# taz.de -- Trauerfeier für Grünen-Politiker: Ströbele for future
       
       > Auf der Trauerfeier erinnern Weggefährt:innen an Christian Ströbele.
       > Sein Kampf für Gerechtigkeit, Klima und Umwelt bleibt hochaktuell.
       
 (IMG) Bild: Zur Gedenkfeier für Hans-Christian Ströbele kamen hunderte Weggefährtinnen und Weggefährten in die Arena Berlin
       
       BERLIN taz | Als Clara Mayer das erste Mal [1][Christian Ströbele]
       begegnete, war sein langes Leben bereits in die Schlusskurve eingebogen.
       Das war im Herbst 2019, sie war 18, er 80 Jahre alt. Sie sei „extrem
       beeindruckt“ gewesen von einem Mann, „der sich nicht nur all die Jahre
       seines Lebens engagiert hatte, sondern es mit über 80 Jahren immer noch
       tat“, erzählt die Fridays-for-Future-Aktivistin. Selbst mit Rollator habe
       er noch auf Demos gestanden – und dabei „doch so eine Kraft“ ausgestrahlt.
       
       „Ich hoffe, wir, die nächste Generation, schaffen es, so beständig
       politisch engagiert zu bleiben wie er, damit auch wir in hohem Alter mit
       unserem Fahrrad durch den Kiez radeln können, dann hoffentlich in einer ein
       bisschen besseren Welt als der jetzigen“, schließt die junge Frau.
       
       Clara Mayers Rede bildete am späten Dienstagabend den Abschluss der
       Trauerfeier für Christian Ströbele, [2][der am 29. August gestorben ist.]
       Dass die Gedenkveranstaltung in der Arena Berlin in Alt-Treptow mit
       Hoffnung endete, hätte ihn sicher gefreut.
       
       Rund 1.000 Menschen waren gekommen, um Abschied zu nehmen von dem am 29.
       August verstorbenen Rechtsanwalt und Grünen-Politiker, dem nicht nur die
       taz viel zu verdanken hat. Im Beisein seiner Frau Juliana Ströbele-Gregor
       und seiner Geschwister erinnerten Bekannte, Freund:innen, politische
       Wegbegleiter:innen und ehemalige Mandant:innen rund zweieinhalb
       Stunden an ein im wörtlichen Sinne bewegtes Leben.
       
       ## „Eine moralische Größe“
       
       Facettenreich zeichneten sie das Bild eines Menschen, „der eine moralische
       Größe war, der menschlich integer war und auch gleichzeitig intelligent und
       locker“, wie es der Kabarettist Arnulf Rating formulierte. „Als Leitstern
       wird er umso heller strahlen, je dunkler es um uns wird.“
       
       Als Mitglied der 3 Tornados war Rating Ströbeles Mandant im legendären wie
       absurden Krippenspiel-Strafverfahren. Das hatte eine erzkatholische
       Initiative wegen „Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher
       Bekenntnisse oder der Kirche“ Anfang der 1980er Jahre gegen das
       Anarcho-Kabarett-Trio angestrengt. Es endete erst in vierter Instanz mit
       einem Freispruch.
       
       Über Ströbeles Zeit als RAF-Anwalt sprach Karl-Heinz Dellwo. „Christian
       habe ich zum ersten Mal 1974 getroffen, als ich mit anderen nach dem Tod
       von Holger Meins zu einer Protestaktion nach Berlin fuhr“, sagte der
       heutige Dokumentarfilmer und Verleger. „Wiedergesehen habe ich Christian
       dann als Anwalt im Prozess gegen das Kommando Holger Meins, dessen Mitglied
       ich war.“ Über das Gerichtsverfahren offenbarte Dellwo ein interessantes
       Detail: Der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll beteiligte sich mit
       einer Spende von 5.000 D-Mark an den Kosten der Verteidigung.
       
       Das war kein Prozess, den Ströbele gewinnen konnte: Zusammen mit drei
       weiteren Kommandomitgliedern wurde Dellwo im Juli 1977 zu einer
       lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Bis 1995 saß er im Knast. Über die
       ganzen Jahre seiner Haft sei Ströbele immer gekommen, wenn er ihn darum
       gebeten habe, so Dellwo: „Er hat an uns festgehalten, weil er an seiner
       eigenen Geschichte festgehalten hat“. Denn das sei die Geschichte der
       Revolte der 1960er Jahre gewesen, „die damals für viele ein reales Moment
       an Befreiung in sich barg“.
       
       In diese Periode führte Klaus Eschen zurück, der wie Ströbele 1969 zu den
       Gründern des Sozialistisches Anwaltskollektivs gehörte, das in seiner
       Anfangszeit vor allem Aktivist:innen der 68er-Bewegung verteidigt hat.
       Ein Kollektiv seien sie gewesen, weil sie keine Hierarchie in ihrem Büro
       hätten haben wollen und alle das gleiche Geld bekamen. Als sozialistisch
       hätten sie sich verstanden, weil sie nur die von unten gegen die oben
       vertreten wollten, also Arbeitnehmer:innen gegen Arbeitgeber:innen,
       Mieter:innen gegen Vermieter:innen oder eben Studierende gegen die
       Staatsmacht.
       
       ## Offen für Kritik – aber „kritikresistent“
       
       Mit der Entstehung der RAF und der Bewegung 2. Juni verlagerte sich Anfang
       der 1970er Jahre der Schwerpunkt auf die Verteidigung jener, die sich für
       den bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik entschieden hatten. Ströbele
       bescherte das nicht nur unter Linken einen „größeren revolutionären
       Sexappeal“, wie es Eschen formulierte, sondern vor allem heftige
       Anfeindungen, seinen Ausschluss aus der SPD und schließlich sogar
       Untersuchungshaft sowie eine Verurteilung wegen angeblicher Unterstützung
       einer terroristischen Vereinigung.
       
       Eschen beschrieb Ströbele als einen bescheidenen Menschen, „der eigentlich
       nur in den Vordergrund kam, wenn es die Sache erforderte und wenn er für
       eine Sache eingetreten ist“. Mit einem Bonmot deutete der 83-Jährige indes
       an, dass die Zusammenarbeit mit ihm nicht immer konfliktfrei war: „Er war
       offen für Kritik, aber kritikresistent.“ Doch Ströbeles Standpunkt sei
       immer ein ernstzunehmender gewesen und „nie einer, der unseren Zusammenhalt
       gesprengt hat“. 1979 löste sich das Sozialistisches Anwaltskollektiv auf.
       „Wir hatten neue Perspektiven, haben neue Wege gehen wollen“, so Eschen.
       
       Diese neuen Perspektiven waren für Ströbele zwei aus den alternativen
       Bewegungen der Post-68er-Zeit hervorgegangene „Projekte“, mit denen er bis
       zu seinem Lebensende eng verbunden bleiben sollte: die Grünen und die taz.
       Anschaulich berichteten die taz-Mitgründerin Gisela Wülffing und der
       langjährige Geschäftsführer Karl-Heinz „Kalle“ Ruch von seiner wichtigen
       Rolle bei der Entstehung dieser Zeitung. Als „Vater mit guter Laune“,
       würdigte ihn Ruch.
       
       Ähnlich klang es bei dem Grünen Wolfgang Wieland, der auf die Bedeutung
       Ströbeles für die Alternative Liste, wie sich der Berliner Landesverband
       der Grünen bis 1993 nannte, einging: „Wenn Christian kam, ging das Licht an
       und war die Stimmung gut“, sagte der AL-Mitgründer und frühere Berliner
       Justizsenator.
       
       ## CDU-Geld für die Guerillas
       
       Die frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete und heutige Linken-Politikerin
       Gaby Gottwald erinnerte an eine von Ströbele maßgeblich initiierte
       taz-Kampagne, die sowohl in dieser Zeitung als auch bei den Grünen und weit
       darüber hinaus für mächtig Diskussionen gesorgt hat: „Waffen für El
       Salvador“. Zwischen 1979 und 1992 kamen mehr als 4,7 Millionen D-Mark zur
       Unterstützung der FMLN, der Guerilla in El Salvador, zusammen.
       
       Die Kampagne endete, als die Stärke der Guerilla Anfang 1992 Militär und
       Regierung in dem mittelamerikanischen Land zu einem Friedensabkommen zwang.
       „Die offensive Unterstützung der FMLN von Christian und der taz war
       radikal, ja, aber sie war eben auch rational“, sagte Gottwald, die ihn als
       einen Internationalisten „mit allen Fasern seines Herzens“ beschrieb.
       
       Gottwald erzählte auch eine Anekdote: Mitte der 1980er Jahre habe die CDU
       eine Postille zum Thema Terrorismus herausgegeben, in der sich ein Bild
       befand, das die damalige Abgeordnete zeigt, wie sie von der Polizei
       abgeführt wird. Da habe sie Ströbele um Hilfe gebeten und der hätte ihr
       geraten, dagegen juristisch vorzugehen. Was ein guter Rat war. Die CDU
       musste 1.000 D-Mark an Gottwald zahlen. Ströbele habe über beide Backen
       gegrinst und zu ihr gesagt: „Gaby, das muss aber klar sein: Die Kohle von
       der CDU kommt auf’s Waffenkonto!“. Und so sei es dann auch gewesen. Wodurch
       also die CDU indirekt die Guerilla in El Salvador unterstützt hat.
       
       Seine konsequente Ablehnung deutscher Kriegseinsätze, ob 1999 im früheren
       Jugoslawien oder ab 2001 in Afghanistan, machte Ströbele lange für das
       Establishment der Grünen, für die er erstmals von 1985 bis 1987 und dann
       wieder ab 1998 im Bundestag saß, zu einem Außenseiter.
       
       2002 schien Ströbeles Parlamentskarriere beendet, die Berliner Grünen
       verweigerten ihm einen aussichtsreichen Listenplatz. Doch sensationell
       holte Ströbele das Direktmandat in seinem Berliner Wahlkreis
       Friedrichshain-Kreuzberg. „Ströbele wählen, Fischer quälen“, lautete sein
       damaliger Wahlspruch, an den der grüne Bundestagsabgeordnete und frühere
       Parteivorsitzende Jürgen Trittin erinnerte: „Ich weiß aus eigenen
       Gesprächen mit Joschka, dass er sich gequält gefühlt hat, aber am Ende doch
       stolz drauf war.“
       
       Ströbele war der erste Grüne, dem es gelungen ist, ein Direktmandat zu
       gewinnen. Und dieses Kunststück wiederholte er noch dreimal, bis er 2017
       freiwillig aus dem Parlament schied. „Ich finde, der deutschen Demokratie
       fehlt der Aufklärer Ströbele ganz schmerzlich“, sagte Trittin. „Ich
       verneige mich vor einem ebenso sanften wie beharrlichen Revolutionär, einem
       linken Grünen, vor allem aber einem großen Menschen.“
       
       5 Oct 2022
       
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