# taz.de -- Auflösung des Parlaments in Israel: Einig wie nie
       
       > Nach dem Scheitern der Links-rechts-Koalition hat Israels Parlament seine
       > Auflösung beschlossen. Doch bis zur Neuwahl dauert es noch mehrere
       > Monate.
       
 (IMG) Bild: Staffelübergabe: Israels Premier Naftali Bennett (l.) wird geschäftsführend von Yair Lapid abgelöst
       
       TEL AVIV taz | Noch nie seit seiner gut einjährigen Existenz hat das
       israelische Parlament so große Einigkeit gezeigt wie am
       Donnerstagvormittag, als es sich selbst auflöste: Nicht ein einziger
       Abgeordneter stimmte dagegen, 91 dafür, zwei Parteien enthielten sich ihrer
       Stimmen.
       
       Die Tage und Nächte davor allerdings glichen einer Schlammschlacht. Die
       Opposition blockierte das ursprünglich für Montag angesetzte Votum. Sie
       hoffte, noch eine alternative Regierung unter Oppositionsführer und
       Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einrichten zu können, scheiterte
       jedoch.
       
       In den letzten Tagen legten die Knessetmitglieder einen Marathon der
       Gesetzgebung hin. Sowohl Opposition als auch Regierung versuchten noch so
       viele Gesetze wie möglich durchzubringen. Wichtige Gesetze allerdings, wie
       etwa eines zur Beschleunigung des öffentlichen Nahverkehrs in Tel Aviv,
       fielen Partikularinteressen und strategischen Verhandlungen zum Opfer.
       Stattdessen stritt sich die Knesset ausgiebig über das Datum für die
       Neuwahlen.
       
       Nun sind diese für den 1. November festgelegt – es wird die fünfte Wahl in
       nur drei Jahren sein und Israel avanciert damit zum Tabellenführer: In
       keinem anderen Land mit einer parlamentarischen Demokratie werden so häufig
       Wahlen abgehalten wie in Israel. Für das Israelische Demokratieinstitut ist
       dies ein Ausdruck der „tiefen politisch-konstitutionellen Krise“, in dem
       sich das Land befindet.
       
       ## Austritte nahmen der Regierung die Mehrheit
       
       Mit der Auflösung endet der Versuch, das gespaltene Land mit einem
       [1][breiten Bündnis] zu regieren. Linke wie weit rechte Parteien waren
       beteiligt, zum ersten Mal in der Geschichte Israels auch eine arabische,
       die islamische Ra’am. Zusammengehalten wurde sie weniger durch
       Gemeinsamkeiten als vielmehr die geteilte Gegnerschaft zu Netanjahu.
       
       Doch den zunehmenden Spannungen zwischen Israel und den
       Palästinenser:innen konnte das ohnehin krisengeschüttelte Bündnis
       nicht mehr standhalten. Austritte aus der Regierung – aus dem rechten wie
       linken Lager – nahmen ihr die hauchdünne Mehrheit.
       
       Sargnagel war das sogenannte [2][Westjordanland-Gesetz], das nicht
       durchgekommen war. Es regelt, dass jüdische Israelis im Westjordanland
       unter israelischem Recht und nicht wie Palästinenser:innen unter
       Militärrecht stehen. Einige Oppositionsparteien, die immer für das Gesetz
       gestimmt hatten, hatten die Regierung vorführen wollen und ihr die
       Zustimmung versagt.
       
       Kurz nach Auflösung des Parlaments attestierte Knessetsprecher Mickey Levy
       dem derzeitigen israelischen Parlament „Hass und missbräuchlichen Diskurs“
       in bisher „ungekannten Ausmaßen“.
       
       ## Yair Lapid wird geschäftsführender Ministerpräsident
       
       Der einzige, der an diesem Tag zufrieden lächelte, war wohl
       Ex-Außenminister Yair Lapid, der Donnerstagnacht geschäftsführend das Amt
       des Ministerpräsidenten übernehmen wird.
       
       Der abgehende Ministerpräsident Naftali Bennett von der rechten
       Siedlerpartei HaJamin HeChadash (Die Neue Rechte) rief in seiner
       Abschiedsrede am Mittwochabend zu einer Regierung auf, die alle Israelis
       vertritt. Seine kurzlebige Koalition habe „mehr erreicht als andere
       Regierungen in einer ganzen Amtszeit“ und teilte damit auch an die
       vorhergehende Regierung unter Netanjahu aus. Diese war unter anderem drei
       Jahre lang daran gescheitert, einen Staatshaushalt zu verabschieden.
       
       Netanjahu konterte mit einer Attacke gegen die ausgehende Regierung: „Sie
       versprachen Veränderungen und sprachen von Heilung. Sie haben es versucht
       und sind gescheitert. Das ist es, was passiert, wenn man die Fake-Rechte
       und die extreme Linke zusammenbringt.“ Ein Gesetzesentwurf, der es unter
       krimineller Anklage stehenden Personen verbietet, eine Regierung zu bilden,
       wurde schließlich nicht ins Plenum getragen. Das auf Netanjahu
       ausgerichtete Gesetz, der derzeit [3][in drei Korruptionsfällen vor
       Gericht] steht, hätte dessen politisches Aus bedeutet. Stattdessen macht
       sich der nun für die Neuwahlen bereit.
       
       Umfragen sagen einen deutlichen Zugewinn für Netanjahus rechtsreligiöses
       Bündnis im Vergleich zu den vorhergehenden Wahlen voraus, nicht genug
       jedoch, um eine Regierung zu stellen. Netanjahu ist also auf Überläufer aus
       den anderen Lagern angewiesen.
       
       30 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Die-Aufloesung-der-Knesset-in-Israel/!5863623
 (DIR) [2] https://www.haaretz.com/israel-news/2022-05-31/ty-article/regulations-applying-israeli-law-to-west-bank-may-expire/00000181-1aad-db47-a5dd-9faf9a340000
 (DIR) [3] https://www.bbc.com/news/world-middle-east-47409739
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Judith Poppe
       
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