# taz.de -- Krieg in der Ukraine und Streit um Inseln: Japan übt Druck auf Russland aus
       
       > Japans Regierung nimmt überraschend viele ukrainische Geflüchtete auf.
       > Zugleich treibt Premier Kishida die Abkehr vom Pazifismus voran.
       
 (IMG) Bild: Takamatsu, Japan: Die örtliche Bahngesellschaft zeigt ihre Solidarität mit der Ukraine
       
       TOKIO taz | Ohne langes Zögern hat sich Japan bei der Reaktion auf den
       Krieg in der Ukraine in die Front des Westens eingereiht: Die Regierung in
       Tokio verurteilte die russische Invasion scharf und schloss sich den
       meisten westlichen Sanktionen an. Die Vermögen von zwei Großbanken sowie
       von 500 Einzelpersonen und Organisationen aus Russland wurden eingefroren.
       
       Man verbot den Export von Hochtechnologie sowie neue Investitionen in
       Russland und entzog dem Nachbarland den meistbegünstigten Handelsstatus.
       Außerdem will Japan rasch auf russische Kohle verzichten, [1][wenn auch
       nicht auf Flüssiggas aus einem gemeinsamen Großprojekt in Sibirien].
       Toyota, Sony und viele andere Firmen stellten ihre Geschäfte in Russland
       ein. Der ukrainische Staatschef Wolodimir Selenski lobte Japan in einer
       Videoschalte ins Parlament als „erste Nation in Asien, die begonnen hat,
       Druck auf Russland auszuüben“.
       
       Genauso rasch unterstützte Japan die Ukraine auf humanitäre Weise. Neben
       der Lieferung von medizinischen Hilfsgütern für 270 Millionen Euro hat die
       Inselnation inzwischen über 400 ukrainische Geflüchtete aufgenommen und
       ihnen sofortiges Bleiberecht gewährt.
       
       Diese Politik der offenen Tür ist ein Novum – seit 1980 hat Japan nur
       insgesamt 841 Geflüchtete akzeptiert. Selbst während des syrischen
       Bürgerkrieges erhielt nur eine Handvoll Geflüchtete Asyl. Der damalige
       [2][Premier Shinzo Abe löste internationale Empörung mit seiner Aussage
       aus], Japan müsse sich zuerst um seine alternde Bevölkerung kümmern.
       
       ## Streit um die an Russland grenzenden Kurilen-Inseln
       
       Mit der Parteinahme für die Ukraine vollzog Japan auch einen radikalen
       Kurswechsel zu einer „realistischen“ Russland-Diplomatie, wie der
       öffentlich-rechtliche japanische TV-Sender NHK meinte. Wie Deutschland
       hatte sich Japan Illusionen über Putins Russland gemacht. Der langjährige
       Ex-Regierungschef Abe hoffte auf eine Lösung im Besitzstreit um vier der
       zwischen Russland und Japan liegenden Kurilen-Inseln. Sie werden von beiden
       Staaten beansprucht.
       
       Eine ökonomische Annäherung sollte Putin dazu bringen, einen
       Friedensvertrag für den Zweiten Weltkrieg abzuschließen. Den gibt es wegen
       des Streits um die vier Inseln bis heute nicht. Doch wegen der japanischen
       Sanktionen hat Moskau die Gespräche inzwischen von sich aus für beendet
       erklärt und militärische Stärke demonstriert. Bei einem Manöver im
       Japanischen Meer [3][feuerten zwei russische U-Boote
       Kalibr-Marschflugkörper auf Schiffsattrappen ab]. „Die Russlandpolitik von
       Abe ist klar gescheitert“, meinte der Japanexperte Sebastian Maslow, der an
       der Frauen-Universität Sendai lehrt.
       
       Dessen ungeachtet nutzt Regierungschef Kishida, der schon langjähriger
       Außenminister unter Abe war, den Ukrainekrieg, um Japan als bedeutenden
       sicherheitspolitischen Akteur der Weltpolitik zu profilieren. Dabei dürfte
       sich die von Abe begonnene Abkehr vom Pazifismus beschleunigen. Die
       konservative Elite um Kishida will das Verteidigungsbudget binnen fünf
       Jahren auf 2 Prozent der Wirtschaftsleistung verdoppeln sowie Waffen für
       Präventivschläge erwerben. „Hier dient neben Putins Krieg auch die
       Bedrohung durch China und Nordkorea als Rechtfertigung“, meint Experte
       Maslow.
       
       ## Atomwaffen bleiben eine rote Linie
       
       Darüber hinaus befürwortet Kishida eine Verfassungsreform, die Japan das
       formale Recht auf eine Armee geben soll. Bisher spricht man von
       „Selbstverteidigungsstreitkräften“. Die breite Zustimmung der Wähler für
       den antirussischen Kurs der konservativen Regierung erhöht die Chancen der
       geplanten Reform.
       
       Die einzige rote Linie bleiben Atomwaffen. Zwar hatte Ex-Premier Abe
       kürzlich gefordert, wie Deutschland könnte Japan US-Atomwaffen im eigenen
       Land zulassen. Doch Kishida erteilte ihm eine klare Absage: So etwas sei
       mit Japans drei Prinzipien nicht vereinbar: keine Atomwaffen zu bauen,
       keine zu besitzen und auch keine Stationierung zu erlauben.
       
       19 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://asia.nikkei.com/Politics/Ukraine-war/Japan-will-maintain-Russia-oil-and-gas-projects-economy-minister
 (DIR) [2] https://www.reuters.com/article/us-un-assembly-japan-syria-idUSKCN0RT2WK20150929
 (DIR) [3] https://www.japantimes.co.jp/news/2022/04/15/national/russia-missile-test-sea-of-japan/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Fritz
       
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