# taz.de -- Gebäudeeinsturz in Jordanien: Ein Haufen Trümmer in al-Lweibdeh
       
       > In einem Viertel der jordanischen Hauptstadt Amman sind durch einen
       > Gebäudeeinsturz fünf Menschen gestorben. Das heizt Streit über
       > Gentrifizierung an.
       
 (IMG) Bild: Die Suche nach Überlebenden in der jordanischen Hauptstadt geht weiter
       
       AMMAN taz | Immer wieder heulen die Sirenen der Polizei und der
       Krankenwagen. Mitglieder der jordanischen Gendarmerie bilden eine Reihe
       quer durch die einst ruhige Seitenstraße, mindestens fünf Fahrzeuge der
       Feuerwehr und mehrere Krankenwagen parken dort. Ein Loch klafft zwischen
       den gestaffelten Häusern am Berghang, darunter erblickt man nur Trümmer.
       
       Die Einsatzkräfte kommen und gehen, jemand fordert die Passanten auf,
       zurückzutreten, ein Mann mit verstaubtem T-Shirt und blassem Gesicht wird
       aus dem Einsatzort begleitet. Eine Frau mittleren Alters mit blauen
       Kopftuch sitzt auf dem Gehweg, sie betet und weint. Noch befinden sich
       Menschen unter dem Schutt.
       
       Es sind dramatische Szenen, die sich am Dienstagnachmittag in Jabal
       al-Lweibdeh, einem zentral gelegenen Viertel der jordanischen Hauptstadt
       Amman, abspielen. [1][Fünf Menschen] sind bei einem Gebäudeeinsturz ums
       Leben gekommen. Darunter befinden sich eine 19 Jahre alte Frau und ein
       achtjähriges Kind.
       
       Die Sicherheitsbehörden bestätigten am Dienstagabend sieben Verletzte,
       medizinisches Personal in den Krankenhäusern [2][spricht von 14]. Die
       Bergungsarbeiten sind noch im Gange. Laut Quellen vor Ort sollen mehrere
       Menschen unter den Trümmern noch am Leben sein.
       
       ## Viele geben höheren Gebäuden im Viertel die Schuld
       
       „Wir haben den Einsturz gefühlt, unser Gebäude hat gewackelt“, sagt eine
       63-jährige Anwohnerin, die sich nach eigenen Angaben zum Zeitpunkt des
       Einsturzes etwa vier Wohnhäuser weiter befand. Wie andere
       Bewohner*innen im Viertel gibt sie dem Bau eines höheren Gebäudes neben
       dem kollabierten Haus die Schuld. „Es tut weh, dass alte Gebäude zerstört
       werden und neue gebaut werden; nur, um mehr Geld daraus zu gewinnen“, sagt
       sie.
       
       Ihr pflichtet eine junge Frau bei: „Wir haben jahrelang gekämpft, um den
       Bau von hohen Gebäuden in Jabal al-Lweibdeh zu verhindern, Unterschriften
       gesammelt, aber niemand interessiert sich dafür.“
       
       Hundert Meter vom Ort des Geschehens entfernt, in den Parallelstraßen,
       sitzen Einheimische und Touristen in Imbissläden und Restaurants. Jabal
       al-Lweibdeh, auch al-Weibdeh genannt, ein altes Viertel mit Hippieflair,
       [3][ist unter Ausländer*innen beliebt] – nicht zuletzt wegen der vielen
       Cafés und lebendigen Kunstszene. Hier reihen sich alte, teils auch
       renovierungsbedürftige Wohnhäuser mit hellen Steinfassaden an einspurigen
       Straßen.
       
       Der Einsturz hat offenbar die Debatte über die Gentrifizierung des Viertels
       unter Anwohner*innen wieder aufflackern lassen. Seit Jahren kritisieren
       lokale Initiativen, alte Gebäude würden abgerissen oder umfunktioniert,
       etwa um Platz für neue Wohneinheiten oder internationale Kettenläden zu
       schaffen.
       
       ## Das Viertel ist auch für Ausländer*innen attraktiv
       
       Die vielen Cafés und Bars machen al-Lweibdeh zwar für Ausländer*innen
       und junge Menschen attraktiver, führen aber auch zu höheren Mieten, die
       sich jordanische Normalverdiener kaum leisten können. „Wir versuchen, das
       Erbe dieses Viertels zu bewahren. Wir brauchen keine weiteren unschönen
       Gebäude. Seit zehn Jahren kommen Menschen und wollen investieren, viele
       Cafés aufmachen und die Infrastruktur von al-Weibdeh verändern“, sagt
       Suheil Baqaeen, Geschäftsführer des lokalen Vereins Friends of al-Weibdeh.
       
       Die Ursachen des Einsturzes sind jedoch noch unklar. Auf Nachfrage der taz
       verwies ein Sprecher des Ministeriums für Wohnungswesen auf die Ankündigung
       des Premierministers Bisher Khasawneh, dass eine Untersuchung des Unfalls
       gestartet wurde. Die Stadtverwaltung wollte keine Stellungnahme abgeben.
       Laut Zivilingenieur Bashar Tarawneh ist es nicht besonders wahrscheinlich,
       dass das neue Wohnhaus für den Zusammensturz des älteren verantwortlich
       ist. „Das neue Gebäude ist bereits seit einem Jahr da. Wäre es die Ursache,
       hätte man Anzeichen bereits während des Aufbaus sehen können.“
       
       In der Nacht gehen die Rettungsarbeiten weiter. Mehrere Scheinwerfer,
       platziert auf den umliegenden Häusern, werfen Lichtstrahlen auf die
       Trümmer, aus denen Einsatzkräfte des Zivilschutzes unermüdlich versuchen,
       Überlebende zu bergen. Die Suche war am Mittwoch noch im Gange. Kurz vor
       Mittag eine freudige Nachricht: Die Sicherheitsbehörden geben bekannt, dass
       ein 50 Jahre alter Mann gerade gerettet werden konnte.
       
       Für viele Angehörige geht das qualvolle Warten jedoch weiter.
       
       14 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://petra.gov.jo/Include/InnerPage.jsp?ID=45079&lang=en&name=en_news
 (DIR) [2] https://petra.gov.jo/Include/InnerPage.jsp?ID=45071&lang=en&name=en_news
 (DIR) [3] https://www.touristjordan.com/jabal-al-weibdeh-neighborhood/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Serena Bilanceri
       
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