# taz.de -- Die Wahrheit: Putins fünfte Kolonne
       
       > Der Kampf gegen den russischen Aggressor wird an allen Fronten geführt –
       > auch beim Bier im Mantel an der Theke des Stammlokals.
       
       Als Raimund das Café Gum betrat, brach das Palaver an der Theke schlagartig
       ab. „Was ist das denn?!“, kicherte Theo und zeigte auf den Mantel, den
       Raimund trug. Der Mantel war alt und hässlich und so unförmig, dass er ihm
       viel zu groß zu sein schien, obwohl er in Wahrheit viel zu klein war.
       
       Raimund war empört. „Das“, schnaubte er, „ist meine Antwort auf Putin!“ –
       „Das wird ihn erledigen“, meinte Theo süffisant: „Aber verstößt das Tragen
       alberner Mäntel nicht gegen die Genfer Konvention?“ – „Phh“, machte
       Raimund: „In diesem Mantel ist meine Großtante im Januar 45 bei minus 20
       Grad über die zugefrorene Ostsee geflüchtet!“
       
       Seit Tagen zerbrachen wir uns über den nächsten Winter alle unsere Köpfe.
       Draußen herrschte eine brütende Hitze, aber wir fragten uns, wie wir dem
       tödlichen Kuss von Väterchen Frost entgehen könnten, wenn Putin den Gashahn
       spätestens an Weihnachten endgültig zudrehte.
       
       „Du hast aber auch in dem Mantel keine große Überlebenschance“, sagte Luis.
       „Jedenfalls nicht in kurzer Hose.“ Er zeigte auf Raimunds dünne Beinchen,
       die unten aus dem Mantel herauskuckten.
       
       „Ahaa!“, rief Raimund: „Herr Schlauberger hat auch eine Meinung zum Thema!
       Dabei sollte Herr Schlauberger sich vielleicht nicht zu weit aus dem
       Fenster lehnen!“ Er blickte auf Luis hinunter, der wegen eines gebrochenen
       Wadenbeins vorübergehend im Rollstuhl ins Gum kommen musste: Er hatte beim
       Versuch, ein aus alten Espressokannen selbstgebautes Solarpanel an der
       Außenwand seiner Wohnung anzubringen, das Gleichgewicht verloren und nur
       deshalb nicht schon weit vor dem ersten Frost sein Leben ausgehaucht, weil
       die Markise von Ümits Gemüseladen seinen Sturz entscheidend bremste.
       
       „Und warum bist du so still?“, fragte Theo Rudi, den Blödmann. Er gab
       normalerweise zu allem seinen Senf dazu, saß aber jetzt nur lächelnd in der
       Ecke. „Er hat bei Ebay einen alten Kanonenofen gekauft“, sagte Luis. „Und
       er hat sich schon Kohlen bestellt.“ – „Echt? Mann, Rudi, du kannst doch
       nicht mal Feuer machen!“ – „Kann er schon!“, grinste Luis, und Rudi, der
       Blödmann, lächelte nicht mehr, denn auch er erinnerte sich an die Party
       damals in der alten Kabelfabrik, bei der er in seiner Verzweiflung
       schließlich so viel Spiritus in den Grill geschüttet hatte, dass die
       Stichflamme um ein Haar die ganze Fabrik in Schutt und Asche gelegt hatte.
       
       „Damned shit!“, rief Theo plötzlich und zeigte auf zwei Motten, die aus dem
       Mantel herausflatterten: „Putins fünfte Kolonne!“ – „Mistbiester!“,
       kreischte Raimund.
       
       Er haschte nach ihnen, achtete aber nicht auf Luis’ ausgestrecktes
       Gipsbein, und schon lagen alle am Boden: Raimund, der sich den Kopf hielt,
       Luis, der sich das Bein hielt, und auch der Mantel, den es beim Sturz
       krachend in zwei Hälften gerissen hatte. Nur die Motten flatterten
       unbehelligt Richtung Sonnenuntergang, der durch das offene Fenster
       hereinschien.
       
       7 Sep 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Schulz
       
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