# taz.de -- Nachwahlen in Großbritannien: Denkzettel für Boris Johnson
       
       > Die Konservativen haben nach diversen Skandalen zwei Nachwahlen verloren.
       > Co-Geschäftsführer Dowden kündigt seinen Rücktritt an.
       
 (IMG) Bild: Der Druck auf Boris Johnson wird immer stärker
       
       LONDON taz | „So weiterzumachen ist nicht mehr möglich, jemand muss dafür
       Verantwortung übernehmen.“ Diese ernsten Worte fielen am Freitagmorgen in
       der Rücktrittserklärung Oliver Dowdens, dem bisherigen Co-Geschäftsführer
       der britischen Konservativen. Dowden war von seinem Posten zurückgetreten,
       als bekannt wurde, dass die Konservativen [1][am Donnerstag zwei Nachwahlen
       verloren hatten]. „Tory-Unterstützer spüren Verzweiflung“, sagte Dowden. Er
       teile diese Gefühle mit ihnen.
       
       Im westenglischen Wahlkreis Tiverton und Honiton, Teil Devons, gewann
       Richard Foord von den Liberal Democrats 53,1 Prozent der Stimmen. Die
       Konservative Helen Hurford kam auf nur 38,4 Prozent. Foord nannte seinen
       Sieg am Freitagmorgen ein historisches Ergebnis, das Schockwellen durch das
       Land schicke.
       
       Der ehemalige britische Militäroffizier gewann die dortige Nachwahl, weil
       sein konservativer Vorgänger Neil Parish zurückgetreten war: Er hatte
       [2][im Unterhaus Pornoaufnahmen] angeschaut. Es ist das erste Mal seit
       nahezu einem Jahrhundert, dass in diesem Wahlkreis eine andere Partei als
       die Konservativen gewann.
       
       Auch in Wakefield im Norden Englands konnte sich der konservative Kandidat
       in einer weiteren Nachwahl nicht durchsetzen: Labours Kandidat Simon
       Lightfoot, der bisher im staatlichen Gesundheitssektor arbeitete, gewann
       mit einem Anteil von 47,9 Prozent der Stimmen. Der Konservative Nadeem
       Ahmed errang nur 30,3 Prozent. Lightfoots Sieg bedeutet, dass die alte
       Labour-Hochburg Wakefield wieder einen roten Abgeordneten besitzt.
       
       ## Rücktrittsforderungen an Boris Johnson
       
       In seiner Siegesrede sagte Foord, es sei Zeit für Premierminister Boris
       Johnson zu gehen. Dieser kämpfe nur um sein eigenes politisches Überleben,
       „statt sich für Landwirte, das Gesundheitssystem und Dienstleistungen auf
       dem Land einzusetzen.“
       
       Auf zwei weitere [3][verlorene Nachwahlen im letzten Jahr] verweisend – im
       südenglischen Chesham and Amersham, nahe London, und in North Shropshire im
       Norden Englands – warnte Foord konservative Abgeordnete, die weiterhin
       Johnson schützen wollten: „Wenn sie keine Schritte unternehmen, damit
       Anstand und Respekt in 10 Downing Street wiederhergestellt werden, dann
       werden Ihnen Niederlagen wie diese widerfahren.“
       
       Foord dankte in seiner Ansprache auch den „tausenden langjährig
       konservativen Wählerinnen“, die von Boris Johnsons Lügen entsetzt seien und
       ihm ihre Stimme gaben.
       
       ## Vernichtendes Urteil
       
       In Wakefield ist es zu einer Nachwahl gekommen, weil der bisherige
       konservative Abgeordnete Imran Khan zurückgetreten ist, nachdem gegen ihn
       ein Sexualdelikt offengelegt wurde: ein sexueller Übergriff auf einen
       15-Jährigen Minderjährigen bei einer Party im Jahr 2008. Der dortige Sieger
       Lightfoot sagte: „Wakefields Menschen und alle Menschen im Vereinigten
       Königreich sind von der Täuschung und der Unehrlichkeit seiner Regierung
       (Boris Johnson, Anm. d. Red.) angewidert.“
       
       Oliver Dowdens Rücktritt ist wohl das vernichtendste Urteil über Boris
       Johnsons Führung bisher. Erst vor zwei Wochen hatte Johnson ein
       [4][Misstrauensvotum der eigenen Fraktion knapp überstanden]. Zwar hielten
       211 Abgeordnete zu ihm, jedoch forderten 148 [5][konservative Abgeordnete],
       dass er zurücktritt.
       
       Johnson gab an, dass er nicht zurücktreten werde. Am Donnerstag sagte er in
       einem Interview, solch schlechte Ergebnisse seien bei Nachwahlen normal.
       Ein Rücktritt sei deshalb eine „verrückte Idee“.
       
       24 Jun 2022
       
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