
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