# taz.de -- Seegrenze zwischen Israel und Libanon: Seltene Einigkeit
       
       > Israel und der Libanon haben ihren Streit um die Gasvorkommen im
       > Mittelmeer abgewendet. Doch es gibt noch ein Problem.
       
 (IMG) Bild: Dauerkonflikt auf See: israelische Marineschiffe nahe der libanesisch-israelischen Grenze im Mai
       
       Nun können der Libanon, Israel und US-Vermittler Amos Hochstein doch
       aufatmen: Am Dienstag haben Israel und der Libanon ein Abkommen zur
       Grenzziehung im Mittelmeer vor den Küsten der beiden Länder erzielt und
       damit ihren Streit über Offshore-Gasfelder beigelegt.
       
       „Ein historischer Deal“, jubelte der israelische Ministerpräsident [1][Yair
       Lapid] am Dienstagmittag auf Twitter. Der Entwurf entspreche „vollständig“
       Israels sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Grundsätzen.
       
       Auch das Büro des libanesischen Präsidenten Michel Aoun äußerte sich auf
       Twitter rundum zufrieden. Der endgültige Entwurf sei für den Libanon
       zufriedenstellend und erfülle seine Forderungen. Ebenso stimmte [2][die
       Hisbollah] dem Deal explizit zu. Die schiitische Partei und Miliz
       bezeichnete die Verhandlungen als abgeschlossen.
       
       Eine solche Einigkeit zwischen den beiden verfeindeten Ländern ist selten,
       auch in Sachen Offshore-Gas. Israel und der Libanon streiten sich seit
       Jahrzehnten um die Grenzziehung im Meer.
       
       ## Drohender Krieg abgewendet
       
       Bei den Verhandlungen geht es vor allem um zwei Gasfelder vor der Küste
       zwischen dem israelischen Haifa und dem libanesischen Sidon: Kana und das
       südlich darunter liegende Karish. 2012 schlug der damalige US-Vermittler
       Frederic Hof einen Kompromiss vor, der das Gebiet zu 55 Prozent dem Libanon
       und zu 45 Prozent Israel zugeschlagen hätte. Doch die libanesische
       Regierung lehnte dies ohne Begründung ab, die Verhandlungen lagen auf Eis.
       
       Als Israel im Juni signalisierte, dass die Gasförderungen im südlichen Teil
       von Karish beginnen würden, drohte Hassan Nasrallah, Parteiführer der
       Hisbollah, die Offshore-Gasinfrastruktur anzugreifen, falls sich die Länder
       zuvor nicht auf eine Grenze geeinigt haben sollten. Israel und Libanon
       nahmen die Verhandlungen mithilfe der USA wieder auf.
       
       Zuletzt war in der [3][vergangenen Woche eine Unterzeichnung des Abkommens
       vorerst geplatzt]. Israel hatte einige Änderungen, die der Libanon noch
       einbringen wollte, abgelehnt. Mit der Einigung haben die beiden Länder
       wahrscheinlich einen Krieg abgewendet.
       
       Israels Verteidigungsminister Benny Gantz hatte am Donnerstag, als das
       Abkommen zunächst gescheitert war, die israelischen Truppen im Norden des
       Landes in Alarmbereitschaft versetzt.
       
       Vor zwei Tagen hatte das Unternehmen Energean, das das Karish-Gasfeld
       betreibt, angefangen, die Unterwasserrohre zu testen und Gas vom Ufer zur
       Bohrinsel zu pumpen. Israel betonte, dass dies ein Test sei und nicht der
       Beginn der Gasproduktion.
       
       Die Hisbollah hatte wiederholt gedroht, Israel anzugreifen, falls diese mit
       den Bohrungen in den umstrittenen Gasfeldern fortfahren würden.
       
       ## Netanjahu gegen das Abkommen
       
       Lapid dürfte hoffen, dass er mit diesem Abkommen die eine oder andere
       Stimmen für die israelischen Parlamentswahlen am 1. November gewinnen
       könnte. Rückhalt für das Abkommen hat er vom Militär und vom
       Sicherheitsdienst; und auch die USA haben Druck auf Lapid für eine Einigung
       ausgeübt.
       
       Der Oppositionsführer und frühere Ministerpräsident [4][Benjamin Netanjahu]
       von der rechten Partei Likud sprach sich allerdings gegen das Abkommen aus.
       In der vergangenen Woche warf er Lapid vor, gegenüber der feindlichen
       Hisbollah einzuknicken. Lapid übergebe, so twitterte Netanjahu, „ein
       riesiges israelisches Gasvorkommen an die Hisbollah“.
       
       Auf libanesischer Seite hatte Präsident Michel Aoun sich stark für ein
       Abkommen eingesetzt – um dieses als politischen Sieg zu präsentieren, bevor
       seine Amtszeit am 31. Oktober endet. [5][Laut dem Reuters-Bürochef für den
       Libanon], Timour Azhari, soll das französische Energienunternehmen
       TotalEnergies auf libanesischer Seite nach Gasvorkommen suchen.
       
       Eine Unterzeichnung des Abkommens steht noch aus. Die israelische
       Tageszeitung Haaretz betonte, dass zwar die wichtigsten Streitigkeiten
       zwischen den beiden Ländern beigelegt scheinen. Doch vor einer
       Unterzeichnung könnten noch rechtliche und politische Hindernisse
       auftauchen.
       
       Das Problem: Auf israelischer Seite muss das Abkommen noch von der
       Regierung genehmigt und der Knesset vorgelegt werden – möglicherweise erst
       nach den Wahlen am 1. November. Deren Ausgang ist denkbar ungewiss.
       
       11 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] /Israel-und-Libanon-im-Streit-um-Gasfelder/!5886555
 (DIR) [4] /Benjamin-Netanjahu/!t5007798
 (DIR) [5] https://twitter.com/timourazhari/status/1579743643157803010?s=20&t=HLsvlWGmig2X81YgtfMHGQ
       
       ## AUTOREN
       
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