# taz.de -- Sartre übers Olympiaattentat von 1972: Der Alte wird radikal
       
       > Wie Jean-Paul Sartre nach den Olympischen Spielen von München und dem
       > Überfall auf jüdische Sportler zum Gewaltverherrlicher wurde.
       
 (IMG) Bild: „Terror als Waffe“: Jean-Paul Sartre mit Simone de Beauvoir 1950 in Dakar
       
       Als [1][palästinensische Terroristen] des „Schwarzen September“ bei den
       Olympischen Sommerspielen von München jüdische Sportler überfielen, war
       Jean-Paul Sartre, Ikone der französischen Linken, schon 67 Jahre alt. Er
       war nach Schlaganfällen kränklich, aber nicht weniger kämpferisch.
       
       Sartre hat sich zeitlebens fürs Boxen interessiert, und am Sport reizte ihn
       vornehmlich dessen Ästhetik. Dass der sportliche Körper an sich schön und
       eben auch erotisch ist, hat er indirekt postuliert, als er das Obszöne als
       das sexuell Reizlose festschrieb: Wenn ein Körper durch Unförmigkeit so
       missgebildet sei, dass die Enthüllung seines Fleisches den Betrachter
       kaltlasse, dann sei die Unfähigkeit, diesen Körper zu begehren, ein
       Charakteristikum des Obszönen.
       
       Ob Jean-Paul Sartre sich die Olympischen Spiele des Jahres 1972 anschaute,
       ist nicht überliefert, das Attentat der Palästinenser beschäftigte ihn
       zweifelsohne. Was im Olympischen Dorf als Geiselnahme begann, endete mit
       der Ermordung aller elf jüdischen Sportler sowie mit dem Tod von fünf
       Geiselnehmern und einem Polizisten. Der Terror war im Sport angekommen –
       und hinterließ zahlreiche Traumata.
       
       ## „An den Eiern aufhängen“
       
       Sartre instrumentalisierte freilich den Schrecken, der auf dem Flugplatz
       Fürstenfeldbruck nur ein vorübergehendes Ende finden sollte. In einer
       Ausgabe von La Cause du peuple, einer Sartre nahe stehenden maoistischen
       Zeitschrift, holte er ein paar Wochen später zu einem gern vergessenen
       Rundumschlag aus, der vielleicht nur zu verstehen ist, wenn man einen Blick
       auf die schiefen Gedankentürme der Herausgeber wirft. So forderten sie in
       eben jenem Jahr 1972, dass ein des Mordes angeklagter Anwalt „an den Eiern
       aufgehängt, mit einem Rasiermesser aufgeschlitzt und gelyncht werden
       solle“, wie der Autor [2][Gary Cox in „Existenzialismus und Exzess“]
       dokumentiert.
       
       Selbst Sartre ging das zu weit, er intervenierte. Doch obwohl er wusste,
       „dass das Blatt engstirnig und unvernünftig war“, habe er getan, „was er
       konnte, um es am Laufen zu halten“. Sartre postuliert im [3][Artikel „Über
       München“ am 15. Oktober 1972] also einen Kriegszustand zwischen dem Staat
       Israel und den Palästinensern: „In diesem Krieg ist die einzige Waffe der
       Palästinenser der Terrorismus. Es ist eine schreckliche Waffe, aber die
       Unterdrückten haben keine andere, und die Franzosen, die den Terrorismus
       der FLN (Nationale Befreiungsfront in Algerien; d. Red.) gegen Franzosen
       gebilligt haben, müssen auch die terroristische Aktion der Palästinenser
       billigen. Dieses verlassene, verratene und verbannte Volk kann seinen Mut
       und die Kraft seines Hasses nur zeigen, indem es tödliche Angriffe
       organisiert.“
       
       Der Text wurde 1982 in Les Nouvelles littéraires unter dem Titel „A New
       Sartre Scandal“ nachgedruckt, doch grosso modo ist er aus dem Bewusstsein
       der Sartre-Jünger verschwunden, weil er ihnen wohl zu peinlich ist.
       
       ## „Am Rande des Terrorismus“
       
       Jean-Paul Sartre erlebt im Alter offensichtlich noch einmal einen heftigen
       Radikalisierungsschub. „Gegengewalt“ gegen politische Repression und gegen
       die „strukturelle Gewalt“ der Gesellschaft sei durchaus nötig, um
       Veränderungen herbeizuführen. In „Die Maoisten in Frankreich“, auch
       erschienen 1972, verteidigt er „das gesunde Prinzip der revolutionären
       Gewalt“. Und als der Personalchef von Renault, Robert Nogrette, in dieser
       heißen Phase des Kulturkampfs entführt wird, billigt Sartre diese Aktion
       zwar nicht, sagt aber, sie sei zu erwarten gewesen: „Nun bewegte er sich am
       Rande des Terrorismus“, urteilt Autor Cox.
       
       Moralische Untiefen hat seinerzeit auch der Chef des Internationalen
       Olympischen Komitees, Avery Brundage, ausgelotet. Auf Geheiß des
       US-Amerikaners mit antisemitischer Vita – er agitierte gegen Schwarze und
       sympathisierte mit den Nazis – wurden die Spiele nur für lächerliche 34
       Stunden unterbrochen, im Hauptstadion hielt man eine Messe zum Gedenken an
       die Opfer ab. „The Games must go on!“, dekretierte Brundage, dessen
       Bagatellisierung des Terrors nicht minder unerträglich war.
       
       18 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
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