# taz.de -- Von Deutschland im Stich gelassen: Die Wut der Berliner Afghanen
       
       > Nach dem Bundeswehrabzug aus Afghanistan bleibt Resignation. Ortskräfte
       > warten weiter auf Hilfe, und in Berlin schwindet das Vertrauen in den
       > Staat.
       
 (IMG) Bild: Sind aus Afghanistan zurückgekehrt: Soldat:innen am Stützpunkt Wunstorf in Niedersachsen
       
       Die Bilder wirkten so maßlos übertrieben wie aus einem schlecht
       inszenierten Hollywoodfilm, als sich im August vergangenen Jahres die Nato
       in Afghanistan Hals über Kopf aus dem Staub machte. Ausgerechnet
       diejenigen, die ursprünglich als Retter der Menschen und ihrer Rechte
       gekommen sein wollten, handelten nach der Devise „Rette sich, wer kann“.
       
       Fast pünktlich zum 20. Jahrestag von 9/11 schloss sich der Kreis: 2001
       waren die Taliban noch an der Macht, als Menschen panisch aus den New
       Yorker Twin Towers in den Tod sprangen. 2021 hatten sie die Macht wieder
       erlangt, weshalb verzweifelte Afghanen sich an Flugzeuge klammerten und vom
       Himmel fielen.
       
       Im vergangenen Sommer [1][sprach ich für die taz] mit rund einem Dutzend
       Berliner:innen, die wie ich afghanischer Herkunft sind. Wie fühlten sie
       sich? Was ging ihnen durch den Kopf beim Anblick der Bilder aus der alten
       Heimat? Eine von ihnen erzählte fassungslos von einer Freundin, die sie am
       Telefon flehentlich gefragt habe, ob sie Kontakte zu Deutschen am Airport
       hätte. Sie mögen doch bitte ihr fünf Monate altes Baby mitnehmen. Die junge
       Mutter befürchtete, dass ihre Tochter vergewaltigt würde. Unvorstellbar:
       Das eigene Baby. Einfach weggeben. Aus Angst vor sexuellen Attacken.
       
       Nach zwanzig Jahren voller Versprechungen an die Menschen dort wie hier,
       Hunderte Milliarden Dollar und Hunderttausende Tote später sind die Taliban
       anscheinend das Einzige, was bleibt. Ihre Rückkehr symbolisiert den
       gescheiterten War on Terror und den letztlich misslungenen Einsatz für
       Menschenrechte und Demokratisierung.
       
       ## Terrorsümpfe gedüngt
       
       Was geblieben ist: immer noch Tausende Ortskräfte, die auf ihre Evakuierung
       warten. Während die damalige Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht
       gerecht wurde, waren und sind (!) es vor allem private Initiativen von NGOs
       ([2][etwa Kabulluftbrücke]) und Angehörige der Bundeswehr
       [3][(Patenschaftsnetzwerk)], die sich der zwei Jahrzehnte lang
       kolportierten ethisch-moralischen Werte bewusst bleiben.
       
       Wenn ich heute einige meiner Gesprächspartner:innen aus dem
       vergangenen Sommer frage, wie sie inzwischen auf die damaligen Ereignisse
       blicken, ist die Resignation weiterhin groß. 2001 seien Nato-Truppen nach
       Afghanistan gegangen, um Terrorsümpfe trockenzulegen, 2021 habe man sie
       massiv gedüngt.
       
       Ein Vater berichtete von Diskussionen mit seinen beiden in Berlin geborenen
       Teenagern, die mal davon geträumt hätten, Richterin und Kripobeamter zu
       werden, und inzwischen nicht mehr daran interessiert seien, für einen Staat
       zu arbeiten, der Menschen so im Stich lasse.
       
       ## Mitten in Kabul getötet
       
       Ein anderer Vater beklagte, wie er gegen Fanatismus und Hass gegen „den
       Westen“ argumentieren und junge Menschen vor Demokratiefeinden und den
       Händen von Islamisten in Deutschland fernhalten solle, wenn solche Dinge
       wie in Kabul geschehen. Das sei Verrat gewesen.
       
       An den Menschen vor Ort, aber auch an den Bürger:innen hier, denen zwei
       Jahrzehnte lang erzählt wurde, alles würde sich zum Besseren wenden,
       während sich das Gegenteil vollzog. Und wofür seien verdammt noch mal die
       ganzen Soldat:innen gestorben?
       
       Vor wenigen Tagen dann schickte mir der Vater der beiden Teenager eine
       Nachricht aufs Handy. Es war die Pushmeldung eines Online-Mediums: „USA
       haben [4][Al-Qaida-Führer Al-Zawahiri getötet].“ Das war nicht der einzige
       Grund, warum er die Meldung weiterleitete. Er schrieb: „Bobby, dieser Typ
       wurde mitten in Kabul getötet. In Kabul, verstehst Du? Es hat sich nichts
       geändert. Alles ist wieder wie 2001. Die Taliban sind wieder da und auch
       die Obersten von al-Qaida finden Schutz in Afghanistan. Mein Sohn sagte mir
       eben: Siehst Du, Baba!“
       
       7 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Afghanische-Community-in-Berlin/!5789940
 (DIR) [2] https://www.kabulluftbruecke.de/
 (DIR) [3] https://www.patenschaftsnetzwerk.de/
 (DIR) [4] /Al-Qaida-Chef-in-Afghanistan-getoetet/!5872200
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bobby Rafiq
       
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