# taz.de -- Gefühlte Kriminalität: Messer und Anti-Helden
       
       > Gibt es mehr Messer, mehr Dummheit oder zu viel Berichterstattung? Die
       > Kolumnistin zweifelt an der Sicherheit ihrer Erziehungsmethoden.
       
 (IMG) Bild: Die Bedrohung ist nicht immer nur gefühlt: Spurensicherung an einem Tatort in Hannover
       
       Am Wochenende war ich in einer Bar, vor der es plötzlich eine Rangelei gab.
       Ein paar Betrunkene auf der Suche nach Streit pöbelten herum, ein paar auch
       nicht mehr Nüchterne pöbelten zurück, am Ende blieb es wohl bei einem
       geschwollenen Kiefer und einer zerbrochenen Brille.
       
       Für Aufregung sorgte allerdings, dass einem der Unruhestifter
       offensichtlich ein Messer aus der Tasche gefallen war, jemand kassierte es
       geistesgegenwärtig ein und schaffte es beiseite, der Idiot zog ohne weiter
       und merkte das nicht einmal.
       
       Daraufhin entspann sich eine Diskussion darüber, ob das denn [1][nun
       wirklich alles immer schlimmer würde oder ob sich das nur so anfühlt]. Und
       ob es nun eigentlich die Pandemie oder die Hitze war, die dafür gesorgt
       hat, dass bei so vielen Leuten die Zündschnur anscheinend noch ein Stück
       kürzer ist.
       
       Es scheint neuerdings zum Sommer zu gehören, dass sich zu einem bestimmten
       Zeitpunkt solche Meldungen häufen – dieses Jahr im Mai, letztes Jahr im
       Juni – und dann tagelang von einer wachsenden Zahl von Messerangriffen die
       Rede ist. Wobei [2][die Polizei diese in ihrer Statistik erst seit 2019] so
       richtig einzeln ausweist, weshalb man immer noch nicht so richtig
       feststellen kann, ob der Anstieg ein gefühlter oder tatsächlicher ist.
       
       ## Medialer Verstärkereffekt
       
       Thomas Bliesener, Direktor des [3][Kriminologischen Forschungsinstituts
       Niedersachsen (KFN)] wird ja nicht müde zu betonen, dass es dabei einen
       medialen Verstärkereffekt gibt: Je mehr von Messerangriffen die Rede ist,
       desto mehr Menschen stecken „sicherheitshalber“ eines ein. Aber nicht
       berichten geht ja auch nicht.
       
       Wenn man genauer hinsieht, gibt es ja auch ein paar beruhigende Fakten in
       dieser Statistik: Rund 60 Prozent der registrierten Messerangriffe bestehen
       beispielsweise daraus, dass irgendjemand (häufig alkoholisiert oder
       sonstwie berauscht) mit einem Messer in der Gegend herumfuchtelt und sonst
       nix passiert.
       
       Wenn doch was passiert, sind sowohl Opfer als auch Täter meist junge
       Männer, die sich kennen und in irgendwelche dämlichen Streitigkeiten
       verwickelt sind. Wenn Sie also älter als 40 und/oder weiblich sind, können
       Sie sich im Grunde beruhigt zurücklehnen: Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie
       in eine messerschwingende Auseinandersetzung verwickelt werden, ist eher
       gering.
       
       Mich tröstet das allerdings wenig, immerhin ziehe ich Söhne groß. Die
       werden natürlich gewaltfrei erzogen und sind absolut in der Lage, sich
       verbal mit allem und jedem auseinanderzusetzen, aber seien wir ehrlich: Vor
       blöden Freunden oder dem Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein,
       schützt das wenig.
       
       Das ist mein beständigster Alptraum: Erst ziehst du sie mühsam groß und
       dann wickeln sie sich mit 18 bei einem bescheuerten Unfall um den nächsten
       Baum oder lassen sich irgendwo die Köpfe einhauen. Ich habe etliche meiner
       dümmsten Entscheidungen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren getroffen, zum
       Glück war keine davon tödlich.
       
       „Die überblicken das halt oft wirklich nicht“, hörte ich einmal eine
       Jugendrichterin sagen, „die stochern da so in der Gegend herum und
       begreifen zu spät, welche Folgen das hat. Das der echt nicht wieder
       aufsteht. Das das kein Scheiß-Videospiel ist.“ Das war ihre Begründung
       dafür, warum auch bei Anfang Zwanzigjährigen das Jugendstrafrecht
       angebracht sein kann.
       
       Natürlich halte ich meine Söhne nicht für so dämlich. Aber ich würde auch
       nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass sie nicht vielleicht
       irgendwann im falschen Moment eine zu große Fresse haben.
       
       Immerhin wachsen sie mit diesem ganzen [4][Superhelden-Quatsch] auf, der
       auf bizarre Weise ein antiquiertes Bild von Männlichkeit und Ritterlichkeit
       transportiert. Ich wünschte wirklich, es gäbe mal einen, dessen Superkraft
       es wäre, Ärger zu riechen und einen Bogen darum zu machen, aber Marvel und
       DC sind wohl zu sehr mit ihren Diversitätsoffensiven beschäftigt.
       
       29 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Studie-zu-Kriminalitaet-und-Zuwanderung/!5473903
 (DIR) [2] https://www.pd-h.polizei-nds.de/kriminalitaet/polizeiliche-kriminalstatistik-2021-116051.html
 (DIR) [3] https://kfn.de/
 (DIR) [4] /Superhelden/!t5020924
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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