# taz.de -- Kirche gegen Leihmutterschaft: Keine Kinder für den Domkantor
       
       > Die evangelische Landeskirche in Braunschweig hat ihren Domkantor
       > gefeuert, weil der mit Hilfe von Leihmüttern Kinder haben will.
       
 (IMG) Bild: In den Augen der Kirche darf nicht jede Maria Leihmutter sein
       
       BRAUNSCHWEIG taz | Seit 23 Jahren arbeitet Gerd-Peter Münden als Domkantor
       für die evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig. Er hat der
       Domsingschule, die er als „sein Baby“ bezeichnet, zu neuem Glanz verholfen,
       mit seinem Projekt „Klasse! Wir singen“ riesige Hallen gefüllt,
       Grundschüler fürs Singen begeistert, Aufzeichnung eingeheimst. Niemand
       störte sich daran, dass Münden ebenso offen schwul wie offen religiös ist,
       auch nicht als er 2020 seinen deutlich jüngeren Partner heiratete.
       
       Doch dann stieß Münden auf eine ganz neue Dimension des
       Vereinbarkeitsproblems. Bei Münden ist es nicht nur schwierig, Familie und
       Beruf zu vereinbaren. Von Münden verlangt die Kirche, auf seinen
       Kinderwunsch zu verzichten – und damit von seinem Mann im Grunde auch.
       
       Für eine Adoption kommen Münden und sein Mann den deutschen Regelungen
       zufolge nicht infrage, weil der Altersunterschied zu groß ist: Münden ist
       55, sein Mann Esteban Builes-Münden 33 Jahre alt.
       
       Also begannen die beiden über eine Leihmutterschaft nachzudenken. [1][Die
       ist in Deutschland zwar verboten, in vielen anderen Ländern aber nicht] –
       und Paare, die es sich leisten können, sich ihren Kinderwunsch im Ausland
       zu erfüllen, können in Deutschland dafür nicht belangt werden, [2][das
       Kindschaftsverhältnis wird von den Behörden anerkannt]. Builes-Münden
       begann also in seiner Heimat Kolumbien Informationen einzuholen.
       
       ## Grund genug für eine Kündigung?
       
       Und spätestens von diesem Punkt an gehen die Darstellungen auseinander. Die
       evangelische Kirche hat eine relativ klare Position gegenüber der
       Leihmutterschaft formuliert. Sie besagt im Kern, dass man die Gefahr, dass
       bei diesem Prozess die austragenden Mütter und ihre Kinder zur Ware
       degradiert werden, für so groß hält, dass man Leihmutterschaft lieber
       vollständig ablehnt. Darauf sollen verschiedene Kirchenmitarbeiter*innen,
       mit denen Münden über seine Pläne sprach, hingewiesen haben.
       
       Tatsächlich ist [3][Leihmutterschaft ja ein hochkomplexes ethisches und
       juristisches Problem]. Wer hat welche Rechte an einem Kind, wenn die
       genetischen Eltern, die austragende Mutter und die sozialen Eltern
       verschiedene Personen sind? Welche Rechte hat dieses Kind? Und wem
       gegenüber kann es sie geltend machen? Wie verhindert man, dass daraus eine
       global agierende Menschenhandelsindustrie wird, die vor allem arme Frauen
       ausbeutet? Das sind Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind.
       
       Aber sind sie auch Grund genug, jemandem zu kündigen? Das kirchliche
       Arbeitsrecht ist in dieser Hinsicht ein Sonderfall – und immer mal wieder
       Gegenstand von Verfahren, die sich bis zum Bundesverfassungsgericht ziehen.
       Wie weit darf die Kirche ihren Mitarbeiter*innen in die persönliche
       Lebensführung reinreden? Das hängt häufig auch davon ab, wie exponiert und
       öffentlich die Position ist, die sie bekleiden.
       
       Der Domkantor als führender Kirchenmusiker ist nun unzweifelhaft ein
       ziemlich exponiertes Amt und Teil des „Verkündigungsauftrages“, wie es in
       der Kirchensprache heißt. Das räumt selbst Mündens Anwalt Bernhard
       Baumann-Czichon ein, der auf kirchliches Arbeitsrecht spezialisiert ist.
       
       ## Eine unangenehme öffentliche Debatte
       
       Gestritten wird nun aber unter anderem um die Frage, ob es nicht vor der
       Kündigung noch mildere Mittel gegeben hätte und wer hier eigentlich für die
       Öffentlichkeit der Debatte gesorgt hat. In der Darstellung der Kirche hat
       Münden seine Pläne immer wieder im Kollegium thematisiert und damit für
       anhaltende Zerwürfnisse und sogar eine Kündigung gesorgt. Nach intensiven
       Gesprächen mit der Kirchenleitung habe er zunächst gesagt, er wolle von
       seinen Plänen Abstand nehmen, habe es sich dann aber wieder anders
       überlegt.
       
       Münden widerspricht dem. Er sagt, er habe sich lediglich die Entscheidung
       offen halten wollen und im Übrigen auch nur zwei Kolleginnen ins Vertrauen
       gezogen. Die hätten wiederum ihre Empörung und ihre Ablehnung dann nach
       oben und schließlich auch nach außen getragen, indem sie den Landesbischof
       und die Eltern der Chorkinder alarmierten.
       
       Fest steht: Die Dompredigerin hat den schwelenden Konflikt in einer E-Mail
       an einen sehr großen Verteiler mit mindestens 600 Empfänger*innen
       offengelegt. Wohl in Absprache mit dem Landesbischof sprach sie darin auch
       von arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Diese Nachricht ging an aktuelle und
       ehemalige Domschulkinder und ihre Eltern. Damit war die Geschichte in der
       Welt und wurde auch auf den Seiten der lokalen Braunschweiger Zeitung
       lebhaft debattiert.
       
       Münden wehrt sich in der Folge vor allem gegen die Darstellung, er wolle
       hier rücksichtslos mit Hilfe eines kommerziellen Anbieters seinen
       Kinderwunsch auf Kosten armer Frauen realisieren.
       
       „Mein Mann telefoniert fast täglich mit den beiden Frauen“, versichert er.
       Es würde auch nicht mehr als eine Aufwandsentschädigung fließen, die Motive
       der Frauen seien nicht finanzieller Natur. Daran zweifelt sein ehemaliger
       Dienstherr. Man habe das Ganze sehr sorgsam geprüft und sich die
       Entscheidung bestimmt nicht leicht gemacht, sagt Pressesprecher Michael
       Strauß. Münden sei unbestreitbar ein hoch verdienter Mitarbeiter und man
       hätte sich eine gütliche Einigung gewünscht, doch die sei nicht möglich
       gewesen. Nun hält die Kirche an der Kündigung fest.
       
       Münden, der zurzeit als Musiklehrer an einem Gymnasium jobbt, möchte
       dagegen am liebsten wieder eingestellt werden, mindestens aber eine
       Abfindung und Kompensation für den Schaden an seinem Ruf und Ansehen. Ein
       erster Gütetermin vor dem Arbeitsgericht in Braunschweig führte zu keiner
       Einigung, nun wird die Kammer voraussichtlich im Juli zur Verhandlung
       laden.
       
       27 Apr 2022
       
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