# taz.de -- Kritik an ZDF-Krimi: „Unser Trauma ist keine Ware“
       
       > Das ZDF zeigt einen Krimi mit Parallelen zum Haasenburg-Heimskandal.
       > Betroffene sehen sich kriminalisiert und wollen, dass er nicht
       > ausgestrahlt wird.
       
 (IMG) Bild: Nora Weiss (Anna Maria Mühe, l.) und Ben Salawi (Camill Jammal, r.) ermitteln im Kinderheim
       
       Heute Abend strahlt das ZDF den Krimi „Todesengel“, die siebte Folge der
       Serie „[1][Solo für Weiss“] aus. Hintergrund eines Mordfalls ist diesmal
       ein Heimskandal, bei dem ein ehemaliges Heimkind auf Rachefeldzug ist. Doch
       was als Unterhaltung mit gesellschaftskritischem Anstrich daherkommt, kommt
       bei ehemaligen Heimkindern nicht gut an. „Wir werden unserer Geschichte
       beraubt und kriminalisiert“, sagt Renzo Martinez, der als Kind [2][in einem
       der Haasenburg-Heime] war.
       
       In dem Film stellt sich heraus, dass die beiden Toten ein ehemaliger
       Erzieher und Psychologe des „Haidhofs“ waren. Der Täter wird am Ende in dem
       leer stehenden Heim gestellt, übergießt sich mit Benzin und verbrennt. Ein
       schlimmes Ende.
       
       Er ist ein junger Mann, der als 16-Jähriger im fiktiven Heim miterlebte,
       wie eine Mitbewohnerin namens Leonie vom zweiten Stock zu Tode stürzt.
       Aufmerksam auf diese Spur werden die Kommisarin Nora Weiss (Anna Mühe) und
       ihr Co-Ermittler Ben Salawi (Camill Jammal) durch einen Blog des
       Ex-Bewohners Benno, der in einem Bauwagen wohnt und die Kunde vom Tod der
       beiden Ex-Betreuer lakonisch mit „gut“ kommentiert.
       
       Nicht nur dieser Todessturz eines Mädchens erinnert an die realen
       Geschehnisse in den Brandenburger Heimen. Auch die Schilderungen von Benno
       im Film ähneln den Berichten dreier Ex-Bewohner [3][2018 bei einem
       „Heimtribunal“] in Hamburg.
       
       ## Offener Brief ans ZDF
       
       Einer der drei Betroffenen war Martinez, der seine Erfahrungen danach
       [4][in der Fachzeitschrift Forum] veröffentlichte. Er schreibt nun einen
       offenen Brief an das ZDF, in dem er fordert, aus Respekt vor den Opfern auf
       die Ausstrahlung zu verzichten. „Stellt euch vor, ihr findet Mut, über die
       schlimmsten Erlebnisse eures Lebens zu sprechen. Und dann beraubt euch
       jemand eurer Erfahrung und macht ’nen Film draus.“ Bis zum
       Redaktionsschluss hat das ZDF auf Nachfrage nicht auf den offenen Brief
       reagiert.
       
       Zwar sind Zeitraum und Bundesland verändert. Die Haasenburg in Brandenburg
       [5][wurde 2013 geschlossen], der fiktive Haidhof 2015 in
       Schleswig-Holstein. Doch es gibt noch mehr Ähnlichkeiten. Wie bei der
       Haasenburg gab es auch 50 Strafanzeigen von Betroffenen, die fast alle
       eingestellt wurden. Und wie in der Haasenburg gibt es im Haidhof die
       besonders strenge „rote Phase“.
       
       Er habe zu Hause Schläge erhalten, „aber das war nichts gegen den Haidhof“,
       erzählt der Film-Benno den Kommissaren. „Rote Phase. Gelbe Phase. Grüne
       Phase. Ich war immer nur in der roten.“ Das habe geheißen: „Abgeschlossene
       Tür. Kein Besuch, kein Kontakt zu andern. Einmal am Tag raus, unter
       Bewachung. Alleine Essen und Sprechverbot.“ Und weiter: „Wenn man aufs Klo
       musste, musste man an die Tür klopfen. Wenn man Glück hat, kommt einer und
       wenn nicht, scheißt man sich in die Hose.“
       
       ## Parallelen und Unterschiede
       
       Ebendies hatte Martinez fast wortgleich beschrieben: „Es kam vor, dass gar
       kein Erzieher kam und man musste sein Geschäft im Zimmer auf dem
       Brandschutzteppich verrichten oder man machte sich in die Hose.“ Aber: Es
       gibt auch Unterschiede. Im Film schildert Benno, wie die Erzieher sie zur
       Strafe in der Badewanne tauchten. In dem Heim wurden Minderjährige auf
       Liegen fixiert. In beiden Welten gab es Chips zu Belohnung für erwünschtes
       Verhalten. Im Krimi hinterlässt der Täter sie bei den Leichen.
       
       Martinez nennt es „pietätlos“, wie der Tod des Mädchens im Film dargestellt
       wird. „Unser Trauma ist keine Ware, die sie spannend verpacken können, um
       sie anschließend dem Publikum zu erzählen.“ „Es gibt viele Parallelen und
       man hat nicht mit uns gesprochen“, kritisiert auch die ehemalige Bewohnerin
       Christina Witt. „Das ärgert uns.“
       
       Beide waren dabei, als sich vor einem Jahr die [6][Interessengemeinschaft
       ehemaliger Haasenburg-Kinder] gründete. Das war auch die Reaktion auf den
       [7][Suizid eines früheren Bewohners]. Seither fordert die Gruppe
       Entschädigung und sucht Gehör.
       
       Die Ex-Heimkinder sind heute erwachsen und wollen als Gesprächspartner
       ernst genommen werden. „Aber hier werden die Betroffenen als Kriminelle
       dargestellt“, sagt Dennis Engelmann von Verein [8][Kinderseelenschützer],
       der die Gruppe der Betroffenen unterstützt. Das sei ein „Schlag ins
       Gesicht“.
       
       Das ZDF erklärte auf Nachfrage, es sei Redaktion und Produktionsfirma bei
       dieser Episode der Krimireihe „Solo für Weiss“ um das übergeordnete Thema
       gegangen, „den gesellschaftlichen Missstand des Missbrauchs von
       Schutzbefohlenen in privatwirtschaftlich geführten Heimen“ zu
       thematisieren. „Es gibt viele öffentlich bekannte Fälle, unter anderen auch
       den der Haasenburg GmbH“, so eine Sprecherin. In der Folge „Todesengel“
       seien keine konkreten Einzelschicksale von Betroffen als Vorbilder
       eingeflossen, weshalb der Sender keinen Grund dafür sehe, auf die
       Ausstrahlung dieses fiktionalen Krimis zu verzichten. „Mit den Vorwürfen
       befassen wir uns intensiv, da eine persönliche Betroffenheit nicht
       intendiert war“.
       
       Renzo Martinez, der sich auch persönlich an die Redaktion wandte, hat noch
       keine Antwort bekommen. Er sagt, er sei enttäuscht, dass der Film gesendet
       wird und bleibt bei seiner Kritik.
       
       Anmerkung der Redaktion, 3. November 2022: Inzwischen hat sich (nach
       Ausstrahlung des Films und Erscheinen dieses Artikels) ein zuständiger
       Redakteur bei Martínez gemeldet und dessen Argumente angehört.
       
       31 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.zdf.de/serien/solo-fuer-weiss/solo-fuer-weiss---todesengel-100.html
 (DIR) [2] /Fehlende-Aufarbeitung-des-Heim-Skandals/!5786713
 (DIR) [3] /Ehemalige-Heim-Insassen-klagen-an/!5544754
 (DIR) [4] https://www.kinder-undjugendarbeit.de/fileadmin/user_upload/FORUM_4_2018/FORUM_4-2018.pdf
 (DIR) [5] /Schliessung-der-Haasenburg-Heime/!5055500
 (DIR) [6] /Aufarbeitung-des-Haasenburg-Skandals/!5815505
 (DIR) [7] /Tod-eines-ehemaligen-Heimkindes/!5756902
 (DIR) [8] https://m.facebook.com/361654741087829/posts/pfbid02qZgCbNh9ZLvPs1tSs9v7XUg8FxNHkwVoUC5o2tZE25yCGYWRX5LmUgVrDHkXApbtl/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
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