# taz.de -- Atomdebatte und die Grünen: Richtige Prinzipien
       
       > Die Debatte über längere AKW-Laufzeiten ist zur Charakterfrage
       > verkümmert. Dabei gibt es für die Grünen gute Gründe, am Atomausstieg
       > festzuhalten.
       
 (IMG) Bild: Stimmen die Grünen längeren AKW-Laufzeiten zu? Das wäre das nicht nur in der Sache bedenklich
       
       Die [1][Debatte über längere AKW-Laufzeiten] ist zur Charakterfrage
       verkümmert: Sind die Grünen mit ihren 42 Jahren erwachsen geworden oder
       hängen sie noch in der Spätpubertät fest? Springen sie über ihren Schatten
       oder klammern sie sich an ihren Spleen mit dem Atomausstieg? Das Abräumen
       der bisherigen Position wird dabei vielfach als Wert an sich verstanden.
       Nach Kriegsbeginn, [2][Inflation und drohender Gasknappheit] stehen die
       verbliebenen grünen Prinzipien unter Generalverdacht, mit der Realität
       nicht kompatibel zu sein.
       
       Kehrt man von der Charakterfrage zurück auf die inhaltliche Ebene, ist die
       Sache weniger eindeutig. [3][Der Nutzen längerer Laufzeiten ist
       überschaubar]. Ihre Notwendigkeit ist nicht belegt; steigende
       Gasspeicherstände und unausgereizte Einsparpotenziale lassen an ihr
       zweifeln. Unbestreitbar nehmen aber die Sicherheitsrisiken mit jedem
       weiteren Tag am Netz zu. Die letzte große Überprüfung der Anlagen fand 2009
       nach veralteten Regeln statt.
       
       Der nächste Termin im Jahr 2019 wurde in Erwartung des Atomausstiegs
       ausgelassen. Längere Laufzeiten, wenn auch nur um Monate, gibt es nur bei
       einer weiteren Absenkung der ohnehin gesenkten Standards. Das kann man in
       der Abwägung richtig finden, weil – mit Ausnahme von Tschernobyl und
       [4][Fukushima] – ja noch immer alles gutgegangen ist. Man kann es aber auch
       gut begründet ablehnen: Ein Atomunfall hätte grausame Folgen.
       
       Dass die Grünen mit solchen Abwägungen nicht mehr durchdringen, haben sie
       sich ein Stück weit selbst zuzuschreiben. Zu lange haben sie sich darauf
       verlassen, dass das Thema vorbeizieht und darauf verzichtet, argumentativ
       hart dagegenzuhalten. Sie haben die Beharrlichkeit unterschätzt, mit der
       Union und FDP ihre Forderung vorantreiben, begleitet vom gewohnten
       Schweigen aus dem Kanzleramt.
       
       Aus Sicht der politischen Konkurrenz sind die AKW ein Gewinnerthema: Wenn
       der Pragmatismus der letzten Monate der Grund für den grünen Höhenflug ist,
       sind aufgewärmte Ideologie-Vorwürfe das geeignetste Mittel, ihn zu beenden.
       Nebenbei verschieben sie den Diskurs weg von Tempolimit, Schuldenbremse und
       Steuern – den Themen, die zeigen, wo in der Koalition die wahren Betonköpfe
       sitzen.
       
       Stimmen die Grünen längeren Laufzeiten zu, wäre das nicht nur in der Sache
       bedenklich. Auch strategisch wäre wenig gewonnen. Wenn sich der
       Ideologievorwurf nach [5][LNG], Kohle und Sondervermögen hält, verschwindet
       er auch durch den Streckbetrieb nicht. Und so bleiben im Grunde nur zwei
       Optionen: Immer neue Positionen aufgeben, um dem Stigma des Dogmatismus zu
       entgehen, sich letztlich in der Koalition aber selbst zu verzwergen. Oder
       auch mal über den Anwürfen stehen, wenn sich alte Prinzipien noch immer als
       richtig erweisen.
       
       5 Aug 2022
       
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