# taz.de -- Physische Selbstbestimmung: Unsere Körper gehören uns!
       
       > Ob gerade im Iran oder in Russland: Je nach Geschlecht wird dem Körper
       > eine Vielzahl vermeintlicher Funktionen aufgezwungen. Zeit, ihn
       > zurückzufordern.
       
 (IMG) Bild: Nach dem Tod der Iranerin Mahsa Amini: Demonstration von Macht gegenüber dem eigenen Körper
       
       Die Frauen Irans verlangen ihre Körper zurück. Sie gehen auf die Straße, im
       ganzen Land. Sie stellen sich auf die Straßen und schreien, [1][nach dem
       Tod von Mahsa Amini], wohl durch die sogenannte Moralpolizei. Sie
       verbrennen Kopftücher auf der Straße, fordern Freiheit, manche schneiden
       sich ihre Haare ab.
       
       Sie demonstrieren Macht über den eigenen Körper. Einen Körper, auf den die
       Diktatur zugreifen will. Den der Staat zur Bedrohung erklärt und
       konfisziert hat. Um ihn zu verhüllen oder ihn zu verprügeln. Das
       Wiedereinfordern dieser Körper ist Revolution.
       
       ## Männliche Körper als Kampfmaschinen
       
       Die Männer Russlands wollen ihre Körper retten. Sie fürchten, als
       Brennstoff für den Krieg verwendet zu werden. Sie demonstrieren, im ganzen
       Land. Tausende sind festgenommen. Viele versuchen zu fliehen. Flüge in
       visafreie Länder sind für Tage ausgebucht.
       
       Geschlecht ist Funktionszuweisung an den Körper.
       
       Der männliche Körper ist Held und er ist Feind. Er muss einen Blick auf die
       Landkarte werfen: Auf dieser Seite der Front ist er Held. Er rettet,
       stirbt. Auf jener Seite ist er der Feind. Der Aggressor. Damit der Krieg
       Bedeutung hat. Damit das Regime einen Grund hat zu existieren.
       
       ## Weibliche Körper als fleischgewordene Versuchung
       
       Der weibliche Körper ist Aggressor von innen. Die moralische Gefahr, die
       sexuelle Versuchung, die es zu verstecken gilt, vor der es zu retten gilt.
       Damit das Regime einen Grund hat zu existieren.
       
       Geschlecht ist ein Verwendungszweck.
       
       Queere Körper sind nicht verwendbar, deshalb sind sie abscheulich. Weil sie
       sich innen- und außenpolitischen Funktionszuweisungen entziehen. Sie dürfte
       es gar nicht geben, deswegen darf man sie zerstören. Ach nein, sie haben
       Rechte? Dann sind sie stattdessen Bedrohung für Kinder, müssen reguliert
       und versteckt werden. Indes sind sie Mysterien, Zauberspiegel für die
       Träume und Albträume derer, die sie betrachten. Sie sind Lustobjekt und
       Jagdwild, nie weiß man vorher, welches von beiden.
       
       Das Wiedereinfordern von Körpern ist Revolution. Revolution geschieht aus
       Not.
       
       In Münster [2][starb beim CSD ein Mann], in Bremen wurde eine [3][Frau in
       der Bahn schwer verletzt]. Beide hatten ihre Körper wiedereingefordert.
       
       Die Deutschen im ganzen Land, die diese Meldungen auf ihren Screens
       verfolgten, zögerten keine Sekunde. Sie warteten nicht ab, bis jemand
       „gesamtgesellschaftliche Verantwortung“ fertig ausgesprochen hatte. Sie
       nahmen die Körper der Täter – junge Menschen, Kinder – und schleiften sie
       auf den Seziertisch der Weltgeschichte. Sammelten Indizien: Namen,
       Kulturen, Hautfarben. Verwendungszweck zugewiesen. Aggressor von außen. Sie
       warfen die Körper weg, die der Täter und der Opfer. Die meisten wendeten
       sich anderem zu. Einige nagen noch immer an ihren Knochen.
       
       Wenn iranische Frauen und russische Männer hier in Deutschland ankommen:
       Welchen Verwendungszweck wird man ihnen zuweisen?
       
       23 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Weissenburger
       
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