# taz.de -- Rüstungskooperationen mit Russland: Schmutzige Geschäfte
       
       > Im Jahr 2008 führte Moskau in Georgien Krieg. Dennoch begannen Europa und
       > Russland danach eine intensive Rüstungszusammenarbeit.
       
 (IMG) Bild: MiG-Kampfjets sind auch dabei: Übung für die im Mai geplante Siegesparade in Moskau
       
       BERLIN taz | Frank-Walter Steinmeier hielt im Frühjahr 2008 eine Rede an
       der Universität Jekaterinburg. Ihr Titel: „Für eine deutsch-russische
       Modernisierungspartnerschaft“. Der damalige Außenminister und heutige
       Bundespräsident formulierte darin das Konzept des „Wandels durch Handel“,
       das über Jahre Grundlage der deutschen Russland-Politik war. Es besagt: Wir
       investieren bei euch; das modernisiert eure Industrie und die Gesellschaft
       gleich mit dazu.
       
       Dass der Kreml kurz darauf den Georgien-Krieg vom Zaun brach, ließ die
       deutsche Politik nicht zweifeln. Dort galt die breite Überzeugung, dass
       sich das Kurshalten auszahlen werde. Das fein ausgedachte Kalkül: Sich
       verflechten schafft Abhängigkeiten. Diese würden auf lange Sicht zum
       ultimativen Gewalthemmer, schließlich wolle sich niemand selbst schaden.
       Für die selbst ernannte Friedensmacht Deutschland war „Wandel durch Handel“
       das vermeintliche Supertool, mit dem sich auch gefallene und damit
       aggressive Ex-Supermächte wie Russland sedieren ließen, sodass deren
       imperiale Phantomschmerzen abklingen.
       
       Das Investitionssignal der Politik für Russland musste insbesondere die
       deutsche Wehrindustrie ansprechen. Denn das russische Pendant ist eine
       zentrale Größe der dortigen Wirtschaft. Klaus Mangold, der langjährige
       Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, sagte 2018 in
       einem Interview: „Wenn Sie den Rüstungssektor herausrechnen, ist Russland
       bei einem Industrieanteil an der Bruttowertschöpfung, der, denke ich,
       kleiner ist als die 20 bis 25 Prozent, die man für ein echtes Industrieland
       ansetzt.“
       
       Zudem wurde 2007 Anatoli Serdjukow russischer Verteidigungsminister – ein
       auf westliche Managementmethoden getrimmter Ex-Geschäftsmann einer
       Möbelhandelskette. Dieser legte das Modernisierungsprogramm der russischen
       Streitkräfte von 2011 bis 2020 explizit für europäische Beteiligungen aus,
       um den Preis- und Innovationsdruck auf den heimischen Rüstungskomplex zu
       erhöhen. Dabei half ihm die dürftige Performance der russischen Armee im
       Georgien-Krieg, Widerstände aus Industrie und Militär übergehen zu können.
       
       ## Soldaten-Drill dank Rheinmetall
       
       Somit leitete [1][Deutschlands wichtigster Rüstungskonzern Rheinmetal]l
       2011 das Großprojekt eines hochmodernen Ausbildungszentrums für die
       russische Armee ein, zum Drillen von 30.000 Soldaten im Jahr. Das
       Auftragsvolumen betrug 120 Millionen Euro. Der Konzern in seiner damaligen
       Pressemitteilung: „Der Auftrag ist von besonderer strategischer Bedeutung.
       Mit ihm ist der deutschen Wehrtechnik erstmals in bedeutendem Umfang der
       Zugang zum russischen Markt gelungen. Im Hinblick auf die Modernisierung
       der Ausrüstung der russischen Streitkräfte bieten sich damit gute Chancen
       für Folgebeauftragungen aus der Russischen Föderation.“ Rheinmetall
       beschreibt sich hier als Türöffner zu einem Eldorado für Deutschlands
       Waffenschmieden, in dem sie mit ihren Zulieferfirmen üppig verdienen
       könnten.
       
       Russland war auch Verheißung, weil die Bundeswehr weiter verkümmerte. Im
       Jahr des Rheinmetall-Deals wurde in Deutschland die Wehrpflicht ausgesetzt
       – Teil eines Ad-hoc-Sparpakets von acht Milliarden Euro bei den bereits
       ausgehöhlten Streitkräften, um die Nachwehen der Finanzkrise zu bewältigen.
       Damals rechnete man mit einem weiteren Schrumpfkurs des Wehretats. Für
       Deutschlands Waffenindustrie galt es daher dringend, neue Märkte zu
       erschließen. Ein Kalkül, das auch für die europäische Konkurrenz galt.
       Schließlich sparten die meisten EU-Mitgliedstaaten zu der Zeit bei ihren
       „Bonsai-Armeen“ – so ein geflügelter Ausdruck unter Militärexperten – noch
       weiter.
       
       In der Folge begann eine Reihe ambitionierter Rüstungskooperationen mit
       Russland. Ebenfalls 2011 startete Renault mit der russischen
       Rüstungsschmiede Uralwagonsawod das Projekt eines neuen Schützenpanzers für
       das russische Heer. Davor hatte Frankreich bereits mit Russland vereinbart,
       für 1,3 Milliarden Euro zwei Helikopterträger der Mistral-Klasse zu bauen,
       samt Technologietransfer und der Erlaubnis zur Lizenzproduktion.
       
       Der [2][deutsche Maschinenbauer MTU] sollte gleich für mehrere neue
       Schiffstypen der russischen Marine die Dieselmotoren liefern, so für die
       Korvetten der Gremjatschi-Klasse, die seit 2020 im Dienst sind. Symbol
       dieser russisch-europäischen Symbiose war vor allem der Vertrag der
       italienischen Iveco, sagenhafte 1.775 Infanteriekampffahrzeuge für die
       russischen Streitkräfte zu produzieren. Das Iveco-Modell M65 setzte sich
       sogar gegen das russische Konkurrenzfahrzeug Tigr durch.
       
       ## Lieferungen noch bis 2018
       
       Das vermeintliche Goldene Zeitalter war jedoch vorbei, bevor es richtig
       begonnen hatte. Erste dunkle Wolken zogen bereits 2012 auf. Damals wurde
       Radikalreformer Serdjukow geschasst und der jetzige
       [3][Verteidigungsminister Sergei Schoigu] übernahm das Ruder. Sein Kurs:
       maximal machbare Unabhängigkeit in der Rüstung, und zwar zügig. Eines der
       ersten Opfer war 2013 der Iveco-Deal. Nun setzten die Russen doch auf ihr
       Eigengewächs, das Fahrzeug Tigr.
       
       Im Jahr darauf annektierte Russland die Krim und begann einen verdeckten
       Angriffskrieg im Osten der Ukraine. Russlands Diktator Wladimir Putin
       zeichnete damals umgehend ein großes Programm ab, um aus EU und
       Nato-Staaten eingeführte Militärtechnik durch russische zu ersetzen.
       
       Die großen Rüstungsvorhaben wie Rheinmetalls Ausbildungszentrum und die
       Mistral-Helikopterträger kollabierten nun, da sie politisch nicht mehr
       haltbar waren – auch wenn die EU-Sanktionen Altverträge nicht berührten.
       Auf deren Basis gingen weiter Rüstungsgüter nach Russland. Ab 2014
       verzeichneten die Rüstungsexportberichte der Bundesrepublik noch
       Genehmigungen bis 2018. Zwei Mehrzweckschiffe, Jagdwaffen, geschützte
       Geländewagen sowie Satellitentreibstoff. Die Luft- und Raumfahrt blieb bis
       zur Ukraine-Invasion ein letztes enges Kooperationsgebiet der Europäer mit
       Russland.
       
       Dessen größter europäischer Rüstungspartner war über die Jahre Frankreich,
       zeigen die Exporterhebungen der EU. Der Waffenexportexperte Pieter Wezeman
       vom Stockholmer internationalen Friedensforschungsinstitut Sipri im
       Gespräch mit der taz: „Für Frankreichs Wehrfirmen wie Thales und Safran
       machten die Russland-Lieferungen nur einen kleinen Teil ihrer
       Gesamteinnahmen aus. Allerdings war der potenzielle Markt wegen des groß
       angelegten Modernisierungsprogramms beträchtlich.“
       
       ## Technologie aus Frankreich für russische Panzer
       
       Zum einen halfen die Franzosen bei zentralen Aspekten der
       Armeemodernisierung. Von [4][der französischen Wehrschmiede Thales] kamen
       Wärmebildkameras für den T-72 – der die Masse der russischen Panzerbestände
       ausmacht. Zum anderen profitierten die Franzosen beim Waffenexport der
       Russen. Die beliefern hauptsächlich Schwellenländer, die sich teure
       westliche Hightech nicht leisten können, mit aufgewertetem Sowjet-Material.
       
       Die Upgrades stellten die staatlichen Wehrfirmen der Grande Nation. Dazu
       gehörte vor allem modernere Avionik für Kampfjets. Sie findet sich
       beispielsweise in den SU-30MKI-Geschwadern Indiens. Der russische Kampfjet
       ist das Rückgrat der indischen Luftwaffe.
       
       Wärmebildkameras und Avionik fallen in der EU-Militärgüterliste unter die
       Positionen 15 und 11. Wertet man die Exportberichte Frankreichs seit
       Sanktionsbeginn 2014 aus, fällt die Masse der genehmigten Exportlizenzen
       für die Russische Föderation auf genau diese beiden Positionen. Die
       französische Rechercheplattform Disclose zeigte jüngst solche trotz der
       Sanktionen von 2014 weiterlaufenden Lieferungen. Als Reaktion darauf ließ
       das französische Verteidigungsministerium verlauten: Alles rechtens, es gab
       lediglich Export aus Altverträgen. Verbotene Neuverträge hätte es nie
       gegeben.
       
       Allerdings warten zurzeit MiG-29 Kampfflugzeuge für [5][Algerien] in
       Russland auf ihre Fertigstellung. Diese sollen französische Avionik und
       Optronik von Thales und Safran erhalten. Die Einschätzung von
       Sipri-Fachmann Pieter Wezeman: „Algerien kauft seit der Unabhängigkeit vor
       allem russische Waffen. Frankreich fiel es lange schwer, in diesen Markt
       einzubrechen.“ In Branchenkreisen ist bekannt, dass die Verträge für die
       algerischen MiGs erst 2019 im Rahmen der Moskauer Luftfahrtmesse
       geschlossen wurden.
       
       ## Windelweiche Rahmenverträge
       
       Lieferung und Einbau französischer Waffentechnik über Altverträge scheint
       wenig glaubhaft. Ein Sprecher der EU-Kommission antwortet auf Nachfrage der
       taz ausweichend: „Für die Einhaltung des EU-Waffenembargos sind die
       Mitgliedstaaten selbst verantwortlich.“ Das französische Wehrressort sowie
       Thales äußerten sich auf Anfrage nicht. Eine Sprecherin von Safran zum
       MiG-Deal gegenüber dem Autor: „Safran erfüllte nur Altverträge, die nun
       beendet wurden. Seit 2014 wurden keine neuen Verträge für Wehrtechnik mit
       Russland geschlossen.“
       
       Der MiG-Deal von 2019 zeigt: Es ging nicht nur um das Auslaufenlassen von
       Geschäften, die vor der Krim-Annexion vereinbart worden waren. Frankreich
       agierte in Russland auch mit Altverträgen in der Form windelweicher
       Rahmenvereinbarungen, über die stetig neue Bestellungen zugelassen wurden.
       Eine bauernschlaue Praxis, die wohl munter weitergegangen wäre, hätte Putin
       seinen verdeckten Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht zur offenen
       Invasion eskaliert.
       
       24 Apr 2022
       
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