# taz.de -- Umweltexperte über ukrainische AKWs: „Gefährlicher als in Tschernobyl“
       
       > Der Überfall auf die Ukraine bedroht die AKWs im Land. Sorgen bereiten
       > dem Umweltexperten Olexi Pasyuk vor allem die umkämpften Meiler in
       > Saporischja.
       
 (IMG) Bild: Unter russischer Kontrolle: Atomkraftwerk Saporischja am 8. März
       
       taz: Was ist los im 1986 havarierten Atomkraftwerk [1][Tschernobyl]? 
       
       Olexi Pasyuk: Vieles von dem, was dort passiert, wissen wir nicht. Einfach
       deswegen, weil die russischen Besatzer den Kontakt der Mannschaft zu ihren
       Familien und anderen Menschen nicht zulassen. Sie erlauben auch keinen
       Schichtwechsel. Angeblich, weil sie fürchten, dass ukrainische Militärs mit
       einer neuen Schicht eindringen könnten.
       
       Was fürchten Sie? 
       
       Natürlich machen wir uns wegen Tschernobyl Sorgen, denn man kann nicht
       erwarten, dass sich Militärs an Vorschriften zur Einhaltung der
       Strahlensicherheit halten. Am meisten beunruhigen mich in Tschernobyl die
       Kühlbecken für abgebrannten Brennstoff. Da die Brennstäbe schon 20 Jahre in
       diesen Becken gekühlt werden, ist die Temperatur zum Glück schon relativ
       niedrig. Doch es gibt auch Experten, die eine Kettenreaktion befürchten,
       sollte Kühlwasser verloren gehen.
       
       Und wie kann Kühlwasser verloren gehen? 
       
       In den ersten Tagen der Besetzung des AKW durch russisches Militär gab es
       [2][Probleme mit der Stromversorgung]. Dann schien dies geregelt zu sein,
       die Ukraine brachte Dieselgeneratoren, die Leitungen wurden repariert.
       
       Am Montag wurde die Leitung nach Tschernobyl [3][offenbar von den Russen
       zerstört]. Und nun? 
       
       Das muss unbedingt repariert werden. Wenn Strom ausfällt, gibt es auch
       keine Kühlung: Dann kann das Kühlwasser verdampfen und [4][begrenzt
       Radioaktivität freigesetzt] werden. Noch schlimmer wäre es, wenn das
       Kühlbecken beschädigt würde. Experten fürchten eine atomare Kettenreaktion,
       wenn 75 Prozent des Kühlwassers verloren gehen.
       
       Aber es gibt doch jetzt in Tschernobyl trockene Lager für abgebrannten
       Brennstoff? 
       
       Der abgebrannte Brennstoff aus Tschernobyl hätte schon 2004 vom Nass- ins
       Trockenlager gebracht werden müssen. Dann wäre die Lage jetzt etwas weniger
       gefährlich. Doch das Trockenlager ist erst im letzten Jahr in Betrieb
       genommen worden. Von 21.000 Brennstäben im Abklingbecken haben sie im
       vergangenen Jahr 19.442 ins Trockenlager gebracht.
       
       Kurz nach der Einnahme von Tschernobyl durch russische Truppen soll die
       Radioaktivität erhöht gewesen sein. Stimmt das? 
       
       Die Staatliche Messstelle Ökozentrum hat leicht erhöhte Werte gemessen. Man
       hatte das damit erklärt, dass die Militärfahrzeuge Staub aufwirbeln. Für
       mich ist das nicht schlüssig. Denn in dieser Jahreszeit gibt es kaum Staub
       auf den Straßen.
       
       Was ist mit dem Sarkophag, dem Schutzmantel, der seit 2019 den zerstörten
       Reaktorblock umhüllt? 
       
       Es gibt ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem für den Sarkophag. Nur hat
       niemand daran gedacht, dass auf dem Gebiet von Tschernobyl gekämpft werden
       würde. Was ist, wenn die Belüftung ausfällt? Die Aufgabe der Ventilation
       ist es, eine bestimmte Temperatur und bestimmte Feuchtigkeit zu halten, um
       ein Rosten der Geräte zu verhindern. Zerstörungen sind schwer wieder zu
       reparieren. Jede Kampfhandlung am Sarkophag führt zu unkalkulierbaren
       Risiken.
       
       Und in Saporischja, dem größten Atomkraftwerk Europas im Süden der Ukraine? 
       
       Dazu haben wir mehr Informationen. Dort haben die Russen einen
       Schichtwechsel erlaubt. Gleichwohl ist die Lage dort gefährlicher als in
       Tschernobyl. Dort ist aktiv gekämpft worden, die Russen haben das
       Verwaltungsgebäude beschossen. Dabei ist auch ein Transformator am 6. Block
       ausgefallen. Es ist auch nicht klar, inwieweit die Ummantelung der
       Reaktoren vor dem Schuss eines Panzers schützt.
       
       Wenn dort der Kühlvorgang unterbrochen wird, ist das gefährlicher als in
       Tschernobyl, weil es sich um frisch abgebrannte Brennstäbe handelt. Als die
       Russen das AKW Saporischja einnahmen, waren von sechs Reaktoren drei am
       Netz, zwei davon wurden sofort runtergefahren. Aber der Reaktor Nr. 4, der
       am weitesten von den Kämpfen entfernt war, lief weiter. Inzwischen ist ein
       zweiter Reaktor dort in Betrieb. Sicherer wäre es gewesen, man hätte alle
       sechs Reaktoren heruntergefahren. Ein weiterer Faktor ist: das Personal im
       AKW Saporischja steht völlig unter Stress und ist übermüdet. Bei so einer
       Anspannung ist menschliches Versagen nicht auszuschließen.
       
       Wie funktioniert derzeit die Energieversorgung in der Ukraine? 
       
       Wir sehen, dass die russischen Angreifer gezielt Infrastruktur vernichten.
       In Mariupol gab es 15 Stromleitungen in die Stadt. Die Russen haben sie
       alle gezielt vernichtet. In Achtirka haben sie die zentrale Versorgung der
       Heizungen zerstört – dort gibt es derzeit weder Strom noch Heizung. Wir
       verbrauchen ja derzeit weniger Strom als sonst. Aber wir können auch keinen
       Brennstoff mehr kaufen. 50 Prozent des Stroms kommen in der Ukraine aus
       AKWs. Schade, dass bei uns die Atomenergie eine so wichtige Rolle spielt.
       Das macht uns gegenüber Russland verletzlich.
       
       Was fordern Sie von Europa? 
       
       Wir sind ja als Erbe der Sowjetunion mit Belarus und Russland in einem
       gemeinsamen Stromnetz. Wir wollen aus dieser Abhängigkeit heraus, in das
       westliche Netzsystem [5][Entsoe-E]. Vor dem Krieg war vereinbart worden,
       dass wir 2023 zu Entsoe-E wechseln können. Jetzt wird das hoffentlich
       schneller gehen.
       
       15 Mar 2022
       
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